Bauwelt

Ränder ohne Entwicklungsdruck

Die Randbebauung

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Foto: Jürgen Hohmuth, Zeitort

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Ränder ohne Entwicklungsdruck

Die Randbebauung

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Das Flugfeld frei zu lassen, ist Konsens in Berlin. Um den Landeshaushalt zu entlasten, sollen nur die Ränder bebaut werden. Doch mit der Entwicklung tut die Stadt sich schwer: Was immer hier an privaten Nutzungen geplant ist, kann auch auf zentraleren Brachen unterkommen, etwa entlang der Spree. Ein Leitbild könnte helfen, doch scheinen die Verantwortlichen das Bekenntnis zu einer Idee und die daraus folgenden Konflikte scheuen.
„Tempelhofer Freiheit“ lautet der Arbeitsbegriff für das ehrgeizige Unterfangen, eines der größten europäischen Baudenkmäler und eine der größten innerstädtischen Freiflächen des Kontinents in die Zukunft zu führen. Doch ist das mit der Freiheit so eine Sache: Frei von dem Joch „Flugbetrieb“ mag das Tempelhofer Feld nun sein, frei zu einer neuen Bestimmung aber scheint es sich noch nicht so recht wenden zu können – zumindest, was seine mögliche Bebauung betrifft. In der Tat knüpfen sich einige Fragen an die bislang bekannten Absichten, welche offen in der Stadt (und darüber hinaus) zu diskutieren unvermeidbar ist, soll das Tempelhofer Feld eine neue Rolle für Berlin als Ganzes spielen. Das aber ist nicht nur aus der historischen Bestimmung des Ortes heraus bindend, sondern folgt schlicht auch aus dem engen finanziellen Handlungsrahmen der Hauptstadt.
Kritische Rekonstruktion fehl am Platz
Die Leere, die sich zwischen Columbiadamm im Norden, Schillerkiez im Osten, Ringbahn im Süden und Tempelhofer Damm im Westen öffnet, übertrifft selbst in dieser, an Leere gewöhnten Stadt alle vertrauten Dimensionen: Steht man in ihrer Mitte, ist nichts mehr zu hören vom Leben der Dreieinhalbmillionen ringsum, allein das Sirren der Luft liegt in den Ohren. Doch das Schweigen dieser Weite ist nicht die Ursache für das Zögern, das jede Entscheidung begleitet. Warum Berlin sich so schwer tut, mit dieser „Freiheit“ zu agieren, dürfte, neben ihrer scheinbaren Grenzenlosigkeit, zum einen an der  schlichten Absenz jeder bedingungslosen Notwendigkeit liegen, diesen Raum mit neuen Zwecken aufzufüllen, zum anderen daran, dass sich hier mit den jahrzehntelang erprobten Werkzeugen der „Kritischen Rekonstruktion“ keine Vorstellung herstellen lässt von dem, was geschehen könnte. Hier gibt es, außer den Spuren des Luftverkehrs, keine historischen Strukturen, die sich aufdecken und zurückgewinnen bzw. neu interpretieren lassen, und die angrenzenden Quartiere bedürfen zumindest als bauliche Struktur keiner Ergänzung. Das Tempelhofer Feld ist ein Ort für Anfänge.
Umso erstaunlicher mutet an, dass die Fragen der künftigen Bebauung – wird überhaupt gebaut, und wenn ja: wo, was und in welcher Dichte? – kaum diskutiert werden, geschweige denn, dass in einem städtebaulichen Ideenwettbewerb die Möglichkeiten je ausgelotet worden wären, die das Feld als Ganzes einem wachsenden Berlin bieten könnte. Gewiss, es gab Vorstufen zu der jetzt verfolgten Strukturplanung mit ihren vier vage umrissenen Baugebieten, im Grunde aber waren zwei Prämissen in den letzten zwei Jahrzehnten immer bindend: das Innere des einstigen Flugfelds frei von Bebauung zu lassen, seine Ränder aber, dem jeweiligen Gegenüber angepasst, mit verschiedenen Nutzungen zu besiedeln.
Schnelle Leitbilder
Diese Vorgabe sollte auch von der Tempelhof Projekt GmbH, die vom Senat für die Entwicklung der Baufelder gegründet worden und seit Juli 2009 tätig ist, nicht in Frage gestellt werden. Und so ging Geschäftsführer Gerhard Steindorf mit seinem Team erst einmal auf die Suche danach, was Berlin in Zukunft benötigen könnte; parallel wurden Wünsche und Vorstellungen von Institutionen, Vereinen und Bewohnern der angrenzenden Quartiere eingeholt. In einem zweiten Schritt wurde das überraschend wenig überraschende Ergebnis im Hinblick auf die bestmögliche Verträglichkeit mit den unterschiedlichen Nachbarschaften auf den Baufeldern verteilt. Die Stichworte für die vier Areale, welche etwas mehr als ein Achtel der Gesamtfläche der „Tempelhofer Freiheit“ ausmachen: „Sport und Gesundheit“ im Norden, zwischen Flugfeld und Volkspark Hasenheide; „Dialog der Religionen“ und „Integration der Quartiere“ im Osten, gegenüber dem (noch) armen und migrantisch geprägten Schillerkiez; „Energien der Zukunft“ im Süden, entlang der lärmigen Ring- und Autobahn; und schließlich „Wissen und Lernen“ am Tempelhofer Damm, der Hauptstraße, die über den Platz der Luftbrücke hinweg das Areal mit dem Stadtzentrum verbindet und die mit U- und S-Bahn von überall her bequem zu erreichen ist. Hier, an der Südwestecke, dem Bahnhof Tempelhof nächst gelegen, soll auch ein mit 260 Millionen Euro kalkulierter Neubau für die Stadt- und Landesbibliothek platziert werden und als eine Art Katalysator für die Entwicklung wirken: Die Interessen und Bedürfnisse der erwarteten 10.000 Besucher pro Tag dürften eine ganze Reihe verschiedene ergänzende Nutzungen anlocken. Für die Planung des Bibliotheksneubaus sind bereits drei Millionen Euro im Landeshaushalt eingestellt. Die naheliegende Unterbringung der Institution im Flughafengebäude, um das Baudenkmal wenigstens in Teilen angemessen und mit Gewinn für die Öffentlichkeit zu nutzen, hat der Senat verworfen; die dort zu erwartenden langen Wege seien, so Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, zu personalintensiv und mithin für den Betrieb der Bibliothek zu teuer. Daher soll das Flughafengebäude als „Bühne des Neuen“ vermarktet werden, als Kulisse also für privatwirtschaftliche Messen, Events und Marketingveranstaltungen, wie es seit Ende 2009 bereits geschieht (siehe auch Beitrag ab Seite 72). All das klingt, gemessen am derzeitigen Planungsstand und politische Willen, realistisch. Dass die thematische Besetzung des Flugfeldrandes nicht vom Ort, von seiner besonderen Geschichte und Stimmung ausgeht, räumt Gerhard Steindorf freimütig ein: Jede „große Idee“ huldige doch bloß der Gigantomanie des Baudenkmals; das wahre Potenzial für die „Stadt im 21. Jahrhundert“ liege in der Freifläche, welche es mit Blick auf Berlin als Ganzes zu entwickeln gilt. 
Die Qualität der Baufelder
Wie die „Felder“ im Einzelnen dereinst bebaut sein werden, ist noch nicht absehbar. Das einstige Flugfeld gilt planerisch noch als Außenbereich; mithin muss erst ein Flächennutzungsplan erstellt werden, bevor, wie geplant, Ende 2012 städtebauliche Wettbewerbe für die einzelnen Gebiete durchgeführt und deren Ergebnisse schließlich in ein Be­bau­ungs­plan­verfahren gegossen werden können. Die jeweiligen räumlich-architektonischen Beziehungen zwischen Baugebiet und Flugfeld auf der einen Seite, Baugebiet und vorhandener Stadt auf der anderen und schließlich Baugebiet und Baugebiet bzw. Baugebiet und Flughafengebäude, also dort, wo sich die Randbebauung vom Parkinneren aus gesehen zur großen Gesamtfassung fügt, bedürfen noch der Klärung. Um die Wettbewerbe vorzubereiten, soll jetzt ein Gremium aus Stadtplanern, Soziologen und Ökonomen mit internationaler Erfahrung gebildet werden, kündigt Gerhard Steindorf an.
Da kein ökonomischer Entwicklungsdruck besteht, könnte die Planung im Grunde ohne Eile vorangetrieben werden – der Flughafen Tempelhof ist schließlich nicht geschlossen worden, um diese Freifläche für die Stadt zu gewinnen, sondern um dem neuen „Großflughafen“ in Schönefeld nicht im Weg zu stehen. Dem „Gemach, gemach“ entgegen steht allerdings das Event IGA, das 2017 im oberen Bereich des Flugfelds, auf der Betonplatte des Flughafenvorfelds und dem angrenzenden Stück Wiese, Besucher anlocken will; für die thematische und gestalterische Konzeption dieses Ereignisses wünscht sich die zuständige Grün Berlin GmbH möglichst bald eine verlässliche Entscheidung der Politik darüber, was auf den Baufeldern geschehen und ob die geplante Bebauung zur Urbanität des Tempelhofer Feldes beitragen soll oder nicht. Park und IGA, für die die ersten Baumaßnahmen 2013 beginnen, müssten jedenfalls auf den Charakter und die Bestimmung der Baufelder abgestimmt werden, betont deren Geschäftsführer Christoph Schmidt: Die Ränder und der Park werden einander unvermeidlich auf- oder abwerten – das aber werde politisch bislang genauso wenig diskutiert wie die Frage, welche Impulse die Baufelder nach außen, in die vorhandene Stadt, geben sollen.
Einflüsse auf die Baufelder wirken im Augenblick nur von der Freifläche her: Die Parkarchitekten vom Büro Gross.Max. haben im Detail Änderungen an den Baufelder-Chiffren vorgenommen, die die Qualität des Parks steigern sollen: So soll das Baufeld am Tempelhofer Damm den Blick auf den südlichen „Seitenflügel“ des Flughafengebäudes frei lassen, und gegenüber ist eine Art „Belvedere“ geplant, das sich den Geländeversprung zwischen Flugfeld und Schillerkiez für ein großzügiges Entrée mit weiter Übersicht zu nutze macht. Nebenan schlagen die Planer aus Edingburg den Neubau einer Schule vor, um die privilegierte Lage nicht vollständig der Privatisierung zu überlassen und ein großes Problem des Schillerkiezes – die, für ambitioniertere Eltern, geringe Attraktivität der Bildungseinrichtungen – wenigstens von der räumlichen Seite her in Angriff zu nehmen. Auch die vom Senat nur zweigeschossig gedachte Bebauung des Gewerbegebiets im Süden stellen Gross.Max. in Frage: Warum nicht eine höhere, gemischt genutzte Bebauung zulassen, die trotz der emissionsbelasteten Lage eine eigene Qualität und eine gewisse Urbanität entfalten könnte?
Diese Anregung ist insofern von Bedeutung, als sie auf eine Frage aufmerksam macht, die bei der Entwicklung der Parkränder hinter allen Überlegungen steht: Welchen Beitrag können, ja müssen die Baufelder zur Entwicklung des Parks bzw. zur Entlastung des angespannten Landeshaushalts leisten, und welche Rolle kann die „Tempelhofer Freiheit“ spielen, wenn es um die Entscheidung geht: Stadtentwicklung nach innen oder nach außen? Ist eine vertikale Bebauung auf allen vier Arealen grundsätzlich ausgeschlossen? Welche unterschiedliche Dichte vertragen die Felder, wenn sie, wie die Tempelhof Projekt GmbH mit ihrem Bottum-up-Ansatz einer gesamtstädtischen Bedarfsanalyse unterstellt, nicht nur auf der Nachbarschaftsebene Dialog führen müssen, sondern ganz Berlin betreffende Probleme zu lösen haben? Mit Widerspruch gegen die Teilprivatisierung der Randbereiche ist jedenfalls zu rechnen, vor allem auf Kreuzberger und Neuköllner Seite. Um möglichst viel Akzeptanz für die Entwicklung in jenem Teil der Bevölkerung zu erlangen, der gar keine Veränderung des Status quo will, wird der Senat nicht umhin kommen, diese Fragen endlich zu beantworten und offen zu diskutieren. 

Adresse Columbiadamm 128, 10965 Berlin


aus Bauwelt 36.2011
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