Selfstorage
Editorial
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Selfstorage
Editorial
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Eine neue Bautypologie zwängt sich in die Wohnviertel hiesiger Großstädte: das Mietlager für den persönlichen Gebrauch. An manchen Orten, wie an der Perleberger Brücke in Berlin, wird es zur städtebaulichen Dominante.
40.000 Autos fahren jeden Tag über die Perleberger Brücke, die die Berliner Stadtteile Moabit und Wedding verbindet. Ich fahre mit dem Fahrrad und habe einige hundert Meter Zeit, um über Stadtentwicklung nachzudenken. Der Neubau, der zusehends in die Höhe wuchs, flankiert die Brücke. Links ein Bürohaus, rechts ein Mietlager – so sieht jetzt das Tor nach Moabit aus, in Sichtweite der Hauptbahnhof, zu Füßen eines der größten innerstädtischen Entwicklungsgebiete Berlins, die „Heidestraße/Europacity“.
Seit wann haben die Betreiber von Lagerhäusern die Genehmigung, städtebauliche Dominanten in Wohnvierteln zu errichten? Keine flachen Lagerhallen, sondern sieben Geschosse hoch, mit grundlosen Fenstern und dem Fluchttreppenhaus an der prominentesten Ecke? Oder handelt es sich um eine Ausnahme, um die Speerspitze des dahinter liegenden Gewerbegebiets?
Dienstleistung für Großstädter
Das Berliner Mietlager ist keine Ausnahme, eher ein Vorgeschmack auf die nahe Zukunft. Selfstorage ist ein Geschäftsmodell, das seit einigen Jahren auch in Deutschland Kunden findet – eine Dienstleistung für Großstädter, die nicht wissen, wohin mit ihren Sachen und die bereit sind, dafür Geld zu zahlen: sauber, sicher, videoüberwacht. Selfstorage ist keine Randerscheinung, vielmehr sind für die kommenden Jahre Neubauten in fast allen Städten mit über 200.000 Einwohnern geplant. In Hamburg, München und Berlin gehören sie bereits zum Stadtbild – bevorzugt in Wohngebieten, um die Wege der Kunden kurz zu halten.
Architekturwettbewerb? Kein einziger
Bei aller Banalität – Mietlager haben, gerade wenn sie in Wohngebieten geplant werden, auch gewisse Vorteile: Sie verursachen selbst kaum Verkehr und stehen im Gegenzug wie Schallschutzwände an befahrenen Straßen, die Gebäudehöhe ist flexibel. Die Bauherren setzen diese Argumente offensiv bei der Auseinandersetzung mit den lokalen Bauverwaltungen ein, die nicht selten froh sind, Wohngebiete von Verkehrstrassen abschirmen zu können. In Wien, wo der Marktführer MyPlace seinen Firmensitz hat, sind bereits acht der grau-rot-blauen Filialen an strategischen Punkten der Stadt platziert: „In Deutschland gibt es einen sehr starken Einfluss von der Stadt, wie das ausschauen soll. Nicht immer zum Besseren. In Wien ist man freier, dort wird einem gar nicht hinein geredet“, berichtet Geschäftsführer Martin Gerhardus.
Die rege Wiener Architekturszene hat Selfstorage bislang nicht zur Kenntnis genommen, schon gar nicht als Bauaufgabe. Resignation? Ein weiterer dekorierter Schuppen in der Masse der Gewerbebauten, die Ausfallstraßen, Bahnstrecken und Autobahnen ohnehin belagern? Unvermeidlich wie der Discounter, das Möbelhaus, das Logistikzentrum? Für die Architekten, die bis heute ausschließlich im Direktauftrag für die Unternehmen bauen, sind Selfstorage-Gebäude nicht unbedingt die Highlights im Portfolio: Man versucht, innerhalb der Vorgaben das Schlimmste zu verhindern. Man plant die Hülle, die Position der Treppenhäuser, eine kleine Variation auf die Standardfassade. Graubrot. Den Innenausbau mit Abteilen erledigt eine der international auf dieses Geschäftsfeld spezialisierten Firmen. Sich über die aggressive Corporate Identity des Unternehmens hinwegzusetzen, wie es ein Nürnberger Architekt in Zusammenarbeit mit dem Stadtbaukunstbeirat getan hat, stößt bei den Bauherren auf Unverständnis. Einen Architekturwettbewerb gab es in keinem einzigen Fall.
Häuser voller Kellerabteile
Doch die Bauaufgabe wird unterschätzt. Mimese um jeden Preis war bislang die Strategie der Stadtverwaltungen, und so sind Fake-Wohnhäuser und Fake-Bürogebäude gebaut worden, immer krampfhaft darauf bedacht, die großen Volumina in die Umgebung einzufügen. Selfstorage in der Baulücke? Lochfassade und zwei Höfe, wie die Nachbarn. Selfstorage im Einfamilienhausgebiet? Satteldach, egal wie groß. Warum hat noch niemand das Sammeln zum Thema der Architektur gemacht, das Lagern, das Sortieren? Warum wird maskiert, versteckt, verniedlicht, um am Ende das Gegenteil zu erreichen?
Die Selfstorage-Branche wirbt damit, eine hochindividualisierte Dienstleistung anzubieten – und baut Häuser mit grauen Alufassaden, die im Inneren aussehen wie eine endlose Ansammlung von Kellerabteilen, die Türen je nach Anbieter blau, grün oder orange. Die Branche fällt auf durch clevere Marketingstrategien, bis hin zum Betreiben eines Blogs (platzprofessor.myplace.eu) der sich wissenschaftlich mit dem Thema „Platz“ auseinandersetzt – und doch bleiben die Ansprüche an die Architektur funktional, auf dem Niveau des mit Werbung behängten Industriebaus. Die Branche versucht, eine gewisse Street Credibility zu erreichen, indem sie beispielsweise leerstehende Geschosse kostenfrei zur Zwischennutzung der „Berliner Tafel“ überlässt und Tauschbörsen für ihre Kunden anbietet – doch eine wirkliche Mischung mit anderen Nutzungen findet kaum statt.
Auch die serielle und kühle Ästhetik der Gänge und Türen, die der Fotograf Philipp Lohöfener für dieses Heft herausgearbeitet hat, ist für die Bauherren nur ein Zufallsprodukt. Dabei könnte sie, neben dem Sozialen, ein Ansatzpunkt für die Gestaltung sein.
Schaulager mit Publikumsverkehr
Depots, Archive – in der Architekturgeschichte gibt es viele Beispiele für städtische Lagerhäuser, man denke nur an die Speichergebäude in Hafenanlagen, die heute weltweit umgenutzt und aufgestockt werden. Das Geschäftsmodell des Selfstorage verbindet das Lagern mit der persönlichen Präsenz, da es, wie der Name schon sagt, die Kunden nicht nur zahlen, sondern auch noch selbst die Arbeit verrichten lässt: Sie lagern eigenhändig ein, sie stehen im engen Gang, sie sortieren aus. Als städtischer Bautyp ist es also, anders als eine Spedition mit Mietcontainern, ein Hybrid, für den noch keine passende Form entworfen wurde.
Im Kunstbereich gibt es Schaulager; eines der bekanntesten, das Schaulager der Laurenz-Stiftung von Herzog & de Meuron in Basel (Bauwelt 33.03), präsentiert sich mit dem Slogan: „Kein Museum, kein traditionelles Lagerhaus.“ Ein geschlossener Kubus, der die Einblicke inszeniert und nicht banalisiert, und an der Straßenseite eine öffentliche Einbuchtung für Skulpturen herausschält. Es mag weit hergeholt sein, und natürlich sind die Budgets geringer als bei einer Schweizer Stiftung – doch das Mietlager als eine Erweiterung der Wohnung und des Arbeitsplatzes, als ein dritter Standort, ist für viele inzwischen zum Alltag geworden und damit zu einer noch zu gestaltenden Bauaufgabe: „Keine Wohnung, kein klassisches Kellerabteil.“ Es sollte im Sinne der Betreiber sein, dieses Potenzial auszuschöpfen und sich von der Logik des Gewerbebaus zu verabschieden, die nur kurzfristig Profit bringt. Ein ebenfalls in der Hauptstadt geplantes Mietlager für Kunstwerke könnte ein Exempel statuieren, auch und gerade weil es ein bestehendes Verwaltungsgebäude nutzen will.
Der Blick in die Zukunft
In 20 Jahren wird das Mietlager nicht nur an der Perleberger Brücke, sondern direkt am neuen S-Bahnhof der S21 stehen, angebunden an das fertiggestellte Stadtviertel gegenüber dem Hauptbahnhof. Das 2009 günstig erworbene Restgrundstück, ein Dreieck zwischen Straße und Bahngleisen, ist längst ein Filetstück mit bester Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr; ein Grundstück, das der Bezirk jetzt gut gebrauchen könnte. Spätere Umnutzung? Für die Bauherren kein Thema, denn die Gewinnspanne pro Quadratmeter ist bei Selfstorage höher, als würde man Büroflächen vermieten; vorausgesetzt, das Haus ist voll.
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