Klötze und Plätze
Wie umgehen mit den Großbauten der 60er und 70er?
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Klötze und Plätze
Wie umgehen mit den Großbauten der 60er und 70er?
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
Kaum ein Bestandteil unserer gebauten Welt dürfte übler beleumdet sein als die stadtbildprägenden Bauten der 60er und 70er Jahre. Die Tagung ging der Frage nach, wie diese Hinterlassenschaft aus Sicht der Denkmalpflege zu bewerten ist und welche Probleme sich bei ihrer Erhaltung stellen.
„Plattenbau statt Plattner“ – in Potsdam hängen die Herzen der verbliebenen Altbevölkerung an einem dominanten, bestenfalls mitteloriginellen Hotelhochhaus, das seit 1969 im Lustgarten von der sozialistischen Überformung des Stadtzentrums kündet; so sehr, dass dort nun kein privat finanziertes Kunstmuseum entsteht. Hasso Plattner, der finanziell potente Software-Unternehmer, wollte das Gebäude kaufen und abreißen und an seiner Stelle eine Halle für die von ihm zusammengetragene Kunst bauen – inzwischen hat er sich angesichts der öffentlichen Proteste von diesem Plan verabschiedet. Ein Triumph für die Architektur der Nachkriegsmoderne?
Gebäude der 60er und 70er Jahre sind selten in der Lage, die Bevölkerung in Scharen zu Protesten auf die Straße zu treiben, wenn ihr Verschwinden droht – im Gegenteil: Kaum ein Bestandteil unserer gebauten Welt dürfte übler beleumdet sein als die stadtbildprägenden Bauten jener Zeit. Die Tagung „Klötze und Plätze“, organisiert vom Bund Heimat und Umwelt in Bonn, ging Anfang Juni im Rathaus von Reutlingen (1961–66, Architekten Tiedje & Volz) der Frage nach, wie diese Hinterlassenschaft aus Sicht der Denkmalpflege zu bewerten ist und welche Probleme sich bei ihrer Erhaltung stellen. Im Zentrum der Betrachtung standen die Rathäuser jener Zeit, Gebäude mithin, die in besonderer Weise Aufschluss geben über das Selbstverständnis der damaligen Gesellschaft – und deren Erhalt, Umbau oder Abriss wiederum viel darüber sagt, wie sich diese symbolische Ebene in nur vier, fünf Jahrzehnten verschieben kann. Der Tagungsort selbst bot ein anschauliches Beispiel dafür, wie nahe beieinander Akzeptanz und Abbruch manchmal liegen können: Während der frei stehende Baukörper des Ratssaals unlängst mit Mitteln aus dem Konjunkturpaket saniert wurde, droht dem Rest des Rathaus-Ensembles der Abbruch zugunsten eines Einkaufszentrums.
Die Frage nach der Qualität
Interessant bei der Tagung war die von Fall zu Fall unterschiedlich resümierbare Wahrnehmung der Gebäude im Laufe der Zeit – von anfänglich begeisterter Zustimmung und bald darauf laut gewordener Ablehnung (Rathaus Reutlingen) bis hin zur umgekehrten Erfolgsgeschichte, in der das zunächst verhasste Sinnbild einer bedrängend empfundenen Modernisierung schließlich als liebgewonnener Zeitzeuge reüssiert (Stadthaus Bonn, 1969–78, Architekten: Heinle, Wischer & Partner). Interessant war aber auch, wie die Wahrnehmung der Gebäude im Lauf der Zeit genauso mäanderte wie durch die Runde der Tagungsteilnehmer selbst: Ältere, wie Gerd Weiß, Vorsitzender der bundesdeutschen Landesdenkmalpfleger, zögerten nicht, die Frage nach der Qualität aufzuwerfen – Wollen wir so etwas wie das Stadthaus Bonn überhaupt erhalten? –, Jüngere forderten vehement, sich jeder Bewertung zu enthalten und die in Frage stehenden Objekte (vor-)urteilsfrei auf ihre Potenziale hin zu untersuchen: „Putzen und Benutzen!“, lautete etwa der Aufruf von Martin Neubacher von der Werkstatt Baukultur Bonn.
Für Alltagsforscher mag solch radikaler Pragmatismus angebracht sein. Doch was steht uns bevor, wenn diese Doktrin irgendwann das Handeln der Denkmalpflege bestimmt? Davon gab Martin Bredenbeck eine Ahnung. Der Bonner Kunsthistoriker trauerte zunächst um das 1977 eingeweihte und nur dreißig Jahre später abgerissene Rathaus von Leverkusen (Architekten: HPP), um dann aber das an seiner Stelle entstandene Shopping-Center, in dem die Stadt ein paar unvermarktbare Flächen angemie-tet hat, als in Zukunft schützenswertes Beispiel der Architektur um 2010 zu preisen (Architekten: HPP).
Angesichts der bescheidenen architektonischen Originalität dieses Einkaufszentrums und angesichts der schieren Masse an Vertretern dieses Bautyps, scheint ein derartiges Gütesiegel aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Doch wer weiß, vielleicht identifizieren sich dereinst die Leverkusener so sehr mit ihrem Center, dass sie seine möglicherweise drohende Zerstörung abzuwenden wissen. Die institutionalisierte Denkmalpflege als bewahrende Kraft wäre in dem Fall gar nicht von Nöten. Ob diese aber ein „neues Bewusstsein für Großbauten der 1960er und 1970er Jahre“ braucht, nach dem der Untertitel der Tagung fragte, sollte auch fürderhin von Objekt zu Objekt entschieden werden. Am Beispiel der Rathäuser von Reutlingen und Mainz, Gronau, Bonn und Elmshorn werden wir den Stand der Diskussion in Bauwelt 40–41 unter die Lupe nehmen.
Gebäude der 60er und 70er Jahre sind selten in der Lage, die Bevölkerung in Scharen zu Protesten auf die Straße zu treiben, wenn ihr Verschwinden droht – im Gegenteil: Kaum ein Bestandteil unserer gebauten Welt dürfte übler beleumdet sein als die stadtbildprägenden Bauten jener Zeit. Die Tagung „Klötze und Plätze“, organisiert vom Bund Heimat und Umwelt in Bonn, ging Anfang Juni im Rathaus von Reutlingen (1961–66, Architekten Tiedje & Volz) der Frage nach, wie diese Hinterlassenschaft aus Sicht der Denkmalpflege zu bewerten ist und welche Probleme sich bei ihrer Erhaltung stellen. Im Zentrum der Betrachtung standen die Rathäuser jener Zeit, Gebäude mithin, die in besonderer Weise Aufschluss geben über das Selbstverständnis der damaligen Gesellschaft – und deren Erhalt, Umbau oder Abriss wiederum viel darüber sagt, wie sich diese symbolische Ebene in nur vier, fünf Jahrzehnten verschieben kann. Der Tagungsort selbst bot ein anschauliches Beispiel dafür, wie nahe beieinander Akzeptanz und Abbruch manchmal liegen können: Während der frei stehende Baukörper des Ratssaals unlängst mit Mitteln aus dem Konjunkturpaket saniert wurde, droht dem Rest des Rathaus-Ensembles der Abbruch zugunsten eines Einkaufszentrums.
Die Frage nach der Qualität
Interessant bei der Tagung war die von Fall zu Fall unterschiedlich resümierbare Wahrnehmung der Gebäude im Laufe der Zeit – von anfänglich begeisterter Zustimmung und bald darauf laut gewordener Ablehnung (Rathaus Reutlingen) bis hin zur umgekehrten Erfolgsgeschichte, in der das zunächst verhasste Sinnbild einer bedrängend empfundenen Modernisierung schließlich als liebgewonnener Zeitzeuge reüssiert (Stadthaus Bonn, 1969–78, Architekten: Heinle, Wischer & Partner). Interessant war aber auch, wie die Wahrnehmung der Gebäude im Lauf der Zeit genauso mäanderte wie durch die Runde der Tagungsteilnehmer selbst: Ältere, wie Gerd Weiß, Vorsitzender der bundesdeutschen Landesdenkmalpfleger, zögerten nicht, die Frage nach der Qualität aufzuwerfen – Wollen wir so etwas wie das Stadthaus Bonn überhaupt erhalten? –, Jüngere forderten vehement, sich jeder Bewertung zu enthalten und die in Frage stehenden Objekte (vor-)urteilsfrei auf ihre Potenziale hin zu untersuchen: „Putzen und Benutzen!“, lautete etwa der Aufruf von Martin Neubacher von der Werkstatt Baukultur Bonn.
Für Alltagsforscher mag solch radikaler Pragmatismus angebracht sein. Doch was steht uns bevor, wenn diese Doktrin irgendwann das Handeln der Denkmalpflege bestimmt? Davon gab Martin Bredenbeck eine Ahnung. Der Bonner Kunsthistoriker trauerte zunächst um das 1977 eingeweihte und nur dreißig Jahre später abgerissene Rathaus von Leverkusen (Architekten: HPP), um dann aber das an seiner Stelle entstandene Shopping-Center, in dem die Stadt ein paar unvermarktbare Flächen angemie-tet hat, als in Zukunft schützenswertes Beispiel der Architektur um 2010 zu preisen (Architekten: HPP).
Angesichts der bescheidenen architektonischen Originalität dieses Einkaufszentrums und angesichts der schieren Masse an Vertretern dieses Bautyps, scheint ein derartiges Gütesiegel aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Doch wer weiß, vielleicht identifizieren sich dereinst die Leverkusener so sehr mit ihrem Center, dass sie seine möglicherweise drohende Zerstörung abzuwenden wissen. Die institutionalisierte Denkmalpflege als bewahrende Kraft wäre in dem Fall gar nicht von Nöten. Ob diese aber ein „neues Bewusstsein für Großbauten der 1960er und 1970er Jahre“ braucht, nach dem der Untertitel der Tagung fragte, sollte auch fürderhin von Objekt zu Objekt entschieden werden. Am Beispiel der Rathäuser von Reutlingen und Mainz, Gronau, Bonn und Elmshorn werden wir den Stand der Diskussion in Bauwelt 40–41 unter die Lupe nehmen.
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