Koolhaas’ Biennale – und was machen die Kollegen?
Editorial
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Koolhaas’ Biennale – und was machen die Kollegen?
Editorial
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Anfang Juni öffnen sich in Venedig die Türen. 21 Kuratoren aus zehn Ländern geben vorweg schon mal Auskunft, was sie von Koolhaas’ These halten, die Moderne habe die Eigenschaften der Architektur ihrer Länder weggesaugt.
Dass Rem Koolhaas bei dieser seiner Biennale die ganze Welt zum Thema machen würde, war keine Überraschung. Wer sich heute nicht mit der Globalisierung beschäftigt, ist in den Augen des niederländischen Architekten naiv. Vor Studenten der Londoner AA definierte er 2006 das Ziel der Arbeit seines Büros OMA als globales Expertentum und ließ unmittelbar darauf ein Memento an die jungen Kollegen folgen: „... was ich an unserem Berufsstand traurig finde, ist, dass wir innerhalb der Architektur so unglaublich erfindungsreich und kreativ sind ..., aber außerhalb der Disziplin haben wir solch einen Mangel an Wissen und Information über die Welt.“ Ein solches „Wo stehst du, Kollege?“ hat er 2013 auch den Kuratoren der Nationenpavillons in Venedig auf den Weg gegeben, deren Spielfeld allerdings programmatisch auf die eigene nationale Klause eingeschränkt bleibt. Von dort aus sollen sie anhand des Themas „Absorbing Modernity 1914–2014“ über die Welt und über das, was die Moderne im Gewand der heutigen Globalisierung im eigenen Land ausgerichtet hat, nachdenken. Diese Biennale verspricht, politischer als ihre Vorgängerinnen zu werden. Sicher ist auch: Es ist die erste Biennale seit 1980, die sich wie „The Presence of the Past“ so konsequent als Retrospektive aufrollt. Dieser Blick zurück musste die Vertreter der nationalen Kulturpolitik auf den Plan rufen. Im Vorfeld gab es Opfer. Der Kommissar des russischen Pavillons, Grigory Revzin, wurde Anfang April im Zusammenhang mit seinen Äußerungen zur Ukrainepolitik Russlands gefeuert. Die von ihm ausgewählten Kuratoren des Strelka Instituts wollten sich zu den Umständen nicht äußern, sie bleiben „neutral“.
Anachronistische Länderpavillons | Es ist wie ein Ritual: Die Teilnehmer haben sich gegen die Biennale-typische nationale Vereinnahmung, die das Nebeneinander der Länderpavillons mit sich bringt, immer gewehrt. Das betrifft Architekten wie Künstler, die in Venedig im jährlichen Wechsel ihre Biennale haben. Besonders deutlich tat dies im letzten Jahr Ai Weiwei – einer der drei im deutschen Pavillon ausgestellten Künstler: „Ich muss gestehen, dass mich die nationalen Pavillons nie interessiert haben. Mir behagt auch die Idee nicht, dass ein Künstler eine Region repräsentiert (...) Im globalen Zeitalter erweist es sich als zunehmend komplizierter und widersinniger, ein Werk oder eine Denkweise mit einer bestimmten Region zu identifizieren.“ Kunst und Architektur spielen in anderen Ligen, aber die Frage der nationalen Identifikation ist für beide Disziplinen gleichermaßen delikat. Wohin wird, so die offene Frage vor der Eröffnung, diese „erzwungene Identifikation“ die Kuratoren treiben – die meist von einem Auswahlgremium unter Federführung des Kultur- respektive Bauministeriums gekürt werden? Grob geschätzt zwei Drittel der diesjährig 66 Länderpräsentationen werden auf die eigene Architekturgeschichte zurückblicken.
Im eigenen Sandkasten | Diese Zwickmühle hat uns interessiert. Wir haben im Vorfeld der Biennale 21 Kuratoren aus zehn Ländern gebeten, über das „work in progress“ ihrer Ausstellung zu reden und den eigenen Ansatz zu erläutern. Darunter die zielstrebigen Deutschschweizer Architekten Savvas Ciriacidis und Alex Lehnerer , die eine perfekte Replik des Bonner Kanzlerbungalows von Sep Ruf in Ernst Haigers NS-klassizistischen deutschen Pavillon schieben; die drei amerikanischen Kuratorinnen der Storefront Gallery, die aus der globalisierten Architektur eine Kritik am Eroberungsdrang amerikanischer Großbüros machen; die Forscher des Strelka Instituts aus Moskau, die den Gipfel der neuen russischen Architektur in einer Messeveranstaltung sehen, und die subversiven Strategen des Institute of Architecture aus Krakau, die am Nachbau des Grabmals des polnischen Nationalisten Jósef Piłsudski zeigen, wie Repräsentationsarchitektur im Sinne von Gordon Matta-Clark mit einem Schnitt dekonstruiert werden kann. Die Artikulation von Macht im Sinne einer repräsentativen nationalen Architektur interessiert aber viele Kuratoren nur am Rande. Sie benutzen die Aufgabenstellung eher als Reibungsfläche für ein Statement mit manchmal ironischem Unterton, um klarzumachen, dass die althergebrachten Grenzen politischen Denkens, Staat und Gesellschaft, Zentrum und Peripherie, nicht mehr funktionieren. Mit stoischer Ruhe etwa lässt der österreichische Kurator Christian Kühn 200 Parlamentsbauten aus aller Welt nachbauen, um den Klassizismus zum Sieger einer stilistischen Analyse zu küren – keine Chance für die Krake der „absorbierenden Moderne“. Dabei tauchen überraschende Querverbindungen auf, etwa in der offensichtlichen Orientierung des nordkoreanischen Parlaments am finnischen, wenn auch der nordkoreanische Nachbau plumper ausfällt als sein Vorbild. Die Ambivalenz der Aufgabe zwischen politischer Instrumentalisierung und lokaler Identität der Architektur klingt auch in anderen Antworten durch. Cino Zucchi, Kurator des italienischen Pavillons, erklärt, dass es stilmäßig gesehen „keine nationale italienische Architektur mehr gibt“, um im selben Atemzug von einer „anomalen Moderne in Italien“ zu sprechen. Ähnlich macht es die japanische Kuratorin Kayoko Ota: Sie interpretiert den japanischen Pavillon als traditionellen asiatischen Speicherbau, als eine Kiste, in der alles Mögliche gelagert und jetzt ausgestellt wird, aber eben nicht die Manifestation einer „nationalen Architekturkultur“.
Epiphänomen 60er und 70er Jahre | Die Frage bei dieser Biennale lautet nicht so sehr: Wer macht beispielhafte Architektur? Sondern: Wo liegen die vorzeigbaren Erfolge der nationalen Architekturproduktion? Wo liegen die Fehler? Welche Rolle spielt die jeweilige Kulturpolitik? Deren Erfolge, das legen sowohl Koolhaas’ Ausstellungskonzept als auch die gewählten Schwerpunkte der Kuratoren nahe, liegen selten in der Gegenwart. Selbst die Niederlande verweisen zwar stolz darauf, dass die moderne Architektur ein „Teil der niederländischen Identität“ sei, so kürzlich bei einer Auftaktveranstaltung in Berlin, aber das Interesse des diesjährigen Pavillonkonzepts gilt Bakema und den 60er Jahren. Die zukunftsorientierten Projekte der 60er Jahre werden, so viel ist sicher, die großen Stars der Biennale werden. Kayoko Ota ist da allerdings einen Schritt weiter: Sie propagiert, mehr von den widerständigen Ins-Feld-Gehern und Ethnographen-Architekten der 70er Jahre zu lernen.
Jenseits der bipolaren Bedingungen? | Die Vorgabe 1914–2014 schränkt ein und zwingt die Biennale-Kuratoren, sich an der Frage nach der historischen Beispielhaftigkeit der „eigenen“ Architektur abzuarbeiten, die zur Gesellschaft Stellung bezieht. Der französische Historiker Jean-Louis Cohen bezeichnet seine Darstellung der französischen Moderne zwischen 1935 und 1975 als kritisch bzw. „pessimistisch“. Diese Biennale, dieses Paradox sieht auch Cohen, macht auf die Defizite der nationalen Kulturstrategien in der Auseinandersetzung mit den Anpassungsleistungen an die Globalisierung aufmerksam, ohne dieser Kritik aber einen gemeinsamen Platz einzuräumen. Denn es sind ja vor allem „bipolare Antworten“, die von den Länderpavillons erwartet werden. Die Produktions- und Zirkulationsformen von Architektur haben sich im Laufe der letzten 100 Jahre von Grund auf verändert. Das Spannungsfeld der Globalisierung verweist heute auf das Klima, auf Migration und Massenwohnen, auf stadtplanerische Regularien, auf vernetzte und dezentralisierte Produktionsbedingungen und auf die Datenkontrollen. Die Architektur ist Teil einer globalen Entwicklungsmachine, der mit der Fixierung auf Landesgrenzen nicht beizukommen ist – die Machtmechanismen und Nivellierungsstrategien des globalisierten Zeitalters lassen sich von innen kaum mehr beeinflussen, das machen schon die entfesselten Immobilienmärkte in den Großstädten klar. Ohne einen sozialen und kulturellen Begriff der Globalisierung geht es nicht. Wo aber, wie bei dieser Biennale, die Identitätsfrage im Vordergrund steht, bleibt für die drängenden Antworten, die solche Strukturen einfordern, kaum ein Blick frei. Inwieweit die „Fundamentals“, also der von Rem Koolhaas kuratierte Teil der Ausstellung, diesen Blick von außen übernimmt, darauf wird man jetzt gespannt sein.
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