Kein Lehrstück
Das dubiose Verfahren um den alten Bundesrechnungshof in Frankfurt
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
Kein Lehrstück
Das dubiose Verfahren um den alten Bundesrechnungshof in Frankfurt
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
Die Stadt streitet mit den Entwicklern, Architekten streiten mit Architekten und die Jury ist sich uneins. Zu welcher Zwietracht ein Gutachterverfahren führen kann, zeigt die Beplanung eines Areals in der Frankfurter Altstadt.
„Alles andere als regelkonform“, so beschrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) einen „Wettbewerb“ um die Neubebauung und Verdichtung des Geländes im Westen der Frankfurter Altstadt, auf dem das ehemalige Gebäude des Bundesrechnungshofes steht. Der Wettbewerb war zwar kein RPW- oder ähnlich geregelter Wettbewerb, sondern ein Gutachterverfahren. Begrüßenswert ist dennoch, dass die sonst eher investorenfreundliche FAS den Blick auf ein Lehrstück dafür lenkt, wie die Möglichkeiten der Architektur erneut den Interessen der Immobilienbranche geopfert werden – und die Kommunalpolitik als Korrektiv mal wieder mit Abwesenheit glänzt. Planungsdezernent Olaf Cunitz (Die Grünen) riskierte erst eine dicke Lippe und versteckte sich dann hinter städtischen Ämtern.
Das alles passiert, da sich die Fertigstellung des Gebäudes für den Bundesrechnungshof zum 60. Mal jährt. Im November 1952 wurde das Gesetz zur Wiedererrichtung des Bundesrechnungshofs beschlossen, ein Jahr später war die „Bundessparbüchse“ fertig – benannt nach dem „Bundessparkommissar“, der als Präsident des Rechnungshofs für die Einhaltung der Wirtschaftlichkeit in Bundespolitik und -verwaltung zuständig war. Die Architekten Werner Dierschke und Friedel Steinmeyer hatten in Nachbarschaft zu Paulskirche und Römer ein städtebaulich recht sperriges Gebäude auf Z-förmigem Grundriss mit einem achtgeschossigen Mittelbau und zwei fünfgeschossigen Seitenflügeln entworfen. Die Presse lobte die „anmutige Bescheidenheit“ sowie die „farbenfrohe Harmonie“ des „Hauses der 1100 Fenster“. Nur Doris Schmidt, damals Architekturkritikerin der FAZ, rügte die Stadtplanung, die den ursprünglichen Entwurf eines neungeschossigen Mittelbaus als Pendant zur Paulskirche mit viergeschossigen Seitenflügeln, zur Eingliederung in den Kontext, verworfen hätte.
Heute ist von dem Ursprungszustand nicht mehr viel übrig. Das Areal ist eine Brache in der Stadt, ein von Verkehr umtostes Leerstück, um das man möglichst einen großen Bogen macht. Die differenzierte schwarz-rot-goldene Farbgebung des Gebäudes wurde überpinselt und die filigranen Fenster gegen gröbere ausgetauscht. Der ganze Bau steht seit über einem Jahrzehnt leer und verkommt. Im Zuge des Hauptstadtdeals wanderte die Behörde nach Bonn. Übrig blieb das Gebäude, das die Frankfurter – Bewohner wie Architekten – heute nicht als bescheidenes Symbol eines demokratischen Wiederaufbaus betrachten, sondern als Fall für die Abrissbirne.
Ein „Gefälligkeitsgutachten“ für den Abriss
Die Grundstücksgesellschaft Wolf & Partner, die das Gebäude aus den Händen des Bundes für etwa 35 Millionen Euro erwarb, verhob sich trotz eines auch vom Stadtparlament gebilligten Entwurfs von Jourdan & Müller PAS mit dem Vorhaben, dort ein Luxushotel zu errichten. Bei der Zwangsversteigerung im Oktober 2010 ging die Immobilie für 16,8 Millionen Euro an die BS GmbH, eine Tochter der Projektentwickler Fay Projects und OFB. Freilich nicht gegen ein Gebot, sondern unter Zuhilfenahme einer Ausbietungsgarantie – was Teilnehmer der Veranstaltung als „Sauerei“ bezeichneten. Hintergrund für das BS-Engagement war eine informelle Zusage des vormaligen Planungsdezernenten, das mittlerweile denkmalgeschützte Gebäude abreißen zu können. So wartete die BS ein Jahr später mit einem Gutachten auf, das dem Haus gravierende statische und brandschutztechnische Mängel bescheinigte und dessen Sanierung einen zu großen finanziellen Aufwand bedeuten würde. Ein „Gefälligkeitsgutachten“, so ein renommierter Tragwerksplaner damals. Öffentlicher Protest gegen den drohenden Abriss wurde laut, auch der Autor dieser Zeilen sprach sich für den Erhalt des Bauwerks aus.
Gestärkt durch den neuen Planungsdezernenten Cunitz, einem studierten Historiker, verweigerte die Denkmalbehörde den Abriss. Stattdessen fand sich ein Kompromiss: Der Ostflügel sollte erhalten bleiben, ebenso Fassade, Treppe und Wandschmuck des Mittelbaus, während der Westflügel und ein 1955 errichteter Anbau fallen dürften. Im März dieses Jahres lobte die BS unter zwölf Teilnehmern das besagte Gutachterverfahren aus. Gefordert waren 450 Zimmer für ein 2-Sterne-Hotel mit entsprechenden Nebenflächen, Einzelhandelsflächen im Erdgeschoss, Büroflächen sowie ein separater Wohnturm. Genaueres zur benötigten BGF stand nicht in der Auslobung. Die Grundstücksgröße war mit 5000 Quadratmetern angegeben, obwohl sie 30.000 misst.
Das Ende Juni veröffentlichte Ergebnis des Verfahrens stieß nicht nur auf Beifall. Enttäuschend war, dass die feine Ästhetik des Bestands kaum in den eingereichten Entwürfen wiederzufinden war. Die Jury (Vorsitz: Ulrike Lauber) vergab zwei zweite Preise an Auer + Weber und Stefan Forster Architekten sowie einen dritten Rang an KSP Jürgen Engel. Der Presse wurde kommuniziert, dass nur die Zweitplatzierten überarbeiten sollen. Erst das zehn Tage später verschickte Protokoll des Preisgerichts empfahl die Überarbeitung durch alle drei Preisträger.
Den Entwurf von Stefan Forster, der dem Bestand in eine Blockrandbebauung integrierte und einen Bug á la „Flatiron“ am westlichen Grundstücksrand vorschlug, bezeichnete die Jury als „kraftvolles Projekt“ mit „durchgehend guten Kennwerten und Daten“ und „hoher Flächeneffizienz. Sie bemängelte aber dessen „wenig sensiblen“ Umgang mit dem Denkmal.
Die Arbeit von Auer + Weber überzeugte das Preisgericht durch „ihren städtischen Charakter und die Rücksicht auf denkmalpflegerische Belange“. Es monierte jedoch die „wenig differenzierte“ Fassade, den fehlenden Ortsbezug und die ungünstige Flächeneffizienz.
In ihrer Begründung zum KSP-Entwurf, der am westlichen, verkehrsumtosten Ende einen kleinen Platz vorsah, lobte die Jury die Neuinterpretation des historischen Stadtgrundrisses, die kleinteilige, längst verschwundene Gassen zwischen den Baukörpern wieder herstellt. Sie attestierte dem Entwurfsverfasser, „sämtliche Vorgaben der Auslobung sauber“ abgearbeitet zu haben, kritisierte allerdings Fassaden sowie die „exaltierte Kubatur“ eines 14-ge-schossigen Wohnturmes am Ostende.
Verhärtete Fronten auf allen Seiten
Nach der Überarbeitung sah die Bewertung gänzlich anders aus. Plötzlich war der in seiner Fassadensprache veränderte KSP-Entwurf an erster Stelle, Forster belegte den zweiten, das Büro Auer + Weber den dritten Platz. Offenbar gab es schon während der Jurysitzung einen Konflikt, in dem der Investor den KSP-Vorschlag und die Politik den Forster-Entwurf favorisierten. Eine Entscheidung fiel erst, nachdem ein Fachpreisrichter vorzeitig abgereist war. Auch war zu hören, dass den drei Teilnehmern unterschiedliche Vorgaben gemacht wurden.
Die Stimmung zur Eröffnung der Wettbewerbsausstellung im August war eisig – zwischen Politik und Bauherr, aber auch unter den Teilnehmern. Ausschlaggebend für die Neubewertung, so die OFB, waren „Wirtschaftlichkeit und Funktionalität“ der KSP-Arbeit, während der Planungsdezernent von „einer Reihung des Investors“ sprach. Der Wettbewerb, erklärte er, sei für ihn mit der ersten Runde beendet gewesen.
Jürgen Engel beschrieb seinen Entwurf als „Gebäudecollage“, die den Geist der 50er Jahre erhalte. Forsters Vorschlag zeige dagegen eine „neoklassizistische Fassade“, die bei ihm „nie über den Schreibtisch“ kommen würde. Forster hingegen betonte die kontextuellen Bezüge seiner Arbeit – ein terrassierter Hof etwa, der auf den barocken Bethmannhof vis-à-vis reagiere. Sein Kommentar zum KSP-Entwurf: „Wir haben das Technische Rathaus nicht abgerissen, um es 300 Meter weiter aufzubauen.“ Beide, Engel und Forster, wurden zu einer erneuten Überarbeitung aufgefordert, durch die vor allem mehr Fläche entstehen sollte.
Das Investitionsvolumen rechneten OFB und Fay auf 120 Millionen Euro, allein 26 Millionen davon sollen in die Sanierung des Denkmals wandern. Zusammen mit den 16,8 Millionen für den Erwerb des Areals ist das für beide Partner, so Spekulationen, eine zu kostspielige Investition. Auf der Expo Real im Oktober machten Gerüchte die Runde, das Pro-jekt solle verkauft werden. Auch ein Exposé von KSP mit einem neuen, nunmehr dritten Entwurf zu dem Areal war zu erhalten. Konkrete Verhandlungen gab es aber offenbar nicht. Bestätigt ist, dass sich Fay zwischenzeitlich zurückziehen wollte, auch die OFB-Mutter Helaba, so ist zu hören, werde ungeduldig.
Mitte November entschied dann die Politik – sich nicht zu entscheiden: Beide Entwürfe, die von Forster und von KSP, hätten durch die weitere Überarbeitung gewonnen, lies der Planungsdezernent verlauten. Nun könne der Investor entscheiden, wen er beauftragt. Das wird wahrscheinlich nicht Forster, sondern der, so BS-Geschäftsführer Michael F. Guntersdorf, „lernfähige“ Jürgen Engel sein. Was angesichts des vermutlich zu hohen Preises für das Areal, am Ende für Stadt und Bürger bleibt, ist ungewiss. Ein Lehrstück für hohe Planungs- und Baukultur ist die unendliche Geschichte um den Bundesrechnungshof jedenfalls nicht.
Mehrstufiges Gutachterverfahren
Erste Phase | ein 2. Preis Auer + Weber + Assoziierte, Stuttgart/München | ein 2. Preis Stefan Forster Architekten, Frankfurt am Main | 3. Preis KSP Jürgen Engel Architekten, Frankfurt am Main
Zweite Phase | 1. Preis KSP Jürgen Engel Architekten, Frankfurt am Main | 2. Preis Stefan Forster Architekten, Frankfurt am Main | 3. Preis Auer + Weber + Assoziierte, Stuttgart/München
Erste Phase | ein 2. Preis Auer + Weber + Assoziierte, Stuttgart/München | ein 2. Preis Stefan Forster Architekten, Frankfurt am Main | 3. Preis KSP Jürgen Engel Architekten, Frankfurt am Main
Zweite Phase | 1. Preis KSP Jürgen Engel Architekten, Frankfurt am Main | 2. Preis Stefan Forster Architekten, Frankfurt am Main | 3. Preis Auer + Weber + Assoziierte, Stuttgart/München
0 Kommentare