Bauwelt

Künstler-Räume

Die Staatsgalerie Stutt­gart untersucht den Mythos Atelier

Text: Baus, Ursula, Stuttgart

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Jonathan Meese, Der Märchenprinz, 2007, Video in Farbe und mit Ton, Laufzeit ca. 15 Minuten
Jonathan Meese Office, Berlin © VG Bildkunst, Bonn 2012

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Jonathan Meese, Der Märchenprinz, 2007, Video in Farbe und mit Ton, Laufzeit ca. 15 Minuten

Jonathan Meese Office, Berlin © VG Bildkunst, Bonn 2012


Künstler-Räume

Die Staatsgalerie Stutt­gart untersucht den Mythos Atelier

Text: Baus, Ursula, Stuttgart

Der heute 43-jährige, gern provozierende Künstler Jonathan Meese taucht seine Hände in Farbe, tanzt durch sein Atelier, in dem überall Leinwände aufgespannt sind, „malt“ an allen Bildern gleichzeitig und singt dabei: „Ich bin der Märchenprinz, ich bin der Märchenprinz.“
Zu sehen ist diese bemerkenswerte Video-Inszenierung von Kunstproduktion im Foyer der Stuttgarter Staatsgalerie, und schon gleich ahnt man: Ja, das Atelier ist des Künstlers Welt en miniature und en gros. Und Einblicke in diese Welten offenbaren viel mehr als das Interieur einer Wohnung mit Arbeitsplatz. In der Staatsgalerie kann man sich dank einer kenntnisreich und geduldig kuratierten Ausstellung auf eine Reise durch rund siebzig Künstlerateliers seit etwa 1800 einlassen.

Was das Atelier dem Künstler bedeutet, reicht von der Kemenate (Spitzwegs Der arme Poet von 1839 durfte nicht fehlen) über den Ort intimer Zweisamkeit von Künstler und Modell bis zur wohlüberlegten Selbstinszenierung: Allein schon Picassos Bild Das Atelier von 1927/28 neben Roy Lichtensteins Reflexionen über das Atelier des Künstlers von 1989 zu sehen, lohnt den Besuch der Ausstellung. Ebenso aber auch jener Raum, in dem die Liaison zwischen Giacometti und seinem kleinen Atelier in Skizzen und Fotografien offenbart wird. Neben den Ateliers als programmatischen Bildmotiven sind wohl die Nachbauten die besonderen Attraktionen dieser Schau: So kann man die Dimension von Ernst Ludwig Kirchners Dachstube in der Berliner Körnerstraße 45 erfahren; die Rekonstruktion von Daniel Spoerris Chambre No. 13 im Hotel Carcassonne, Paris, 1959–65, in einer Assemblage von 1998 durchschreiten; Dieter Roths Bar O von 1978–98 inspizieren oder in das kleine, vom Ingenieur Frans Postma rekonstruierte Atelier von Piet Mondrian in der Rue du Départ in Paris, wo er 1921–36 lebte, hineingehen – ein experimenteller Raum wie Schwitters’ Merzbau von 1933. Fast zweihundert Exponate auf stattlichen 2500 Quadratmetern in der Neuen und der Alten Staatsgalerie reizen mit einer Fülle und Vielfalt, die eine thematische Ausstellung von einer monographischen wohltuend unterscheidet.

Denn es gibt noch mehr zu sehen: die Romantik in Caspar David Friedrichs Zimmer mit Staffelei, gemalt von Georg Friedrich Kersting (1811), oder Carl Gustav Carus’ Malereistube im Mondschein (1826), die Pracht von Hans Makarts Atelier in der Gusshausstraße in Wien oder Max Liebermanns Atelier des Malers am Brandenburger Tor in Berlin (1902). Die Eigenart von Raum, Bild und Bewegung erschließt sich aber auch in aufregenden Darstellungsweisen der Gegenwart: Thomas Demands Foto jenes Modells, das er 1997 zu Jackson Pollocks Atelier in East Hampton baute, überrascht durch eine Spannung zwischen Licht und Dunkelheit, die einem fast den Atem nimmt. Welche Geheimnisse – und schon sind wir wieder beim Voyeurismus – die Dunkelheit birgt, zeigt denn auch ein Video von Bruce Nauman. In Mapping the Studio I von 2001 sieht man die Werkstatt des Künstlers in New Mexico in ihrer ganzen nächtlichen Unheimlichkeit: Motten fliegen und Mäuse huschen durchs Bild, merkwürdige (Katzen-?) Geräusche künden von nichts Gutem, was sich da
ereignen mag.

Ziehen Architekten Nutzen aus der Ausstellung? Ja. Denn die Schau erzählt wieder einmal vom Reiz des Raums, wozu er animieren kann, wozu er sich programmatisch nutzen lässt. Die Kraft künstlerischer Raumaneignung und -gestaltung erinnert daran, dass es etwas genuin anderes gibt als den Neufert, die HOAI oder parametrisches Entwerfen.

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