Bauwelt

Mythos und Spektakel

Clemens von Wedemeyer im MAXXI Rom

Text: von Beckerath, Verena, Berlin

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Foto: Matteo Monti/MAXXI

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Mythos und Spektakel

Clemens von Wedemeyer im MAXXI Rom

Text: von Beckerath, Verena, Berlin

Kaum ein Besucher, von denen es in Rom so viele gibt, verlässt das Centro Storico und verliert sich in den Rändern und Vorstädten außerhalb der Aurelia­nischen Stadtmauer, abgesehen von der von Gräbern und Skulpturen gesäumten Via Appia Antica.
In deren Nähe, eingebettet in die römische Campagna, befindet sich das Gelände der Cinecittà. Die Filmstadt steht sowohl für die Monumentalität der Imagination als auch für die Krise der Filmindustrie.
Das Museum MAXXI für die Künste des 21. Jahrhunderts von Zaha Hadid (Bauwelt 3.2010) bietet mit der Galleria 5 einen Bereich für kuratierte Kunstprojekte und Einzelausstellungen. Die räumlichen Bedingungen, die die Architekten hier bereit gestellt haben, sind für die Künstler eine große Herausforderung. Mit einer mehrteiligen Installation hat Clemens von Wedemeyer – der Berliner Künstler ist derzeit Stipendiat der Villa Massimo in Rom – einen überzeugenden Weg gefunden, die Galerie in den künst­lerischen Parcours einzubeziehen. „The Cast“ ist eine verdichtete Erzählung über Raum und Zeit, in deren Zentrum der Mythos von Cinecittà und die Produktionsbedingungen des Filmemachens stehen.
Drei inhaltlich und formal jeweils eigenständige Video-Arbeiten bespielen gut zwei Drittel der Galerie, die, in dunklem Grau gestrichen, quasi ausgeblendet wird. Zwei einfache Sperrholzbauten, einer gerade, der andere zum Halbkreis gebogen, besetzen den Raum und dienen als Projektionsfläche.
„Afterimage“ ist eine 6-minütige Videoinstallation, die als Loop gezeigt wird. Die Kamera durchwandert das Atelier einer Requisiten- und Skulpturenwerkstatt in Cinecittà, das zugleich auch Depot ist und als Familienunternehmen in der vierten Generation geführt wird. Hunderte von Körpern und Objekten füllen den Raum. Das Video beruht auf einem dreidimensionalen Laserscan, der in Pixelkoordinaten umgewandelt und anschließend animiert wurde. Umgeben von der gekrümmten Oberfläche der Projektion wird der Betrachter Teil des virtuellen Raums.
Die Videoarbeit „The Beginning. Living Figures Dying“ thematisiert das Verhältnis zwischen Personen und Skulpturen. Fragmente aus Filmen von Méliès und Cocteau bis hin zu Fellini und Godard sind experimentell zu einer Zeitachse montiert. Als bewegte Installation im Raum beziehen sie den Betrachter mit ein.
Für das 14-minütige Video „Procession“ entsteht mit wenigen Sitzbänken ein kleines Kino. Der Schwarz-Weiß-Film handelt von einem dokumentierten Ereignis bei den Dreharbeiten zu Ben Hur in Cinecittà im Jahr 1958, das von Mino Argentieri, Augenzeuge, Kritiker und Filmhistoriker, erzählt wird. Während eines Castings und der Filmprobe für eine römische Prozession demonstrieren vor den Toren der Studios Arbeitslose, die eine Anstellung als Statisten verlangen, bis Polizeigewalt sie aus­einander treibt. Im Video sind es Schauspieler und Aktivisten des Teatro Valle Occupato, des ältesten Theaters von Rom, das 2011 wegen der bevorstehenden Privatisierung besetzt und seither kollektiv bespielt und verwaltet wird, mit denen die Rollen besetzt sind, und die im weiteren Verlauf der Geschichte in der Gegenwart agieren. Die Verschränkung von Ereignissen, die zu ganz unterschiedlichen Zeiten soziale Gerechtigkeit forderten und den Anspruch auf den öffentlichen Raum reklamiert haben, ist das Thema des Films, der damit unmissverständlich die gegenwärtige Krise in Italien anspricht.
Im taghellen letzten Drittel der Galerie befinden sich Gussformen für Skulpturen und Körperteile sowie zwei klassisch anmutende Statuen aus Fiberglas, die Deukalion und Pyrrha aus Ovids Metamorphosen darstellen. Die kopflosen überlebensgroßen Statuen, die bei einer professionellen Requisitenwerkstatt in Auftrag gegeben wurden, stehen mit dem Rücken zum Raum. Sie sind dem Fenster und dem öffentlichen Stadtraum zugewandt und halten Steine in den Händen, bereit zum Wurf. Spätestens hier, am Ende der Erzählung, wird deutlich, dass es sich bei The Cast um eine fein gesponnene Kunstschau um Realität und Fiktion, Mythos und Spektakel, Dokumentation und Anarchie handelt, in deren Mittelpunkt der Betrachter steht.
Fakten
Architekten von Wedemeyer, Clemens, Berlin; Zaha Hadid Architects, London
aus Bauwelt 47.2013
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