Bauwelt

Seismograph der Stimmungen

Die MIPIM 2011

Text: Escher, Gudrun, Xanten; Brensing, Christian, Berlin

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Foto: Gudrun Escher

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Seismograph der Stimmungen

Die MIPIM 2011

Text: Escher, Gudrun, Xanten; Brensing, Christian, Berlin

Hat die Immobilien-Branche aus der Krise gelernt? Ist Deutschland das neue Boomland? Was vielleicht von der weltgrößten Immobilienmesse MIPIM, die Anfang März wieder in Cannes stattfand, bleibt.
Die Stadt den Menschen zurückgeben

Was treibt Aussteller aus 90 Ländern und 18.600 Besucher (so die offiziellen Zahlen, gefühlt waren es weit weniger) im Frühjahr an die Côte d‘Azur nach Cannes? Die überzogenen Hotelpreise und saftigen Eintrittsgelder zum Marché International des Professionels d’Immobilier (MIPIM) können es nicht sein. Dagegen bewährt sich im 22. Jahr der globale Charak­ter dieses Treffens der Banken, Projektentwickler, Investoren und Vertreter von Städten und Regionen als Gradmesser dafür, wie weit der Arm der Immobilienwirtschaft reicht: inzwischen nach Indien, China, Brasilien und in die ruandische Hauptstadt Kigali. Und die MIPIM bewährt sich als Seismograph der Stimmungen: 2008, wenige Monate vor dem Finanzcrash in den USA, überhitzte Euphorie; 2011, in beruhigtem Fahrwasser, bei guter Stimmung – aber auch bei guten Geschäften? Die Frage blieb offen.
Die einst glitzernden Projektmodelle sind meist leiseren Tönen gewichen. Das eher Bodenständige, die cash-cow für kontinuierliche Einnahmen, steht im Fokus, z.B. mit bewährter Unterstützung schweizerischer Unternehmen und Architekten, die sich hier erstmals als „ingenious switzerland“ positio­nierten. Die Erneuerung im Bestand der urbanen Agglomerationen unter wie auch immer gewichteten Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit ist weltweit das große Thema. So war bei den MIPIM Awards 2011 der gründlich überarbeitete AXA-Turm in La Défense als „First Tower“ und als Signal für die Neuausrichtung von Grand Paris erfolgreich. Und in der Kategorie Wohnen siegte nicht etwa der himmelstürmende Burj Khalifa in Dubai, sondern die Wiederbelebung des historischen Industriekomplexes Savonnerie Heyman in Brüssel durch MDW Architecture mit 42 So­zialwohnungen, natürlich Öko-qualifiziert.
„Grün“ ist Pflicht, soll eine Immobilie am Markt erfolgreich sein, so das Fazit einer Umfrage der Wisconsin Business School während der Messetage; aber genau so wichtig sei künftig der Faktor Mensch. Wie so oft sind da die Briten einen kleinen Schritt voraus, nimmt man die Initiative „Yours“ von Morston Asset als Marktindikator. Die Firma hat sich der Vernetzung von Wohnen und Arbeiten in überschaubaren Quartieren unter Ausnutzung digitaler Medien angenommen. Ausschließlich auf Brachgelände oder unter Verwendung bestehender Bausubstanz werden gemeinsam mit potenziellen Bewohnern aller Altersstufen die Konzepte erarbeitet und umgesetzt; drei Communities gibt es schon, weitere sind in Vorbereitung: Das Dorf des 21. Jahrhunderts braucht Breitbandkabel. Was dabei entsteht, ist nicht unbedingt hohe Baukunst, schließt sie aber auch nicht aus und ergibt diese eher zufällige Durchmischung von groß und klein, die eine Stadt lebendig macht.
Die Stadt den Menschen zurückgeben, das ist letztlich eines der Ziele einer erstaunlichen gemeinsamen Initiative des internationalen Verbandes der Immobilienunternehmen FIABCI und der UNECE United Nations Economic Commission for Europe, die anlässlich der MIPIM erstmals öffentlich – vor im­merhin gut 50 interessierten Zuhörern – präsentiert wurde. Die Real Estate Market Advisory Group der UNECE ist Herausgeber einer schmalen Broschüre, die es in sich hat: „Policy Framework for sustainable real estate markets. Principles and guidance for the development of a country’s real estate sector“ ist ein Plädoyer für Transparenz, für Verantwortlichkeit, für Rechtssicherheit hinsichtlich Grund und Boden, für einen fairen Ausgleich der Interessen und für nachhaltiges Wirtschaften – um Turbulenzen durch überhitzte Immobilienmärkte wie gehabt künftig zu vermeiden. Der volle Text ist im Netz verfügbar unter: www.unece.org/hlm/documents/Publications/policy.framework.e.pdf. Gudrun Escher
„Wunderkind Deutschland“

Die Wolken der Finanzkrise, die den Real Estate Himmel auf Jahre zu verdunkeln drohten, scheinen sich auf der diesjährigen MIPIM weitgehend verzogen zu haben. Aber es gab deutlich sichtbare Lücken bei den Ausstellern: Barcelona war die einzig vertretene Stadt der Iberischen Halbinsel, gleichermaßen durch Abwesenheit glänzte die Wirtschaftsregion Köln/Bonn. Stuttgart besetzte, wohl Stuttgart-21-geschwächt, einen so kleinen Stand – man hätte es auch bleiben lassen können –, und so manche Investitionsgoldgrube, sei es in Osteuropa und Russland, im Mittleren Osten oder in Asien, vergab die Chance, wenigstens in schicken Werbeprodukten zu glänzen. Dafür funkelte der Investitionsstandort Deutschland. Die Immobilienzeitung sprach von Deutschland als dem „Wunderkind“ der Immobilienbranche: steigende Mieten, fallender Leerstand, hohes Transaktions­volumen. Die Zahlen, Umsätze und Gewinne sind so gut, dass bei weiterhin niedrigem Zinssatz gar vor einer Überhitzung des Marktes gewarnt wird.
Und was kommt von der Champagnerstimmung bei den deutschen Architekten an? Sie waren wieder mit Ständen und persönlicher Präsenz auf der MIPIM vertreten. Wie ihre ausländischen Kollegen schon längst, scheinen sie ihre Scheu vor dem Immobilienkapital verloren zu haben und geben sich gewandt als Dienstleister unterschiedlichster Anforderungen und Couleur. Zwar spielt Architektur auf einer Immobilienmesse nie die erste Geige, aber als Grundrauschen ist sie unüberhörbar.
Von allen Typologien, die in Deutschland offensiv umworben werden, ist der Wohnungsbau zurzeit die unbestrittene Nummer eins. Wohlgemerkt: Gemeint sind hochpreisige Objekte in exklusiven Lagen, ebenso Hotels und Seniorenresidenzen. Die Formel für den kommerziellen Erfolg sieht so aus: innerstädtische Lage, Altbau oder Nähe zu historischen Bauten und ein Bezug zur lokalen Geschichte. In Berlin steht stellvertretend für diese Entwicklung das in den letzten Jahren mehrfach verkaufte ehemalige Boarding House Cumberland am Kurfürstendamm. Der aktuelle Entwickler, der vierte in Folge, möchte die seit langem dornröschenschlafende Immobilie in eine Adresse für gehobenes Wohnen verwandeln. Auch preislich kämpft sich die deutsche Hauptstadt langsam, aber stetig an internationales Niveau heran, der Quadratmeter im „Haus Cumberland“ kostet zwischen 3500 und 7500 Euro. In der deutschen Provinz erfüllt etwa das „Domizil Postgäßle“ mit betreutem Wohnen für Kapitalanleger oder Selbstnutzer auf dem Gelände des ehemaligen Orgelherstellers Walcker neben dem Ludwigsburger Schloss die Erfordernisse auf nahezu perfekte Weise.
Zu keiner Zeit kam in Cannes jene Euphorie auf, wie wir sie auf der Expo Real in München erlebten (Bauwelt 42.10). Deutschland als Immobilienzugpferd wird von vielen noch leidenden Volkswirtschaften gebremst bzw. noch nicht voll wahrgenommen. Vielleicht ändert sich das nächstes Jahr, wenn der Fokus noch mehr auf Deutschland liegen wird, als „Country of Honour“ der MIPIM 2012. Christian Brensing

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