Schwarz auf Weiß
Ellsworth Kelly im Münchner Haus der Kunst
Text: Meister-Klaiber, Dagmar, Ulm
Schwarz auf Weiß
Ellsworth Kelly im Münchner Haus der Kunst
Text: Meister-Klaiber, Dagmar, Ulm
Wer Schwarz-Weiß-Bilder bevorzugt, schätzt den harten Kontrast, der ohne weichzeichnende Farbe den Wesenskern des Motivs deutlich werden lässt. Wo Zwischentöne fehlen, konzentriert sich die Bildsprache ohne Ablenkung aufs Elementare.
Ellsworth Kelly (Jahrgang 1923), der als einer der wichtigsten Vertreter der Farbfeldmalerei gilt, macht sich diese Erkenntnis seit Beginn seiner Karriere in den späten 40er Jahren zunutze: Er überprüft seine Bildideen in einer Schwarz-Weiß-Version auf ihre Konsistenz. Im Münchner Haus der Kunst sind erstmals ausschließlich diese Schwarz-Weiß-Werke des Amerikaners zu sehen.
Der schnelle Blick über die Schau erfasst: Die Werke – Bilder und Reliefs aus der Zeit von 1948 bis 2009 – sind großformatig, die Formen geometrisch und amorph, die Konturen messerscharf, die Bildflächen spurenlos glatt. Es empfiehlt sich, nach diesem ersten Eindruck Kellys Fotografien und Skizzen, die „Vorläufer“ dieser Werke, genau zu betrachten, um danach den Ausstellungsparcours noch einmal mit anderen Augen aufzunehmen. Erst dann werden Arbeitsprinzip, Motivwahl und Botschaft klar. Was vorher als sterile monochrome Geometrie erschien, wird nun zur hochverdichteten Form, destilliert aus einem speziellen Blick auf Räume und Dinge. Kelly erfindet nichts. Seine Bildformen kommen aus der Wirklichkeit: Der Schatten eines Vordachs oder einer Treppe, die Kurven eines Hügels, die Form eines Glassplitters, die Linie einer Straßenmarkierung, ein geöffnetes Scheunentor oder eine Fensterteilung werden – herausgelöst aus ihrem Kontext – zur abstrakten Figur. So wird vor allem die flächenräumliche Natur des Schattens zum Bildfundus für ein einzigartiges Formenvokabular.
Kellys Interesse gilt der Form und ihrer plastischen Wirkung, nicht deren Bedeutung; und Schwarz und Weiß werden nicht ihres Symbolgehalts wegen eingesetzt, sondern um die Form klar wiederzugeben. Mal wird ein weißes Dreieck vom Schwarz eines Quadrats an den Rand gedrängt, mal schneidet ein schwarzer Keil ein weißes Feld in verschieden große Dreiecke, oder ein gekipptes Trapez richtet sich wie eine Messerklinge an der Wand entlang auf. Riesige Metallplatten, gefaltet wie ein Stück Papier, geometrische Bildtafeln, diagonal beschnittene Ränder, aufschwingende Radialkurven, konkurrierende Formen und ihre choreografische Anordnung erzeugen eine räumliche Wirkung voller Spannung. Kelly geht es um das Verhältnis von Figur und Grund, von Bild und Wand, von Installation und Raum und um das visuelle Terrain zwischen den Formen, Umrissen und Strukturen. Wer sich in diese Szenerie hineinversetzt, entdeckt Zwischenräume und Interferenzen von großer Dynamik.
In den frühen Arbeiten vor allem entstehen Kraft und Bewegung durch bildimmanente Strukturen: Die gebrochenen und versetzt neu angeordneten Felder bei „Cité“ (1951) erzeugen ein dynamisches Gefüge; durchgeschnittene und neu gefügte Linien auf Paravent-Lamellen bei „La Combe“ (1950) bilden einen stakkatoartigen Rhythmus; die Pixel-Komposition „Seine“ (1951) gibt das flirrende Licht auf dem Fluss eindrucksvoll wieder.
Ellsworth Kellys Bildmotive, der Wirklichkeit abgeschaut, weisen, als Abstraktion, zurück auf ihren konkreten Ursprung. Kellys Kunst macht sichtbar, was jeder sehen kann – wenn er genau hinschaut.
0 Kommentare