Kolkata und Dhaka – eine verwobene Geschichte
Entwicklung und Planung von zwei Städten am Wasser
Text: Das, Partha, Kolkata; Rahman, Mahbubur, Dhaka
Kolkata und Dhaka – eine verwobene Geschichte
Entwicklung und Planung von zwei Städten am Wasser
Text: Das, Partha, Kolkata; Rahman, Mahbubur, Dhaka
Die Mega-Städte Kolkata und Dhaka sind vielfältig miteinander verbunden, durch ihre gemeinsame Sprache, ihre geographische Nähe und ihre eng verwobene Geschichte. Auch haben beide eine widersprüchliche Beziehung zu ihren Flüssen, denen sie seit der Kolonialherrschaft zunehmend den Rücken kehrten. Heute verkommen die Flussufer des Hugli und des Buriganga – von Planern dem Wildwuchs überlassen, von den Städten ignoriert.
In Bengalen, dem Gebiet, welches das heutige Bangladesch und West-Bengalen umfasst, liegt mit dem Zusammenfluss des Ganges und des Brahmaputra das größte Delta der Welt, ein ausgedehntes System von Gewässern, das mit dem Leben der Menschen aufs Engste verknüpft ist. Die im Verlauf seiner Geschichte kontinuierlich zunehmende Besiedlung Bengalens hat sich unter klimatischen und topografischen Bedingungen vollzogen, die dem Land nicht nur einen überaus fruchtbaren Boden, sondern immer wieder auch zerstörerische Überflutungen beschert haben. Alle historischen Städte, die seit dem 7. Jahrhundert vor Christus in diesem Gebiet entstanden, lagen an den Ufern von Flüssen. Ihr Niedergang war oft durch einen Rückgang des Handels bedingt, der wiederum eine Folge von Veränderungen der Flussverläufe war. Dhaka, die Hauptstadt von Bangladesch und das größte städtische Ballungszentrum des Landes, und Kolkata, die bedeutendste Stadt West-Bengalens und der drittgrößte Ballungsraum Indiens, in deren Großstadträumen jeweils etwa 14 Millionen Menschen leben, gilt es in diesem Kontext zu betrachten.
Dhaka: 52 Moscheen und 40 Kanäle
Die Region um Dhaka entwickelte sich ab dem 7. Jahrhundert nach Christus unter buddhistischer und später hinduistischer Herrschaft und wurde anschließend von muslimischen Sultanen regiert. Die Siedlung, in mittelalterlichen Berichten als eine „Stadt von 52 Moscheen und 53 Straßen“ beschrieben, erlangte im Jahr 1610 an Bedeutung, als sie die Hauptstadt Bengalens wurde, der damals wohlhabendsten Provinz des Mogulreiches. Die strategischen Vorteile der Stadt lagen auf der Hand: von Flüssen und Feuchtgebieten umgeben, mit einem höher gelegenen und fruchtbaren Hinterland, einem gut funktionierenden Fluss- und Kanalnetz und mit einer geographisch zentralen Lage. All das veranlasste den Gouverneur Islam Khan, die Hauptstadt dorthin zu verlegen, um die Provinz besser kontrollieren zu können. Durch Flüsse mit zwei anderen nahegelegenen historischen Siedlungen verbunden, gedieh Dhaka in der Folge als ein Zentrum des Handels, der Manufaktur und des Kunsthandwerks. Damals hatte die Stadt aufgrund ihres guten Zugangs zum Meer eine besondere Anziehung für Kaufleute aus China und Europa, die unter anderem mit Textilien, Leder, Handwerkskunst und Reis Handel trieben. Im frühen 17. Jahrhundert beschrieben Besucher Dhaka als eine kosmopolitische Stadt, zum Ende desselben Jahrhunderts war die Bevölkerung auf 200.000 gestiegen.
Die Stadt war früher von mehr als 40 Khals, oder Kanälen, durchzogen, die als Verkehrswege und zur Entwässerung dienten. Viele waren natürlichen Ursprungs, einige auf Befehl der Herrscher angelegt worden. Das über 250 Kilometer lange Netz von Flüssen und Kanälen verbesserte das Klima, schützte die Stadt vor Überschwemmungen und prägte auch das Alltagsleben. Es gab viele Brücken, die heute verschwunden sind. Zimmermänner, die in der Nähe der Gewässer lebten, bauten Schiffe für den zivilen und für den militärischen Gebrauch. Bis zur Kolonialzeit war das Boot das Verkehrsmittel überhaupt. Die Ruhe der Flüsse zog die Elite an, die die Sommermonate auf Hausbooten verbrachte.
Während der Mogulherrschaft wurde Dhaka von acht hintereinander liegenden Flussfestungen aus verteidigt. Die herrschende Klasse ließ sich außerhalb des Stadtkerns, in der Umgebung der ältesten Festung nieder. Die Wehranlage thronte zwischen dem Fluss Buriganga und dem Dulai Khal, einem größeren Kanal, der in west-östlicher Richtung parallel zum Fluss angelegt worden war. Während sich in den Gebieten Richtung Norden und Osten institutionelle und städtische Funktionen sowie Wohngebiete entwickelten, wurde das Flussufer von den prachtvollen Villen der örtlichen Elite sowie einer wachsenden Zahl europäischer Geschäftsleute vereinnahmt – abgewandt von den Elendsquartieren, den engen Gassen, den Wäldern und den Sümpfen mit Mücken und der Gefahr von Krankheiten. So breitete sich das frühe Dhaka schnell in ostwestliche Richtung, dem Lauf des Buriganga folgend, aus.
Von den ersten beiden größeren Straßen verlief eine parallel zum Fluss, die andere verband den wichtigsten Anlegeplatz am Fluss mit dem Geschäftsviertel, das sich im rechten Winkel dazu befand. Dieses gut entwickelte „Wasser-Rückgrat“ prägte das gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben der Stadt. Bemerkenswerte Relikte und prächtige Gebäude der Mogulherrschaft wie auch aus der britischen Periode (etwa das im 19. Jahrhundert errichtete Herrschaftshaus Ruplal House oder Ahsan Manzil, die einstige Residenz des Nawabs von Dhaka) erinnern an die frühere Beziehung der Stadt zu ihren Flüssen. Sie sind vor allem in der Altstadt zu finden, die durch ein dichtes und komplexes Geflecht aus Gassen und Bauwerken gekennzeichnet ist.
Kolkata: Drei Dörfer und eine Festung
Die Briten brachten Dhaka, die bedeutendste Stadt des damaligen Bengalen, erst 1765 unter ihre Herrschaft. Doch begannen ihre Bemühungen in der Region bereits über 70 Jahre früher, mit der Gründung von Kolkata. Der Fluss Hugli, ein westlicher Mündungsarm des heiligen Flusses Ganges, war im alten Bengalen eine traditionelle Handelsroute für die Länder Süd- und Südostasiens. Die Stadt Hugli erblühte während des Mittelalters zu einem bedeutenden Handelsknotenpunkt, nachdem der Niedergang der alten Handelszentren Tamralipta, Tribeni und Saptagram eingesetzt hatte. Doch angesichts der anhaltenden Versandung des Flussbetts und immer größer werdender Handelsschiffe mussten sich die Hafenaktivitäten weiter stromabwärts verlagern. Die Engländer, die nach den Portugiesen, den Holländern, den Dänen und den Franzosen nach Bengalen kamen, wählten einen Platz 40 Kilometer südlich von Hugli als Standort für die Gründung eines festen Handelsstützpunkts. Die daraus entstandene Stadt Kolkata hat ihre Existenz Job Charnock zu verdanken, dem Agenten der Britischen Ostindien-Kompanie in Bengalen, der im Jahr 1690 die 676 Hektar Land kaufte, auf dem sich damals drei Dörfer (Sutani, Govindapur und Kalikata) befanden.
Der Verwaltungsbezirk wurde innerhalb eines kleinen Gebiets am Ostufer des Flusses eingerichtet. Die am Westufer gelegene ältere Stadt Howrah wurde zwar durch die massive Ansiedlung von Fabriken und die sie umgebenden, von den Fabrikarbeitern errichteten Hüttenstädte tiefgreifend verändert, bewahrte aber, trotz der großen wirtschaftlichen Abhängigkeit von Kolkata, ihre eigene Ausprägung und die Verwaltungsautonomie. Anders als in Dhaka, wo unmittelbar am Fluss sowohl Hafeneinrichtungen als auch die Residenzen der Elite lagen, wurden die direkt an den Fluss angrenzenden Flächen in Kolkata im 17. und 18. Jahrhundert lediglich für den Güterumschlag, für Personenbewegung über die Piere und für Trockendocks verwendet. Diese Funktionstrennung von Flussufer und direkter „Riverfront“ sollte auch im weiteren Verlauf die Entwicklung der Stadt bestimmen. Als Kolkata zum Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts schließlich die Verwaltungshauptstadt des britischen Kolonialreichs wurde, das sich über große Teile des indischen Subkontinents erstreckte, blieben die an den Hafen gebundenen Gewerke auf die Riverfront begrenzt, während Verwaltungsgebäude, Börsen, Banken und militärische Einrichtungen ein großes Gebiet entlang des Flusses nahe Fort William einnahmen.
In dieser Periode wurde auch ein 800 Hektar großes Waldgebiet gerodet, um Platz für den Maidan („offener Platz“) zu machen, der für Übungen des Militärs genutzt wurde. Dalhousie Square, das Verwaltungsviertel, wurde um ein in der Nähe gelegenes Wasserreservoir herum angelegt. Der Namensgeber, Lord Dalhousie, war von 1848 bis 1856 Gouverneur von Bengalen. Seine Residenz wurde ebenfalls dort errichtet. Sie war nur einen halben Kilometer vom Fluss entfernt, um sie herum entstanden Bürogebäude für Banken, für Teeplantagenbesitzer, Jutefabrikanten und Handelsgesellschaften. Dieser erste „Central Business District“ Kolkatas erstreckte sich über eine Fläche von etwa fünf Quadratkilometern um den Platz herum. Nördlich davon entstand allmählich die einheimische Stadt, in der sich die örtliche Bevölkerung niederließ, entsprechend dem damals vorherrschenden städtischen Modell, das die Trennung von „weißer“ und „schwarzer“ Stadtbevölkerung vorsah.
Mit der Zeit entwickelte sich ein städtisches Bild im europäischen Sinn, mit Kirchen, Alleen und Blickachsen, die die Gebäude miteinander verbanden. In dem Maße, wie sich das Leitbild der Stadt immer deutlicher von einer Handelsstadt zur zweiten Hauptstadt des Britischen Empires verschob, wurden für Bauaufgaben anerkannte Architekten und Ingenieure verpflichtet. Die englische Oberherrschaft über den Subkontinent sollte auch in der Architektur zum Ausdruck kommen. Das Hauptpostamt, das Gebäude des Obersten Gerichtshofs, die Gebäude des Schatzamts und sogar das Indische Museum schufen durch die Verknüpfung klassischer und gotischer Elemente ein neues Vokabular städtischer Architektur, das zunächst seine englischen Vorbilder imitierte, sich aber im weiteren Verlauf immer mehr zu einem eigenständigen Mischstil entwickelte.
Mit dem Rücken zum Fluss
Auch nach Verlegung der Hauptstadt von Kolkata nach Delhi im Jahr 1911 wuchs die Stadt weiter, vor allem nach Süden und nach Osten, wo allmählich Niederungen und Feuchtgebiete kultiviert wurden. Dabei wurde das Wachstum entlang des Nord-Süd-Verlaufs des Hugli durch den großen Salzwassersee im Nordosten noch gefördert, der eine radiale Ausbreitung der Stadt verhinderte. Nach Norden hin verband sie sich durch fortschreitende Urbanisierung mit bereits vorhandenen Kleinstädten am Flussufer. Die Folge war ein einziges Ballungsgebiet, das über 50 Jahre später als „Greater Calcutta“ bekannt wurde.
In Dhaka hingegen kam es unmittelbar nach der englischen Übernahme zunächst zu einer dramatischen Verschlechterung der wirtschaftlichen und baulichen Verhältnisse, was sich auch in einem Rückgang der Einwohnerzahl auf nur noch 26.000 im Jahr 1820 äußerte. Ab Anfang des 19. Jahrhunderts dehnte sich die Stadt, der Topographie folgend, in nördliche Richtung aus. Die Engländer nahmen infrastrukturelle Verbesserungen vor. So wurde entlang des Buriganga ein schützender Uferdamm gebaut, der auch als Promenade diente, es wurde ein neuer Verwaltungskomplex und ein Universitätscampus angelegt, bis heute der Sitz der Dhaka University. Ein größeres Geschäftsgebiet erstreckte sich sowohl in nördliche als auch ostwestliche Richtung, entlang der beiden ältesten Straßen. Die Süd-Nord-Straße führte zu Militärkasernen und zu den Gärten der Nawabs (muslimische Herrscher). In den fünfziger Jahren wurde letztgenanntes Gebiet zum „Central Business District“ ausgebaut, in dem sich heute der Präsidentenpalast, das „Bangladesh Secretariat“ genannte Regierungsviertel, bedeutende Sportstadien und Geschäftshochhäuser befinden.
So verschieden die Geschicke der beiden Städte auch sind – die eine eine Gründung der britischen Kolonialmacht und über zwei Jahrhunderte von dieser geprägt, die andere mehrere Jahrhunderte lang von den unterschiedlichsten Herrschern gestaltet – bleiben Gemeinsamkeiten doch erkennbar. Diese betreffen unter anderem die Beziehung zum und die Nutzung vom Wasser, vor allem das der Flüsse – des Hugli und des Buriganga. Mit Beginn der Kolonialzeit hatte die Bedeutung der Flüsse zugunsten des Landverkehrs und seines Ausbaus, gefördert durch die Einführung der Eisenbahn und sogenannter moderner Planung, deutlich abgenommen. Und die Städte, in unaufhaltsamer horizontaler Ausdehnung begriffen (ein Prozess, der mit weitreichenden Veränderungen in der Umwelt einherging, wie etwa der Abholzung und der Trockenlegung von Feuchtgebieten) kehrten den Flüssen mehr und mehr den Rücken zu.
In Dhaka ersetzte die Schiene – die ab den 1880er Jahren die Stadt mit dem 18 Kilometer entfernten Flusshafen Narayangani verband und deren Netz danach allmählich über die übrige Region ausgedehnt wurde – die Flüsse als Verkehrsweg. Doch die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen, vor allem jene aus den flussseitigen, südlichen Bezirken des damals vereinten Bengalen, benutzten sie nach wie vor. Die Khals wurden nach dem Ende der Mogulherrschaft jedoch nicht mehr unterhalten, sodass sie mit Ausgang des 18. Jahrhunderts unschiffbar geworden waren. Seitdem haben einige ihren Verlauf geändert, andere sind versandet und Überbauung zum Opfer gefallen. Auch während ihres enormen Wachstums in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ignorierte die Stadt weiterhin das 17 Kilometer lange Ufer des Buriganga, wie auch die Flüsse Shitalakhya, Turag und Balu, von denen sie umgeben ist und die in der Vergangenheit ihre Lebensadern gewesen waren.
Auch für Kolkata setzte mit der Eisenbahn eine Verlagerung beim Transport industrieller und landwirtschaftlicher Güter ein. Nachdem das erste Gleis im Jahr 1854 gelegt wurde, wobei der Bahnhof wohlgemerkt in Howrah und nicht in Kolkata gebaut wurde, nahm der Handel am Flussufer allmählich ab. Auf den verlassenen Grundstücken und in leerstehenden Lagerhäusern entwickelten sich andere Nutzungen. Früher waren für das Beladen und Löschen von Schiffen Tagelöhner nötig, die aus den Nachbarstaaten Bihar und Orissa kamen und sich entlang des Flusses ansiedelten, wo immer sie Zugang zu freiem Land erhielten. Als sie arbeitslos wurden, mussten sie sich nach Arbeit in der Stadt umsehen, ohne dabei notwendigerweise ihren Wohnplatz aufzugeben. So wurde das Flussufer zur Heimstatt von Tausenden von Landbesetzern, „Squatter“ genannt, denen die traditionellen, vom Flussufer geprägten Berufstätigkeiten fremd waren.
Ausdehnung der Städte – Niedergang der Flüsse
Die Entwicklung des Schienenverkehrs war nicht der einzige Grund für den Niedergang der Flüsse im modernen Kolkata und Dhaka. Wasser bedeutet in diesem Delta und in dieser tropischen Region sowohl Wohlstand als auch Bedrohung – eine Ambivalenz, die sich in vielen kulturellen Erscheinungsformen, von Ritualen bis Festen, widerspiegelt. Das zeigt sich auch in den manchmal widersprüchlichen Eingriffen, die zur Regelung des Wassers unternommen werden. Doch der Hauptgrund des gegenwärtigen Verfalls liegt in der fehlenden Planungssteuerung und im Ausbleiben gesetzgeberischer Maßnahmen, um der Verstädterung Herr zu werden.
Das Ringen um die Unabhängigkeit führte im Jahr 1947 zur Teilung Südasiens in zwei Nationen, Indien (mit einer Hindu-Mehrheit) und Pakistan (mit einer Moslem-Mehrheit). Letzteres bestand aus zwei Teilen, Ost- und West-Pakistan. Dhaka wurde Hauptstadt Ost-Pakistans, nicht nur geografisch sondern auch kulturell und politisch von West-Pakistan entfremdet. Bald bildete sich eine Bewegung, die die Unabhängigkeit Ost-Pakistans forderte. Dies führte zu einem Befreiungskrieg und im Jahr 1971 zum Entstehen von Bangladesch als souveränem Staat mit der Hauptstadt Dhaka. War die Stadt der großen Zahl muslimischer Zuwanderer, die nach 1947 aus Indien kamen, noch gewachsen, war sie mit dem neuerlichen Ansturm von Migranten in die sich zur modernen Metropole entwickelnde Hauptstadt und durch den ungebremsten Zuzug verarmter Landbevölkerung überfordert. Zwischen 1961 und 1974 wuchs die Bevölkerung jährlich um etwa sieben Prozent, in der nächsten Dekade sogar um zehn Prozent. In der Ära nach der Unabhängigkeit wurden die umweltspezifischen, sozialen und wirtschaftlichen Funktionen der Flüsse bei der Planung und Bereitstellung von Infrastruktur viel zu wenig berücksichtigt. Fortschreitende Verstädterung, steigende Nachfrage nach immer knapper werdendem Bauland, planlose Ausdehnung der Siedlungen und fehlende Rücksichtnahme auf das Gemeinwohl trugen zur allmählichen Bebauung von Feuchtgebieten und Flussauen, von wertvollem Agrarland sowie von ökologisch empfindlichen Randgebieten bei.
Bereits im Jahr 1917 hatte der schottische Biologe und Botaniker Patrick Geddes (1854–1932), ein Vordenker auf dem Gebiet der Stadtplanung, vorgeschlagen, mittels einer Wiederbelebung der Gewässer an Dhakas vergangene Glorie anzuknüpfen. Er sprach sich für eine Aufwertung der gewerbebezogenen traditionellen Enklaven entlang des Flusses und für die Erhaltung offener Räume und Elemente der Landschaft aus. Die Vorschläge berührten jedoch die Interessen einflussreicher Familien und wurden deshalb nicht übernommen. Die Geschichte scheint sich nun auf grausame Art zu wiederholen. Im Jahr 1997 verabschiedete die städtische Planungsbehörde (RAJUK) den „Dhaka Metropolitan Development Plan“ (DMDP). Er sieht Erhaltungs- und Verbesserungsmaßnahmen vor, die neben bebauten Gebieten auch Agrarland und Wassereinzugsgebiete umfassen. Doch wegen des Fehlens eines detaillierten Raumordnungsplans, der erst 2009 beschlossen wurde, kam es zu planlosem Wachstum, zu illegaler Landnahme und Bebauung, zu Einzelfallentscheidungen und Projekten, die von mächtigen Kreisen unterstützt wurden. Die Planungsbehörden versäumten es auch, Jinjira zu integrieren, ein ländliches Gebiet am Südufer des Buriganga, das bereits durch Brücke und Straße mit Dhakas alter und neuer Stadt verbunden ist. Es war nach 1947 als ein möglicher Standort für das Parlament in Betracht gezogen worden und hätte ein ausgewogeneres Wachstum zu beiden Seiten des Flusses erlaubt.
Verfall der besten Lagen
Kolkata widerfuhr nach der Teilung Indiens ein ganz anderes Schicksal. Ihre Rolle als Hauptstadt hatte die Stadt bereits verloren, doch verlor sie auch innerhalb der Indischen Föderation an wirtschaftlicher und politischer Relevanz. In den ersten fünf Jahren nach der Teilung 1947 erlebte der Bundesstaat West-Bengalen eine der größten erzwungenen Umsiedlungen in der Geschichte der Menschheit. Den schätzungsweise 3,5 Millionen Hindus aus Ostbengalen folgten in den fünfziger und sechziger Jahren Millionen weiterer Migranten. Zu einer erneuten Vertreibungswelle kam es 1971 in der Folge von Bangladeschs Befreiungskrieg. Die räumliche Ordnung des Bundesstaates, vor allem die seiner Hauptstadt Kolkata, war stark davon betroffen. Mindestens bis in die achtziger Jahre wurde dieser Bevölkerungszustrom noch durch die enorme Anzahl von Menschen verstärkt, die zur Auswanderung aus den ärmeren ländlichen Gebieten gezwungen waren.
Aufgrund der Verschlechterung des wirtschaftlichen Umfelds in Ostindien schlossen ab Mitte des 20. Jahrhunderts immer mehr der am Fluss angesiedelten Gewerbebetriebe Kolkatas ihre Tore. Am Flussufer siedelten sich hauptsächlich Wanderarbeiter und illegale Bewohner ohne Wahlrecht an. Damit wurde es auch von Politikern links liegengelassen. Der Hafenbetreiber Calcutta Port Trust, dessen primäres Interesse sich auf die Verwaltung des Hafens und verwandter Aktivitäten beschränkt, verfügt nicht über die Mittel, ein so großes Gebiet von Liegenschaften zu verwalten. Überlappende verwaltungsrechtliche Kompetenzen und unüberschaubare Eigentumsverhältnisse der verschiedenen Behörden des Bundesstaates und der Zentralregierung führten zu einem Mangel an Aufsicht und Kontrolle. Oft waren die besten Lagen von Müllhalden belegt, während der Landverlust an der Peripherie ungebrochen voranschritt.
Ein Versuch, das sich verschärfende Wohnungsproblem zu lösen, wurde in den fünfziger Jahren mit dem Entwurf von Bidhan Nagar, besser bekannt unter dem Namen Salt Lake City, unternommen. Für Kolkatas erste Reißbrettstadt in jüngerer Geschichte wurde ein Gebiet um mehrere Salzwasserseen am Ostrand der Stadt erschlossen. Mit diesem Vorhaben, an dessen Fertigstellung bis in die achtziger Jahre gearbeitet wurde, zielte man gleichzeitig darauf ab, Kolkata mehr in die Breite auszudehnen und ein Gegengewicht zu seiner unverhältnismäßigen Längenausdehnung entlang des Flusses zu schaffen, die die Grundausstattung mit öffentlichen Einrichtungen erschwerte. Daran wird noch immer gearbeitet. Gegenwärtig werden weitere Siedlungen im Osten der Stadt errichtet oder befinden sich in der Planung. Noch immer steht nicht genügend Wohnraum für Mittelstandsfamilien zur Verfügung, von Wohnungen für die Armen ganz zu schweigen. Die Flussufer, sowohl auf der Kolkata- als auch auf der Howrah-Seite, gleichen weiterhin zwei Waisenkindern, die sich mit den von den verschiedenen Behörden sparsam ausgeteilten Krümeln und Almosen zufrieden zu geben haben.
Heute: Wildwuchs an Hugli und Buriganga
In den sechziger Jahren wurden in beiden Städten Behörden mit dem Auftrag eingerichtet, die Planung und Entwicklung der jeweiligen Großräume vorzunehmen: die Calcutta Metropolitan Planning Organisation (CMPLO), die Calcutta Metropolitan Development Authority (CMDA) und der Dacca Improvement Trust (1987 in RAJUK umgewandelt). Doch keine brachte bisher einen umfassenden Plan zustande. Die Flussufer des Hugli und des Buriganga sind dem Wildwuchs überlassen, von den Städten beständig ignoriert. Nach der Jahrtausendwende scheint die Lage angesichts des wachsenden Bevölkerungsdrucks und steigender Überschwemmungsgefahr hoffnungsloser denn je.
0 Kommentare