Mies konzertant
Das Krefelder Golfclubhaus als 1:1-Modell
Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf
Mies konzertant
Das Krefelder Golfclubhaus als 1:1-Modell
Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf
Ein weiterer Mies in Krefeld? Und nicht irgendeiner, sondern einer von 1930, als sich der Architekt auf dem Höhepunkt seiner europäischen Karriere befand – zeitgleich entworfen mit den Villen Lange und Esters und ein Jahr nach dem Barcelona-Pavillon, mit dem dieser „neue Mies“ sich hinsichtlich des Volumens wie der Reife der Architektursprache ohne weiteres messen kann.
Ludwig Mies van der Rohes Clubhaus für den Krefelder Golfclub, in dem die Seidenbarone der Stadt ihrem Freizeitvergnügung hätten nachgehen sollen, was aber an der Weltwirtschaftskrise scheiterte, ist also doch noch realisiert worden; in Form eines asymmetrischen Kreuzes breitet es sich, umgeben von Getreidefeldern, auf einer Kuppe aus.
Die Kunsthistorikerin Christiane Lange, Urenkelin des Mies-Bauherrn Hermann Lange, hat das Projekt initiiert und vorangetrieben (Bauwelt 9.13). Sie beauftragte das Genter Büro Robbrecht en Daem, nach den in New Yorker Archiven verwahrten Entwürfen – verschiedene Skizzen und ein ausformulierter Grundriss – ein temporäres 1:1-Modell zu errichten. Gut 300 Meter vom ursprünglich vorgesehenen Grundstück entfernt (das liegt heute im Naturschutzgebiet), aber in ähnlicher topographischer Lage steht es nun da: ein Modell fast ganz aus Holz, dessen weiß geschlämmte, die Holzmaserung sichtbar lassende Oberflächen eine leise Ahnung vom Marmor vermitteln, den Mies hier vorgesehen hatte.
Den Besucher begrüßt ein 50 Meter langes, weit in die Landschaft ausgreifendes Vordach, das auf sieben mit Edelstahl ummantelten, kreuzförmigen Stützen ruht und der Vorfahrt der Limousinen dienen sollte. Die Stützen sind im Übrigen das einzige ausgeführte Zitat Mies’scher Materialästhetik. Das Haus betritt man über einen ausgedehnten Vorraum, bewegt sich in zweimaligem Richtungswechsel durch fließende Strukturen, lässt die nur in Ansätzen ausgeführten Büro- und Umkleidetrakte seitlich liegen und gelangt entlang einer 20 Meter langen „Glasfront“ in den „Saal“, der sich zur überdachten Terrasse öffnet und das Landschaftspanorama jenseits davon bühnenreif vorführt: Architektur als Landschaftsinszenierung.
Darf man das?
Bei all dem hält das Modell sichtbar, dass Mies längst nicht alles spezifiziert hatte. Wände aus unbehandelten Sperrholzplatten zeigen an, wo über Material und Fenstergrößen noch nicht entschieden war; die Glasfront zur Terrasse ist nur durch Holzleisten im Boden aus Betonplatten angedeutet. Insgesamt eine abstrakte Form der Inszenierung, die, so die Kuratorin Lange, auch die Fantasie der Besucher herausfordert, vor allem aber das räumlich-kompositorische Denken von Mies eindrucksvoll vermittelt.
Im Unterschied zum Barcelona-Pavillon von 1986, der allgemein als die Kopie eines Originals gehandelt wird, sind Zweideutigkeiten hier vermieden worden. Ganz strukturalistisch haben Robbrecht en Daem auf die Aura des Materials verzichtet und das Modellartige herausgestellt. Dennoch stand und steht im Hintergrund die Frage: „Darf man das?“ Schätzt man die Reaktionen der Besucher wie die Statements der Teilnehmer eines bestens besetzten Symposiums im „Saal“ des Clubhauses richtig ein, so scheint die vorherrschende Meinung zu sein: Man darf. Wilfried Kühns Vortrag etwa konnte man so verstehen: In Zeiten, in denen wie beim Berliner Schloss vermeintliche Authentizität durch Steinmetzarbeit wie ein Fetisch suggeriert werde, sei der Weg zurück zum reduktiven Modell fast schon Ausdruck von Ehrlichkeit.
Vielleicht hilft die Analogie zur Musik, die in der zeitgenössischen ästhetischen Theorie gern aufgegriffen wird. Vergleicht man die Bauentwurfszeichnung mit der Partitur eines Musikstücks, gar der einer Oper, so gibt es in der Architektur zwar anders als in der Musik tatsächlich nur eine echte Aufführung, die eine Werkidentität begründen kann, doch kann man beim Krefelder 1:1-Projekt vielleicht sagen: Es handelt sich um die konzertante Aufführung eines Opernmanuskripts. Die Aufführung dauert bis 27. Oktober, Ort: Krefeld Egelsberg.
0 Kommentare