Bauwelt

Sizilianischer Geheimtipp

Maria Giuseppina Grasso Cannizzo im Innsbrucker Architekturzentrum aut

Text: Weckherlin, Gernot, Berlin

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    2001 baute Maria Giuseppina Grasso Cannizzo für ein Ehepaar unter dem Titel SPR ein bestehendes Einfamilenhaus in Ragusa auf Sizilien um.
    Atelier MGGC

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    2001 baute Maria Giuseppina Grasso Cannizzo für ein Ehepaar unter dem Titel SPR ein bestehendes Einfamilenhaus in Ragusa auf Sizilien um.

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Ferienhaus in Noto, 2009. Reisen die Bewohner ab, schließen sie die Holzläden und schieben den herausgefahrenen Kubus zurück unters Vordach.

Foto: Armin Linke

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Ferienhaus in Noto, 2009. Reisen die Bewohner ab, schließen sie die Holzläden und schieben den herausgefahrenen Kubus zurück unters Vordach.

Foto: Armin Linke


Sizilianischer Geheimtipp

Maria Giuseppina Grasso Cannizzo im Innsbrucker Architekturzentrum aut

Text: Weckherlin, Gernot, Berlin

Der Behälter des Sudhauses im ehemaligen Innsbrucker Adambräu, der einst über mehrere Geschosse reichte, hat drei kreisrunde Öffnungen. Normalerweise sind sie zugedeckt, um die spektakuläre, aber kleine Ausstellungsfläche des dort ansässigen Tiroler Architekturzentrums aut zu vergrößern.
Die sizilianische Architektin Maria Giuseppina Grasso Cannizzo hat für ihre Ausstellung „Loose Ends“ nun ge-nau diese Öffnungen zum Ort und Mittel einer bizarren Szenerie gemacht. Während sich über einem der drei Einschnitte der gewaltige Eisendeckel in langsamem Takt öffnet und aus dem Innern des neu eingebauten, hell erleuchteten Tanks das Gezwitscher von Kanarienvögeln zu hören ist, lehnt ein anderer Deckel wackelig über dem düsteren Schlund eines weiteren Tanks. In diesem schwebt eine begehbare, steile Leitertreppe knapp über einem penetrant riechenden, pechschwarzen Ölpfuhl. Der dritte Deckel bewegt sich in kaum wahrnehmbarer Geschwindigkeit auf und ab.
So sinnlich und poetisch die Installation auch ist – sie verweist auf die harten Bedingungen im hauptsächlichen Wirkungskreis der Architektin. Die karge Region im Südosten Siziliens ist geprägt von der Erdölindustrie und der labilen geologischen Formation der Vulkaninsel. Sie verweist aber auch auf die Umstände, unter denen die 1952 in Vittoria geborene Maria Giuseppina Grasso Cannizzo ihre Bauten entwirft. Kompromisslos geht sie dabei nicht etwa von primär formalen Fragen aus, sondern von Narrativen und Kontexten. Mitunter sind das ausgesprochen unattraktive Rahmenbedingungen, wie etwa die vielen heruntergekommenen Schwarzbauten in der Nachbarschaft ihrer Projekte.
Diesem Umfeld setzt die Architektin eine formale und konzeptionelle Strenge entgegen, die die Auftraggeber gelegentlich zu großen Kompromissen gezwungen haben dürfte. Grasso Cannizzos Bauten – in der Ausstellung auf Fotos von Hélène Binet und Armin Linke präsent – dokumentieren immer auch ihren Entstehungsprozess. Die Architektin nimmt da-bei eher die Rolle einer Regisseurin dieser Prozesse ein. Musterhaft deutlich wird das bei der radikalen Transformation eines Wohnhauses in Ragusa (2001). Dem italienischen „Disney-Alptraum“ mit seinen zahllosen auskragenden Dächern und Eckbalkonen, hat sie weit mehr weggenommen als hinzufügt.
Maria Giuseppina Grasso Cannizzo ist eigentlich längst kein „Geheimtipp“ mehr, allein, ihre Wirkungsstätte liegt etwas abseits der ausgetretenen architekturtouristischen Pfade. Und so gab es bisher weder in Deutschland noch in Österreich eine größere Ausstellung zu ihren unaufgeregten Häusern, die größtenteils auf Sizilien stehen. Oft sind das „nur“ Transformationen historischer Bauten, Ein- und Mehrfamilienhäuser und einige wenige öffentliche Gebäude wie der Kontrollturm der Marina in Ragusa. Fulvio Irace, Jurymitglied der Mailänder Triennale 2012, hat die Häuser treffend als „kleine Wunder zwischen Stolz und Bescheidenheit“ bezeichnet. Grasso Cannizzo erhielt vor zwei Jahren die Goldmedaille der Triennale für ihr – noch nicht abgeschlossenes – Lebenswerk und zahllose weitere europäische Preise, so für das Ferienhaus in Noto (2009). Der unscheinbare Bau ist mit Sperrholzplatten verkleidet und hakt sich mitsamt seiner ausfahrbaren Erweiterung auf Schienen fast berührungslos an einem Steilhang über dem Meer fest.
Entwerfen ist ein Denkprozess, der materielle Sinnlichkeit stets im Blick hat, der aber unter Bedingungen stattfindet, die nur begrenzt zu kontrollieren sind – die bemerkenswerte Ausstellung und der passender Weise ungebundene Katalog („Loose Ends“) machen diese These auf großartige Weise sichtbar. Und: Wieso eigentlich nicht gleich von Innsbruck nach Sizilien weiterreisen? 

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