Konkurrenz und Kooperation
Interferenzen im DAM
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
Konkurrenz und Kooperation
Interferenzen im DAM
Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main
Mit den Worten: „Am Anfang war Napoleon“ begann der Historiker Thomas Nipperdey seine auf mehrere Bände angelegte umfassende Geschichte der Deutschen seit 1800.
Die ebenso prägnante wie überraschende Formulierung könnte auch für die Geschichte der deutschen Architektur seit 1800 übernommen werden – wenn man Napoleon durch Straßburg, die Île-de-France und die Pariser Ècoles ersetzt. Johann Wolfgang Goethe, noch kein Freiherr, sondern im Sturm und Drang und in der freien Reichsstadt Frankfurt lebend, reiste 1784 ins französische Straßburg und schrieb den Aufsatz „Von deutscher Baukunst“. In seiner Schrift sprach er einige Topoi an, auf die der Diskurs in der Folgezeit immer wieder rekurrieren sollte: deutsche Gotik versus französischen Klassizismus, Gefühl versus Rationalismus, sensorisches Schöpfergenius versus absolute Prinzipien. Die von Goethe apostrophierte Konstruktion von nationaler Identität mittels Architektur sollten deutsche Architekten aufgreifen, die zum Studium an die Seine kamen: Friedrich Gilly etwa, Karl Friedrich Schinkel oder Leo Klenze, der als Schüler von Jean-Nicolas-Louis Durand 1803 einen Gleichheitstempel entwarf und später dann nach napoleonischem Vorbild mit der Walhalla bei Regensburg eine deutsche Ruhmeshalle in Form eines klassischen Tempels.
Die Ausstellung „Interferenzen/Interférences“, die nach ihrer Premiere in Straßburg, nun im Architekturmuseum in Frankfurt Station macht, geht diesen deutsch-französischen Wechselfällen nach. Unter dem ursprünglich aus der Physik stammenden Begriff, der Überlagerung, Wechselwirkung oder auch gegenseitige Behinderung bedeuten kann, berichtet sie anlässlich des 50. Jahrestages des Élysée-Vertrages von den wechselseitigen Einflüssen, von Konkurrenz und Rivalität, von Bewunderung und Kooperation, vom Kultur- und Techniktransfer zwischen beiden Nachbarn. Und das auch über die Gewalt von drei Kriegen innerhalb von 75 Jahren hinweg. So werden Blätter aus dem Fotoalbum, das Fritz Leonhardt, von 1943 bis 1945 Mitglied der Organisation Todt, auf einer Reise von Russland zum Atlantikwall an-fertigte, gezeigt – mit Bildern der von Eugène Freyssinet geplanten Pont de Plougastel. Trotz der Kriegsereignisse trafen sich die beiden Ingenieure 1943 und 1944; auf Initiative von Leonhardt wurde Freyssinet dann 1959 die Emil-Mörsch-Gedenkmünze des Deutschen Beton- und Bautechnik-Vereins verliehen. Die Schau erzählt von biografischen Verwicklungen: von den beiden Kölnern Franz Christian Gau und Jakob Ignaz Hittorff beispielsweise, die naturalisierte Franzosen wurden, oder von deutschen Vertretern der konservativen Moderne wie Paul Bonatz, Paul Schmitthenner und später Rudolf Schwarz, die alle im Elsass oder in Lothringen geboren und später in Frankreich sehr geschätzt wurden.
Die von Jean-Louis Cohen und Hartmut Franck kuratierte Schau beeindruckt mit einer Opulenz an Material und einem Fundus an Theorie, die an die besten Zeiten des DAM erinnern. Anders als in Straßburg sind die insgesamt neun Sektionen klar gegliedert und in einer Arbeitsatmosphäre präsentiert: jeweils vor einer anderen Hintergrundfarbe und mit vielen zusätzlichen erläuternden Texten. Verschachtelte Ausstellungswände und dichte Hängung im Erdgeschoss des Hauses am Schaumainkai, in dem das Geschehen bis zum 2. Weltkrieg aufbereitet wird, nehmen dabei ebenso gefangen wie die großzügigere Dokumentation der darauffolgenden Jahre im 1. Obergeschoss. Die Ausstellung macht deutlich, wie eng beieinander die Entwicklungen in der Architektur dies- und jenseits des Rheins verliefen. In den Grenzregionen, die nicht nur einmal den Herrscher wechselten, im Elsass und in Lothringen, an der Saar, im Rheinland und in der Pfalz, versuchte man mit prägnanten Gebäuden und Stadtplanungen den jeweils eigenen nationalen Stempel aufzudrücken.
Gezeigt wird etwa ein wunderbares Blatt von Bodo Ebhardt von 1900, auf dem der Architekt die von der Abendsonne in flammendes Rot getauchte Ruine der elsässischen Hohkönigsburg über dem Oberen Rheintal zeichnete. Bis 1908 restaurierte Ebhardt die ursprünglich von den Staufern gebaute Burg, bis
Wilhelm II. sie „als ein Wahrzeichen deutscher Kultur und Macht bis in die fernsten Zeiten“ in Empfang nehmen konnte.
Gezeigt wird etwa ein wunderbares Blatt von Bodo Ebhardt von 1900, auf dem der Architekt die von der Abendsonne in flammendes Rot getauchte Ruine der elsässischen Hohkönigsburg über dem Oberen Rheintal zeichnete. Bis 1908 restaurierte Ebhardt die ursprünglich von den Staufern gebaute Burg, bis
Wilhelm II. sie „als ein Wahrzeichen deutscher Kultur und Macht bis in die fernsten Zeiten“ in Empfang nehmen konnte.
Ein knapp zehn Quadratmeter großes Modell dokumentiert die Planungen von Edouard Menkès, ehemaliger Mitarbeiter von Robert Mallet-Stevens, für den Wiederaufbau von Saarlouis im französischen Protektorat Saarland von 1947. Dass die Besatzungs-armee unterschiedliche Vorstellungen hatte, wie und in welchem Geist Deutschland wieder aufzubauen sei, zeigen die Planungen für Mainz. Während Marcel Lods auf Befehl des französischen Stadtkommandanten mit einer Stadt nach der Charta von Athen auch demokratischen Geist an den Rhein bringen wollte, ließ der von den Alliierten eingesetzte, später demokratisch gewählte Oberbürgermeister Emil Kraus mit Unterstützung des französischen Hohen Kommissars Pierre König von Schmitthenner einen eher traditionalistischen Wiederaufbauplan erarbeiten. Kurz danach berichtete die Zeitschrift L’Art Sacré unter der Überschrift „Nos amis d’Allemagne“ über Kirchen von Emil Steffann, Rudolf Schwarz und Otto Bartning. Wegen deren „Strenge“ und „Architektur der Armut“ empfahl das von Dominikanerpatern gegründete Blatt diese Gotteshäuser als Vorbild für den Wiederaufbau von im Krieg zerstörten französischen Kirchen. Als Abschluss des sakralen Wiederaufbaus kann die Berliner Gedächtniskirche gelten: Ein imposantes Modell der Betonglastafeln erzählt von der Zusammenarbeit zwischen Egon Eiermann und dem französischen Glaskünstler Gabriel Loire beim Bau dieses Gotteshauses. Nahezu jedes Exponat bringt eine weitere Facette gemeinsamer Architekturgeschichte. So legt denn der Besuch der Schau die These nahe, sich künftig, wenn nicht forschungs- oder darstellungsökonomische Gründe dagegensprechen, von einer nationalen Architekturgeschichte zu verabschieden. Ein fast gleichlautender Vortrag von Cohen und Frank am 8. Januar im Museum für Angewandte Kunst läutet denn auch das Finale dieser ebenso aufschlussreichen wie anspruchsvollen Ausstellung ein.
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