Kultur und Keramik
M9 – Museum des Novecento in Mestre
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Kultur und Keramik
M9 – Museum des Novecento in Mestre
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Zeitgleich zur Eröffnung der 12. Architekturbiennale in Venedig feierte die Nachbarstadt Mestre den prämierten Entwurf für ein neues Museum im Herzen der Stadt. Es soll unter anderem durch ein Einkaufszentrum finanziert werden, das ebenfalls zur Planungsaufgabe der eingeladenen Wettbewerbsteilnehmer gehörte. Die Fertigstellung des Gesamtprojekts kündigten die Initiatoren mutig für das Jahr 2014 an.
Auf der Fahrt über die Lagune nach Venedig wollen die meisten Besucher von Mestre die spröde Kulisse aus Erdölhafen, Raffinerien und Anlagen der Schwerindustrie schnell hinter sich lassen. Bei jedem Besuch schaue ich mich dennoch um und staune über die Dimension des Industriegebiets, das die Größe Venedigs weit übertrifft. Zwei Welten stehen sich hier gegenüber: Venedig, eine Stadt mit heute nur noch knapp 80.000 Einwohnern und rund 22 Millionen Touristen im Jahr, und vis-à-vis auf der Terraferma, Mestre, die in letzter Zeit wieder florierende Industriestadt mit mehr als doppelt so vielen Einwohnern. Die Städte, die unterschiedlicher nicht sein können, gehören als Gemeinde zusammen und bilden auch wirtschaftlich eine Einheit. Venedig ist eine der weltweit größten „Touristen-Geldmaschinen“, Mestre lebt von der Industrie und der Versorgung Venedigs mit Gütern und Dienstleistungen. Während in Venedig finanziell gut gestellte Ausländer um die begehrten Wohnimmobilien buhlen, ziehen immer mehr junge Venezianer nach Mestre, da es sich dort unkomplizierter und vor allem günstiger leben lässt.
Mit ihrer Gründung vor 18 Jahren hat sich die Fondazione di Venezia zur Aufgabe gemacht, die Region Venedig-Mestre zu fördern. Das Geld kommt vor allem von der Sparkasse, ein Gremium entscheidet über die Projekte, die früher von der öffentlichen Hand finanziert wurden. Seit 2005 verfolgt die Stiftung das Ziel, der im Schatten Venedigs stehenden und wegen der Kommerzzentren am Stadtrand wirtschaftlich leidenden Innenstadt von Mestre ein kulturelles Zentrum zu geben: das „M9 – A New Museum for a New City“, ein Museum des 20. Jahrhunderts mit den Schwerpunkten Industrie-, Sozial- und Stadtbaugeschichte, bei der auch der italienische Futurismus eine Rolle spielen wird. Ein Saal für Sonderausstellungen, eine Mediathek und ein Auditorium sollen das M9 zum Veranstaltungszentrum, zur „Werkstatt des Wissens“ machen. „M9“ steht für Mestre und für il Novecento, wie das 20. Jahrhundert im Italienischen genannt wird. Über ein konkretes Ausstellungskonzept oder über eine bereits vorhandene Sammlung war bei der Vorstellung des Projekts allerdings nichts zu erfahren. Die Rede war jedoch von einer digitalen Bilder- und Informationsshow mit vielen Effekten, die die Besucher aktiv einbindet.
Im kleinen Kreis
Sechs renommierte Architekturbüros, die beim Museumsbau und bei Planungen in alter Bausubstanz bedeutende Werke vorzuweisen haben, hat die Stiftung für einen Realisierungswettbewerb eingeladen: Massimo Carmassi, David Chipperfield, Pierre-Louis Faloci, Luis Mansilla & Emilio Tuñón, Matthias Sauerbruch, Louisa Hutton sowie Eduardo Souto de Moura. Die Auswahl der Architekten, die Beratung und das gesamte Management lag, wie auch bei früheren Großprojekten in Venedig und Mestre (Bauwelt 8.08), in den Händen einer zentralen Figur der Stadt mit großer Autorität: Francesco Dal Co, u.a. Hochschullehrer für neuere Architekturgeschichte an der IUAV Venedig und seit 1996 Direktor von „Casabella“.
Einkaufen für den Museumserhalt
Giuliano Segre, Präsident der Fondazione di Venezia, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Venedig und Vorsitzender der Jury, erklärte mir während der Präsentation der Preisträger das Finanzierungskonzept. Die Stiftung könne nur Projekte im Bereich Kultur und Forschung in die Wege leiten, die sich selbst tragen. Entsprechend dieser Vorgabe sei die Planungsaufgabe formuliert worden. An der Via Poerio befindet sich eine leer stehende Kaserne, ursprünglich ein Augustinerinnenkloster mit schönem Hof, dessen Baugeschichte bis ins späte 16. Jahrhundert zurückreicht. Daneben, nur durch eine Kapelle getrennt, schließt ein Gebäudekomplex mit Büros an. Die Lage dieser Bauten gegenüber der Fußgängerzone mit der lang gezogenen Piazza Ferretto biete sich aus der Sicht der Fondazione (bzw. ihrer Berater) für eine kommerzielle Aufwertung an. Die Kaserne soll zu einem Einkaufszentrum (4500 m²) ausgebaut, das Bürogebäude (4400 m²) als Mietobjekt neu vermarktet werden. Von den Einnahmen soll der Betrieb des dahinter vorgesehenen Museumsneubaus (8000 m²) sichergestellt werden, der zudem ein Café, ein Restaurant und Shops aufnehmen soll. Das Museum soll dem Kulturquartier eine eigene Identität geben und den Stadtraum aufwerten.
Eine neue Piazzetta del Museo
Das ausschließlich italienisch besetzte Preisgericht entschied sich für den Vorschlag von Sauerbruch Hutton. Im Teilbereich der ehemaligen Kaserne, der unabhängig vom Museum zu gestalten war, lassen die Architekten die neue Architektur nach außen hin kaum in Erscheinung treten. Die Läden des Einkaufszentrums liegen auf drei Ebenen um den Hof herum, sie werden über abseits gelegene Rolltreppen verbunden.
Die Funktionen des Kulturzentrums haben die Architekten auf vier Baukörper verteilt und diese städtebaulich geschickt arrangiert. Der große Museumsbau auf annähernd dreieckigem Grundriss und drei kleinere Baukörper (zwei von ihnen sind ehemalige Reitställe auf der Westseite des Grundstücks) bilden ein Ensemble, das sich um einen neuen Platz, die „Piazzetta del Museo“ gruppiert. Der Museumsbaukörper nimmt die Fluchtlinien der Umgebung auf. Die Ausstellungsbereiche befinden sich in den Obergeschossen, eine 50 Meter lange Rampentreppenanlage mit Fensterbändern ist seitlich zur neuen
Piazzetta angefügt. Seine Fassade trägt deutlich die Handschrift der Architekten. Die farbig changierenden Fassaden wirken willkürlich, wie Dekor. Die Architekten wollen die Farben des Ortes „interpretieren“, doch braucht Mestre an diesem Ort dieses Farbenspiel? Bei diesem Projekt haben sie nicht an bunte Keramikbaguettes wie beim Münchner Museum Brandhorst (Bauwelt 7.09) gedacht, sondern an Keramikplatten. Ein Ansporn für die italienische Keramikindustrie, ein neues Produkt zu entwickeln und zu vermarkten?
Mit ihrer Gründung vor 18 Jahren hat sich die Fondazione di Venezia zur Aufgabe gemacht, die Region Venedig-Mestre zu fördern. Das Geld kommt vor allem von der Sparkasse, ein Gremium entscheidet über die Projekte, die früher von der öffentlichen Hand finanziert wurden. Seit 2005 verfolgt die Stiftung das Ziel, der im Schatten Venedigs stehenden und wegen der Kommerzzentren am Stadtrand wirtschaftlich leidenden Innenstadt von Mestre ein kulturelles Zentrum zu geben: das „M9 – A New Museum for a New City“, ein Museum des 20. Jahrhunderts mit den Schwerpunkten Industrie-, Sozial- und Stadtbaugeschichte, bei der auch der italienische Futurismus eine Rolle spielen wird. Ein Saal für Sonderausstellungen, eine Mediathek und ein Auditorium sollen das M9 zum Veranstaltungszentrum, zur „Werkstatt des Wissens“ machen. „M9“ steht für Mestre und für il Novecento, wie das 20. Jahrhundert im Italienischen genannt wird. Über ein konkretes Ausstellungskonzept oder über eine bereits vorhandene Sammlung war bei der Vorstellung des Projekts allerdings nichts zu erfahren. Die Rede war jedoch von einer digitalen Bilder- und Informationsshow mit vielen Effekten, die die Besucher aktiv einbindet.
Im kleinen Kreis
Sechs renommierte Architekturbüros, die beim Museumsbau und bei Planungen in alter Bausubstanz bedeutende Werke vorzuweisen haben, hat die Stiftung für einen Realisierungswettbewerb eingeladen: Massimo Carmassi, David Chipperfield, Pierre-Louis Faloci, Luis Mansilla & Emilio Tuñón, Matthias Sauerbruch, Louisa Hutton sowie Eduardo Souto de Moura. Die Auswahl der Architekten, die Beratung und das gesamte Management lag, wie auch bei früheren Großprojekten in Venedig und Mestre (Bauwelt 8.08), in den Händen einer zentralen Figur der Stadt mit großer Autorität: Francesco Dal Co, u.a. Hochschullehrer für neuere Architekturgeschichte an der IUAV Venedig und seit 1996 Direktor von „Casabella“.
Einkaufen für den Museumserhalt
Giuliano Segre, Präsident der Fondazione di Venezia, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Venedig und Vorsitzender der Jury, erklärte mir während der Präsentation der Preisträger das Finanzierungskonzept. Die Stiftung könne nur Projekte im Bereich Kultur und Forschung in die Wege leiten, die sich selbst tragen. Entsprechend dieser Vorgabe sei die Planungsaufgabe formuliert worden. An der Via Poerio befindet sich eine leer stehende Kaserne, ursprünglich ein Augustinerinnenkloster mit schönem Hof, dessen Baugeschichte bis ins späte 16. Jahrhundert zurückreicht. Daneben, nur durch eine Kapelle getrennt, schließt ein Gebäudekomplex mit Büros an. Die Lage dieser Bauten gegenüber der Fußgängerzone mit der lang gezogenen Piazza Ferretto biete sich aus der Sicht der Fondazione (bzw. ihrer Berater) für eine kommerzielle Aufwertung an. Die Kaserne soll zu einem Einkaufszentrum (4500 m²) ausgebaut, das Bürogebäude (4400 m²) als Mietobjekt neu vermarktet werden. Von den Einnahmen soll der Betrieb des dahinter vorgesehenen Museumsneubaus (8000 m²) sichergestellt werden, der zudem ein Café, ein Restaurant und Shops aufnehmen soll. Das Museum soll dem Kulturquartier eine eigene Identität geben und den Stadtraum aufwerten.
Eine neue Piazzetta del Museo
Das ausschließlich italienisch besetzte Preisgericht entschied sich für den Vorschlag von Sauerbruch Hutton. Im Teilbereich der ehemaligen Kaserne, der unabhängig vom Museum zu gestalten war, lassen die Architekten die neue Architektur nach außen hin kaum in Erscheinung treten. Die Läden des Einkaufszentrums liegen auf drei Ebenen um den Hof herum, sie werden über abseits gelegene Rolltreppen verbunden.
Die Funktionen des Kulturzentrums haben die Architekten auf vier Baukörper verteilt und diese städtebaulich geschickt arrangiert. Der große Museumsbau auf annähernd dreieckigem Grundriss und drei kleinere Baukörper (zwei von ihnen sind ehemalige Reitställe auf der Westseite des Grundstücks) bilden ein Ensemble, das sich um einen neuen Platz, die „Piazzetta del Museo“ gruppiert. Der Museumsbaukörper nimmt die Fluchtlinien der Umgebung auf. Die Ausstellungsbereiche befinden sich in den Obergeschossen, eine 50 Meter lange Rampentreppenanlage mit Fensterbändern ist seitlich zur neuen
Piazzetta angefügt. Seine Fassade trägt deutlich die Handschrift der Architekten. Die farbig changierenden Fassaden wirken willkürlich, wie Dekor. Die Architekten wollen die Farben des Ortes „interpretieren“, doch braucht Mestre an diesem Ort dieses Farbenspiel? Bei diesem Projekt haben sie nicht an bunte Keramikbaguettes wie beim Münchner Museum Brandhorst (Bauwelt 7.09) gedacht, sondern an Keramikplatten. Ein Ansporn für die italienische Keramikindustrie, ein neues Produkt zu entwickeln und zu vermarkten?
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