Lehre mit Oscar Niemeyer
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Lehre mit Oscar Niemeyer
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
In den sechziger und frühen siebziger Jahren hielt sich Oscar Niemeyer in Frankreich auf. In Brasilien herrschte zu dieser Zeit das Militär und raubte dem sich als Kommunisten bezeichnenden Architekten die Freiheit zu arbeiten.
Das Projekt für den Flughafen von Brasilia, der Stadt, an deren Planung er mit repräsentativen Gebäuden mitgewirkt hatte, wurde ihm damals entzogen. In Frankreich entstanden mehrere Bauten: die Zentrale der Kommunistischen Partei an der Place du Colonel Fabien in Paris und, mit Unterstützung des damaligen Kulturministers André Malraux, das Kulturzentrum von Le Havre (Bauwelt 45.2005) sowie die „Bourse du travail“ in Bobigny.
Niemeyer kam in den sechziger Jahren auch nach Algerien und wurde vom damaligen Präsidenten des Revolutions-rates und späteren Staatspräsidenten Houari Boumediene (1927 –78) hofiert. Der politisch engagierte Architekt passte gut ins Bild, das das neue, von Frankreich unabhängige Algerien von sich zeichnete. Nähere Informationen zu Niemeyers Projekten sind nur spärlich zu bekommen. Die Fondação Niemeyer teilte uns mit, dass man nach dem Tod des Architekten im Januar 2012 erst einmal daran arbeite, sein Werk vollständig zu archivieren. Das Büro in Algier, mit dem Niemeyer eng zusammengearbeitet hat, gibt es nicht mehr.
Das sicherlich bekannteste Projekt in Algerien, das auch umgesetzt wurde, sind die Bauten für die Universität in der Stadt Constantine im Nordosten des Landes. Die Universität in Algier findet im Œuvre von Niemeyer kaum Erwähnung. Der im September 1974 eröffnete Campus ist bis heute ein Aushängeschild für das Hochschulwesen des Landes. Betrachtet man die Bauten näher, fällt auf, dass die großen Gesten Niemeyers sich hier nicht in den Vordergrund drängen. Zudem bleibt alles grau, in Beton brut. Beim Auditorium hat man sogar die Vermutung, dass Niemeyer mit der Umsetzung nicht mehr näher befasst war. Sein Fürsprecher Boumediene war erkrankt und starb 1978. Die Entscheidung hinsichtlich der Lage vom Campus in Bab-Ezzouar (Luftfoto Seite 28), so erzählt man uns während des Besuchs, sei sicherlich durch die Studentenrevolten 1968 in Paris beeinflusst worden. Man wollte die Studenten ganz bewusst vor der Stadt unterbringen.
Von Charme kann man hier nicht reden, eher von einem starken, unverwechselbaren Charakter. Das Morbide ist sehr dominant. Alle Bauten und die Außenanlagen sind noch so zu sehen, wie sie damals geplant waren. Die Universität ist ein Zeitdokument par excellence. Selbst die Bänder der Tablettabgabe in der Mensa des Studentenhauses, dem wohl interessantesten Gebäude, sind noch im Original vorhanden. Man hat den Eindruck, als wäre der Ort verlassen worden. Doch dies ist nicht der Fall, denn innen drängen sich heute viel mehr Studenten, als ursprünglich geplant waren. Im Rundbau, wo sich früher ein von der DDR geliefertes Rechenzentrum befand, steht heute eine moderne Computeranlage des „Campus numérique francophone d’Alger“.
An den Rändern haben sich in der Zwischenzeit Bauten ohne architektonische Bedeutung hinzugesellt. Drum herum entstanden Wohnblocks. Im folgenden Beitrag hat der Architekturstudent Hakim Ribiai die Gesamtanlage näher betrachtet. Anschließend stellt die Dozentin Miriam Chabou-Othmani ihre Architekturschule von Algier vor, die Niemeyer in Teilen ebenfalls entworfen hat. In der Nähe der Universität befindet sich zurzeit die bedeutendste Baustelle des Landes. Dort entsteht die Große Moschee von Algier (Seite 24).
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