„In Tirol machten sie das genaue Gegenteil“
Christoph Hölz und Klaus Hackl im Gespräch
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
„In Tirol machten sie das genaue Gegenteil“
Christoph Hölz und Klaus Hackl im Gespräch
Text: Aicher, Florian, Leutkirch
„Tiroler Stubenmöbel der 20er und 30er Jahre“ heißt die aktuelle Ausstellung des Archivs für Baukunst der Universität Innsbruck. Christoph Hölz, Leiter des Archivs, und Klaus Hackl, Produktgestalter aus München, haben die Schau konzipiert und seltene Originalmöbel, Interieurs und Bildmaterial zusammengetragen – eine Art Zwischenbericht zur Erforschung und Sicherstellung einer vom Vergessen bedrohten Tiroler „Schule“ jener Zeit.
Deren Vertreter, Clemens Holzmeister, Lois Welzenbacher, Franz Baumann, Siegfried Mazagg, Wilhelm N. Prachensky, Wilhelm Stigler u.a., wagten den Spagat zwischen internationaler Moderne und Tiroler Bautradition.
Das Interesse am alpinen Bauen ist wellenartig, und mit Ihrer Ausstellung dürfte eine neue Dimension erschlossen sein. Wie kam es dazu?
Christoph Hölz | Seit seiner Gründung 2005 widmet sich das Forschungsinstitut Archiv für Baukunst der regionalen Moderne in Tirol. In den 1920er und 30er Jahren hat in Innsbruck eine Gruppe von Architekten gewirkt, die sich der internationalen Moderne verpflichtet fühlte und gleichermaßen an die heimatliche Bautradition anknüpfte – ein Spagat, der einen eigenen, einen Sonderweg in die Moderne begründete.
Die Ausstellung vermittelt den Eindruck, dass Innsbruck in dieser Zeit vor Lebenskraft gesprüht hat und wie ein Katalysator wirkte.
CH | Es ist schon erstaunlich, was sich da bündelt. Das gibt es ja immer wieder, eine Verdichtung, die dann geradezu ein Feuerwerk abbrennt. So ist das auch hier; wobei man die Rolle Österreichs nach dem Zusammenbruch der K.u.k.-Monarchie bedenken muss: die notwendige komplette Neuausrichtung auch der Ökonomie und in diesem Zusammenhang die neue Rolle des Tourismus, besonders des Wintersports – überhaupt das neuartige Leitbild Sport für die 20er Jahre. Daraus erwuchs eine Vielzahl neuer Bautypen mit eigenem Erscheinungsbild: Seilbahnen, Hotels am Berg, Vergnügungsräume und in der Folge neue Wohnhäuser.
Leitfigur dabei war sicher Clemens Holzmeister, der sich jedoch bald überregional engagierte. Doch sein ehemaliger Büroleiter Hans Feßler plante über 30 Hotelanlagen in den Alpen; von den zahlreichen Entwürfen Franz Baumanns ganz zu schweigen.
Das müssen entschiedene, im Auftritt selbstbewusste Architekten gewesen sein.
CH | Dabei hatten die meisten keine akademische Ausbildung, waren Absolventen örtlicher Gewerbeschulen. Da kommt ein Holzmeister mit seinen Bauten, die den Lebensraum der Leute thematisieren, wie gerufen. So bildet sich eine Gruppierung, ein Cluster, selbständig planender Architekten mit gemeinsamer Prägung – das Phänomen einer Schule, wie es der Alpenraum in der Baugeschichte ja mehrfach aufweist.
Und: Das sind keine Bergbauern-Baumeister. Sie wissen bestens, was sich „draußen“ abspielt, die Nachlässe belegen das. Sie sind keinesfalls provinziell, sondern selbstbewusst im Anverwandeln der neuen Zeit. Und das wird außerhalb wahrgenommen: Holzmeister wechselt nach Wien, der schauspielende Architekt Louis Trenker nach Berlin. Das schwächt nicht, es stärkt die Suche nach dem Eigenen.
Wodurch zeichnet sich dieses Eigene aus?
CH | Das beginnt bereits mit dem Bautyp der Ausstellung, der Stube. Die ist der Beitrag des alpinen Bauens zur europäischen Baukultur – 1184 erstmals in höfischem Kontext erwähnt, im 15. Jahrhundert im gewöhnlichen Bauen allgegenwärtig, zur Blüte gebracht in der Bauernstube. Die Architekten der 20er Jahre verfügen über dieses kollektive Gedächtnis, adaptieren es für moderne Aufgaben: Aufenthalt in Seilbahnstationen, Hotelfoyers, Amtsstuben, Gaststuben, Wohnstuben...
Während aber im gesamten europäischen Raum dieser Jahre Leichtigkeit und Helligkeit angestrebt werden – Leitbild ist die zweibeinige, freischwingende Sitzmaschine aus Stahl –, machen die in Tirol das genaue Gegenteil: Holz, traditionellster Baustoff; schwer und kräftig. Ohne Ornament, nur das Holz selbst mit den vielen asymmetrisch sitzenden schwarzen „Löchern“ der Äste. Massiv, plastisch, expressiv – ein Hang ins Grobe und Derbe, aber nie vulgär. Der Kühle der weißen Architektur, dem Bauen im Maschinenzeitalter setzen diese Architekten starke Gesten entgegen.
Und das verschwindet dann fast völlig, sodass man heute mühsam Einzelstücke zusammensuchen muss?
CH | Dieser Schule ist etwas Unerhörtes eigen. Gropius, Giedion – die wollten davon nichts wissen. Und das setzt sich bis heute fort. Es passt nicht zur technologischen Symbolisierung, wie sie die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts dominiert.
Wo liegt der Schlüssel für eine denkbare Aktualität dieser Tiroler Schule?
CH | Qualität aufzuspüren, lohnt sich immer. Und diese hier kann sich behaupten neben Qualitäten anderer Schöpfungen. Was dieser Schule gelungen ist: Identität zu stiften. Das ist entschieden ein Qualitätsmerkmal. Und da ist mehr angesprochen als Ratio und Kommerz. Es liegt auf der Hand, dass es einen Überdruss gibt am Leben von der Stange. Identität stiften hat zu tun mit eigenen Befindlichkeiten, Stimmungen, Gefühlen.
Klaus Hackl, gibt es im Design derzeit ähnliche Strömungen?
Klaus Hackl | Design zum Wohnbedarf wird heute von wenigen großen Häusern bedient und folgt industrieller Fertigung, rational, ökonomisch. In der Schau hingegen stellen wir Möbel und Einrichtungen von Architekten vor, die mit Handwerkern gearbeitet und für besondere Orte entworfen haben – gelegentlich bis zur Serienreife mit großer Variationsbreite wie Prachensky. Diesen Objekten sind Feinheiten eigen, die handwerkliche Arbeit erlaubt – Qualitäten, die im Prozess der Industrialisierung verloren gehen.
Alpine Architektur rezipiert die Tiroler Schule seit geraumer Zeit – man denke etwa an das Silvrettahaus von Dietrich/Untertrifaller. Neuerdings begegnet man jedoch Projekten, die sich viel direkter der kräftigen Sprache dieses Kulturraums bedienen – etwa bei Florian Nagler oder Andreas Meck. Gibt es einen solchen Wandel auch im Design?
KH | Sicher ist das auch im Design ein Thema – etwa das Material Holz. Die formale Entschiedenheit und konstruktive Durchbildung, wie sie die Objekte der Ausstellung auszeichnet, sucht man aber auf den Messen von Mailand und Köln vergeblich. Da dominiert Effizienz, Sparsamkeit, Ökonomie. Von Emotionalität ist zwar viel die Rede, aber das bleibt auf die Oberfläche beschränkt – viel Greenwashing, wenig, was die ganze Gestalt ergreift. Um das zu sehen, lohnt sich die Reise nach Innsbruck.
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