Bauwelt

„Man gibt uns die Schilder, um die Kosten für ihre Beseitigung zu sparen“

Das Sammlerpaar

Text: Rasmus-Zgorzelska, Agnieszka, Warschau

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Ilona Karwińska und David Hill
Foto: Szymon Rogiński

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„Man gibt uns die Schilder, um die Kosten für ihre Beseitigung zu sparen“

Das Sammlerpaar

Text: Rasmus-Zgorzelska, Agnieszka, Warschau

Es gibt handlichere Dinge, die man sammeln kann. Ilona Karwińska und David Hill haben es die Neonschilder angetan, die lange Jahre das Bild polnischer Städte prägten. Sie haben davon gerettet, was noch zu retten war.
Tausende Neonschilder wurden in den 50er, 60er und 70er Jahren im Zuge einer landesweiten „Neonfi­zierungs“-Initiative in Polen installiert. Nach dem Ende des Kalten Krieges, als sich die polnische Ökonomie mit Macht den Prinzipien der Marktwirtschaft anpasste, sind die meisten dieser Schilder aus dem öffentlichen Raum verschwunden. Doch seit einiger Zeit beginnt man in Polen, die Qualität der Entwürfe, ihre besondere Ästhetik, ihre nostalgische Schönheit wieder zu schätzen. Interessante Dinge tun sich: Die Medien protestieren gegen den Abbau erhaltener Neonzeichen. Die junge Künstlerin Paulina Ołowska bezahlt aus eigener Tasche die Restaurierung des legendären Warschauer „Volleyballspielers“. Und in einem Industriegebiet in Praga, am östlichen Warschauer Weichselufer, haben die Fotografin Ilona Karwińska und der britische Grafiker und Typograf David Hill ein Neon-Museum gegründet.
Wie kamen Sie auf die Idee, sich polnischen Neonschildern aus der Nachkriegszeit zu widmen?
David Hill | Als Ilona mich 2005 über Weihnachten nach Warschau einlud, spazierten wir durch die Stadt, und mir fielen diese riesigen Neonschilder auf. Viele funktionierten noch, doch noch mehr waren außer Betrieb. Viele waren englisch beschriftet, aber es fehlte jede Verbindung zu den neuen Ladenketten aus dem Westen, die gerade eröffnet hatten. Ich schlug Ilona vor, die verbliebenen Schilder fotografisch zu dokumentieren. Am Anfang stand also Ilonas Projekt, das sich zu einem gewaltigen Fotoarchiv auswuchs. Daraus entwickelte sich ihr erstes Buch, das 2007 erschien und zu einem Bestseller wurde. Ilona prägte den Begriff „polnisches Neon“, der für eine neue Schule des Designs steht.
Was hat Sie an den Schildern so fasziniert?
David Hill | Ich hatte diese Typen und Schriftarten noch nie gesehen. Sie wirkten auf mich einmalig und neu, dabei habe ich beruflich täglich mit Typografie zu tun. Später erfuhr ich, dass sie von bekannten polnischen Künstlern und Grafikern der 50er, 60er und 70er Jahre entworfen worden waren. Sie hatten besondere Schriftarten einzig und ausschließlich für einen bestimmten Laden, eine Einrichtung oder ein Gebäude entwickelt. Ich war verblüfft. Wie war das möglich? Wie konnte man Hunderte oder gar Tausende eigenständige Schriften kreieren? Wir fassten den Plan, alle Neonschilder in Warschau zu dokumentieren, angefangen mit „Berlin“, das immer noch an einer Fassade am Plac Konstytucji hing. Das Schild warb für einen Laden mit Textilien aus der DDR. Als wir wieder hingingen, um es zu fotografieren, war es gerade abgenommen worden und sollte entsorgt werden.
Sie konnten „Berlin“ vor der Zerstörung bewahren?
Ilona Karwińska | Ich habe eine Reihe von Telefonaten mit den Besitzern des neuen Ladens, einer Elektronikfirma, geführt. Schließlich konnte ich mit deren Direktor sprechen. Er sagte: „Ja, es liegt auf dem Hof und soll entsorgt werden. Aber wenn Sie es haben wollen, nehmen Sie es mit.“
David Hill | Wir brachten das Schild zur Firma „Reklama“, um es restaurieren zu lassen. Wie wir später erfuhren, hatte diese Firma das Schild 1974 angefertigt. Heute arbeiten vielleicht noch eine Hand voll Leute bei „Reklama“; in der Spitzenzeit der Neonfizierung hatte die Firma 300 bis 400 Beschäftigte. Man war begeistert, „Berlin“ nach so vielen Jahren wieder in der Werkstatt zu sehen. „Berlin“ wurde sozusagen zum Grundstein des Neon-Museums.
Ilona Karwińska | Mit all unserem Material hatten wir eine erste Ausstellung in London. Danach wurden wir zu einer großen Ausstellung im Palast der Kultur und Wissenschaften in Warschau eingeladen. Zur selben Zeit erfuhr ich, dass der Botschafter Luxemburgs in Polen das Neonschild „Ambassador“ des gleichnamigen Restaurants besaß. Ich bat ihn, uns das Schild für die Ausstellung zu leihen. Er bot es uns als Leihgabe an, unter einer Bedingung: unsere Ausstellung auch in Luxemburg zu zeigen. Darauf gingen wir natürlich gerne ein. Im Anschluss schenkte er uns das Schild.
Wie sind Sie zu den übrigen Schildern gekommen?
David Hill | Meist durch glücklichen Zufall. Wir kamen irgendwo vorbei und sahen, wie die Leute die Schilder gerade abnahmen oder verpackten. Das Schild des Kinos „Praha“ etwa hatte ein Agraringenieur mitgenommen, der an dem Abbruch des Kinos beteiligt war. Wir hörten, dass er viele derartige Neonschilder mitgenommen hatte, vermutlich um das Altmetall zu verwerten. Wir fuhren zu seinem Hof – er lebt außerhalb Warschaus –, kauften die Sachen und zogen sie auf seinem Feld aus dem Dreck.
Gehen wir in die 60er und 70er Jahre zurück: Damals waren Tausende an der landesweiten „Neonfizierung“, der Neonschild-Initiative, beteiligt. Das Projekt stand in bemerkenswertem Kontrast zur wirtschaftlichen Misere.
David Hill | Warschau war nach dem Krieg nahezu vollständig zerstört, es war düster und deprimierend. Und nach Stalins Tod brauchte es ein Aufbruchsignal. Das Neonschilder-Projekt war ein Versuch, die neu aufkommende Konsumhaltung mit dem Sozialismus zu versöhnen. Neonschilder sollten das neue Medium sein, um den Städten ein internationales Flair zu verleihen, den Menschen Hoffnung zu geben und sich der Welt als erfolgreich zu präsentieren. Der Staat steckte enorme Ressourcen, eine Menge Geld und Zeit, in das Projekt. Für die Wirtschaft war das desaströs.
Gab es solche Schilder nur in der Hauptstadt?
David Hill | In der schlesischen Industriestadt Katowice gab es mehr Neonschilder als in Warschau! In Katowice besaß jede Fabrik, jeder Betrieb, alles und jedes sein Neonschild – ach was: zwan­zig oder dreißig Neonschilder. Die Anzahl der Schilder, die man beim Chefgrafiker des Neonschild-Imperiums bestellen konnte, war offenbar unbegrenzt. In den vier Jahren von 1958 bis 1962 wurden rund 390 Millionen Meter Neonröhren produziert, eine Strecke von der Erde bis zum Mond. Das konnte nicht ewig so weitergehen. Und es war ein leeres Versprechen. Die Straßen funkelten hoffnungsvoll und vermit­telten den falschen Eindruck, die Wirtschaft blühe auf. Tatsächlich aber steckte Polen ab den späten 70er Jahren in ernsthaften ökonomischen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten.
Wurden die Neonschilder damals gewartet?
David Hill | Anfänglich schon. Arbeitskollektive fuhren durch die Städte und tauschten jeden Buchstaben, der nicht leuchtete, umgehend aus. Man wollte jeden Hinweis auf Schwierigkeiten im Land vermeiden.
Ilona Karwińska | Nach 1981 und mit dem Aufkommen der Solidarno´s´c wurden viele Neonschilder ausgeschaltet – der Staat konnte sich den Unterhalt nicht mehr leisten. Manche Historiker meinen aber, das sei bewusst geschehen, um die Menschen zu bestrafen, die die Neonschilder mochten. Im Verlauf dieser unruhigen Jahre gingen leider auch sehr viele Schilder verloren.
Aber auch später, in den 90er Jahren, wurden das Design und die Typografie der Schilder nicht wirklich geschätzt ...
David Hill | Im Wettlauf darum, an den Westen anzuschließen, wollte vor allem die politische Klasse alle Hinweise auf frühere Verbindungen zur Sowjetunion loswerden – und die Neonschilder gehörten dazu.
Wie kamen Sie dazu, in der „Soho-Fabrik“ das Museum einzurichten?
Ilona Karwińska | Wir hatten vier Jahre lang eine Garage in Bródno im Norden Warschaus, wo wir die wachsende Schildersammlung lagerten. Schließlich war der Raum voll. Die Architekten Marcin Garbacki und Karolina Tunajek vom Büro „Projekt Praga“ gaben uns den Hinweis, dass auch Rafał Bauer, der Besitzer der Soho-Fabrik, ein Neonschild-Enthu­siast sei. Wir setzten uns mit ihm in Verbindung, und er lud uns ein, unser Museum dort auf dem ehemaligen Industrie-Areal unterzubringen, und zwar in dem ältesten erhaltenen, aus Holz konstruierten Fabrikgebäude Polens. Im Mai 2012 haben wir das Museum eröffnet. Die Soho-Fabrik ist ein altes Industriegelände in Praga am Ostufer der Weichsel; das Areal wird gerade neu erschlossen. Einige der Gebäude dort sind hundert Jahre alt, andere stammen aus den 50er, 60er und 70er Jahren. Heute finden sich dort Galerien, Cafés, Restaurants und Architekturbüros – es ist das kreative Zentrum Warschaus. Rafał Bauer hat die Restaurierung mehrerer großer Neonschilder finanziert, die nun, gewissermaßen als Verlängerung des Museums, die Soho-Fabrik schmücken – an den Fassaden, wo sie auch hingehören.
Sie planen, auch künftig nach Neonschildern zu suchen und sie vor der Zerstörung zu bewahren?
David Hill | Ich hoffe, dass uns das gelingt. Doch realistisch betrachtet wird die Stunde kommen, wo keine mehr zu finden sein werden. Aber wir haben ein wunderbares Archiv und 60 bis 70 Neonschilder – eine wirklich große Sammlung.
Ilona Karwińska | Ein paar Neonschilder haben wir auch in situ erhalten. Doch in den meisten Fällen ist das nicht möglich. Man bietet uns die Schilder nur aus einem Grund an: Die neuen Besitzer der Gebäude wollen das Geld für die Beseitigung der Schilder sparen. Allerdings sind sich schon
einige unserer Spender des historischen Werts dieser Objekte bewusst und bringen sie uns auf eigene Kosten.
Glauben Sie, dass die Schilder nächste Generationen von Designern inspirieren werden?
David Hill | Das geschieht bereits heute. Ilonas Fotodoku­mentation hat das öffentliche Interesse sicher erneuert, aber wir wissen genau, dass es noch andere Leute gab – Künstler, Architekten, Designer –, die sich für die Neonschilder begeisterten und die sie erforschten, ehe wir das taten.
Ilona Karwińska | Als wir 2005 begannen, uns mit dem Thema zu beschäftigen, wusste keiner mehr so genau, wa­rum diese Neon-Zeichen einst geschaffen worden waren, wofür sie standen und wie viele die Zeiten überdauert hatten. Die breite Öffentlichkeit war gleichgültig gegenüber ihrem Verschwinden.
David Hill | Heute verwenden viele Eigentümer von Bars, Cafés, Imbissen und Restaurants Neonschilder, und Grafikdesigner werden beauftragt, neue Schilder in diesem Stil zu entwerfen. Die polnische Schule des Neonschilds erlebt ihre Wiederauferstehung. Wie weit das gehen wird, weiß ich nicht.
Verfolgen Sie irgendwelche Entwicklungspläne für Ihr Neonmuseum?
David Hill | Unter anderem starten wir in dieser Woche eine App, eine virtuelle Führung durch das Museum und durch die Straßen von Warschau, die dem Nutzer zeigt, wie das Stadtbild einst aussah – wofür wir Ilonas Fotos und zeitgenössische Bilder verwenden. Wir wollen Schülern und Kindern das Museum nahebringen, Führungen anbieten, die Menschen über Design, über jene historische Epoche und auch über die faszinierenden naturwissenschaftlichen Aspekte der Neon­beleuchtung informieren. Als privates Museum mit beschränktem Budget können wir nur organisch wachsen – auf Basis von Spenden, mit viel eigener Arbeit und mit Unterstützung von unserem Sponsor RWE.
Der gesamte Komplex der Soho-Fabrik wird neu entwickelt, alte Industriebauten werden von Wohnungen oder sonstigen Nutzung verdrängt. Werden Sie bleiben können?
David Hill | Das Gebäude ist denkmalgeschützt und kann daher nicht abgerissen werden. Deshalb hoffen wir, bleiben zu können. Am Rand der Soho-Fabrik entstehen neue Loft-Apartments. Und auf dem Gelände selbst gibt es genügend Platz für neue Entwicklungen: Viele der vorhandenen Bauten sind nicht mehr als provisorische, schlecht gebaute Ba­racken aus den 50er und 60er Jahren, die sich problemlos durch neue Wohngebäude ersetzen lassen – und das wird vermutlich in den nächsten Jahren auch geschehen. Die wich­tigen alten Bauten aber werden erhalten und für kulturelle Zwecke verwendet, Ausstellungen, Konzerte, Veranstaltungen. Es muss eine Balance geben, denn die Bewohner der neuen Apartments brauchen hier auch öffentliche Orte, wo sie hingehen können. Der Investor weiß sehr genau um diese kulturellen Bedürfnisse der Leute. 

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