Laboratorium einer neuen Menschheit
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Laboratorium einer neuen Menschheit
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Taucht Dresden nach dem Debakel um den 2009 aberkannten Welterbe-Titel doch wieder auf der Unesco-Liste auf? Ein privat initiierter Antrag für die Gartenstadt Hellerau hat Fahrt aufgenommen.
Der erste Schritt zur Aufnahme in die Welterbe-Liste ist geschafft: Das Ensemble aus Gartenstadt, Möbelwerkstätten und Festspielhaus in Dresden-Hellerau ist sächsischer Kandidat für die Tentativliste, die Vorschlagsliste für zukünftige Unesco-Nominierungen Deutschlands. Aus diesem Anlass präsentieren die Deutschen Werkstätten Hellerau eine kleine Ausstellung mit dem Titel „Hellerau – Plan und Leben“ zur Entwicklung der 1909 gegründeten Mustersiedlung. Der Architekturhistoriker Nils Schinker hat die Schau konzipiert. Sie vermittelt die Essenz seiner vor kurzem auch als Buch veröffentlichten Forschungsergebnisse, die eine wichtige Grundlage für die Welterbe-Bewerbung bilden.
Bereits die Internationale Städtebau-Ausstellung 1910 in London präsentierte ein Modell von Hellerau. Hellerau, von reformorientierten Protagonisten um den Möbelfabrikanten Karl Schmidt, den Architekten Richard Riemerschmid und den Werkbund-Geschäftsführer Wolf Dohrn initiiert, war nicht nur die erste Gartenstadt Deutschlands, sondern galt auch international geradezu als Sinnbild für Ebenezer Howards sozialreformerische Vision einer genossenschaftlich organisierten Siedlung im Grünen mit kurzen Wegen zwischen Wohnen, Arbeiten und Kultur. „Laboratorium einer neuen Menschheit“ hat der französische Dichter Paul Claudel Hellerau nach einem Besuch 1912 genannt.
Nils Schinker lenkt den Blick des Ausstellungsbesuchers auch auf weniger bekannte Aspekte – von der Fabrikeinfahrt, die um eine alte Eiche herum gebaut wurde, bis hin zu nicht realisierten Plänen von Paul Bonatz für die Siedlung Heideweg (1942). Und seine Analyse der früheren Bewohner nach Beruf und sozialer Stellung erzeugt ein lebendiges Bild der Reformsiedlung, in der viele Künstler und Intellektuelle lebten (nur ein kleiner Teil der Werkstätten-Mitarbeiter wohnte dort). Zur Ergänzung der Schau hat man die DAM-Wanderausstellung „UNESCO Welterbe – eine Deutschlandreise“ (Bauwelt 15.2013) in die Deutschen Werkstätten bringen lassen, die die bis dato 38 deutschen Welterbe-Stätten vorstellt – was durchaus als Ansporn für die weiteren Bemühungen in Hellerau um den Ehrentitel zu verstehen ist.
Kulturdenkmal seit 1955
Das deutsche Verhältnis zur Unesco ist durch das kurze Intermezzo der „Kulturlandschaft Dresdner Elbtal“ als Welterbestätte (2004–09) beeinträchtigt. Erstmals in Europa wurde damals ein Welterbe-Titel aberkannt, weil Dresden die umstrittene Waldschlößchenbrücke über die Elbe baute, obgleich die Unesco davor gewarnt hatte. Doch in Hellerau, am Rande der sächsischen Landeshauptstadt gelegen, herrscht in dieser Hinsicht ein völlig anderer Geist: Den Hellerauern ist die architektonische und kulturhistorische Bedeutung des Ensembles, das sich seit den frühen 20er Jahren größtenteils in Privathand befindet, immer bewusst gewesen. Der Siedlungskern ist bereits seit 1955 als Kulturdenkmal eingetragen, um „schlimme Entstellungen“ zu verhindern und eine „künftige Entwicklung im Sinne der Gründer“ zu gewährleisten. Das von Heinrich Tessenow geplante Festspielhaus kam 1979 auf die Zentrale Denkmalliste der DDR. Während der Wende formierte sich eine erste Initiative zur Wiederbelebung des lange Jahre von der Roten Armee genutzten Geländes als Kulturstandort. Ein weiterer Verein hat in den letzten Jahren die vernachlässigte Waldschänke, den Ort der Gartenstadt-Gründungsversammlung, gekauft, in Eigenregie saniert und dort ein Bürgerzentrum eingerichtet. Die Initiative zum Unesco-Antrag ging von lokalen privaten Akteuren aus wie dem Verein Bürgerschaft Hellerau e.V., den Deutschen Werkstätten Hellerau und dem Europäischen Zentrum der Künste Dresden, welches das Festspielhaus bespielt. Der Antrag fokussiert auf die lebensreformerischen und ästhetisch-avantgardistischen Aspekte, die architekturgeschichtliche Bedeutung sowie die Theatergeschichte des Festspielhauses.
Welterbe-Bewerbungen aus Deutschland sind in letzter Zeit inflationär: Seit 2011 hat die Unesco fünf Stätten neu akkreditiert; aktuell wird gerade die Aufnahme des Klosters Corvey geprüft. Anfang Februar hat die Bundesregierung mit der Hamburger Speicherstadt und dem Naumburger Dom zwei weitere Anträge eingereicht. Acht Kandidaten befinden sich noch auf der Tentativliste. Diese läuft jedoch Ende 2015 aus und muss von der Kultusministerkonferenz neu zusammengestellt werden. Helleraus Konkurrenz ist etwa mit dem vom Berliner Senat eingereichten Anwärter-Paar Karl-Marx-Allee/Hansaviertel (Bauwelt 4) durchaus hochkarätig. Doch die Gartenstadt kann neben den Kriterien „Einzigartigkeit“ und „Authentizität“, die die Unesco fordert, auch mit ihren Bewohnern punkten. Die sind baukulturell aufgeschlossen, identifizieren sich mit dem Quartier und engagieren sich seit langem für einen möglichst originalgetreuen Erhalt des Ensembles. Und sie (miss-)verstehen den Welterbe-Titel nicht als tourismusförderndes Label, sondern begreifen ihn als Verpflichtung zur Bewahrung ihres kostbaren Gutes für nachfolgende Generationen.
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