Sperrmüll aus Chandigarh gegen Höchstgebot
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Sperrmüll aus Chandigarh gegen Höchstgebot
Text: Meyer, Friederike, Berlin
Wie sind die Möbel, die Le Corbusier und Pierre Jeanneret in den 50er Jahren fürs indische Chandigarh entwarfen, in westliche Luxuswohnungen gelangt? Die New Yorker Künstlerin Amie Siegel hat ihren Weg zurückverfolgt. Ihr Dokumentarfilm „Provenance“ war auf der diesjährigen Berlinale zu sehen.
Wir alle kennen sie, die Fotos aus Lifestyle-Magazinen. Gut ausgeleuchtete Wohnungen, vollgestellt mit Antiquitäten der Moderne zeigen, wie sich die kunstsinnigen Erben und reichen Sammler des neuen Jahrtausends einrichten. In den Privaträumen dieser Leute beginnt der Film Provenance von Amie Siegel. Die Kamera gleitet gemächlich über das Parket einer Pariser Altbauwohnung, schaut durch die Glasschiebetür einer Jacht irgendwo auf dem Ozean, nimmt uns mit nach London, in ein Haus in Antwerpen, in eine Villa am Meer. Überall bietet sich ein ähnliches Bild: Extravagante, bisweilen bekannte Möbel schmücken die großzügigen Räume – Vintage liegt im Trend, die 50er bis 70er Jahre.
Und immer wieder rücken die gleichen hölzernen Sesselbeine ins Bild, die Polster mal mit Kuhfell, mal mit schwarzem Leder, mal mit weißem Leinen bezogen. Dann wieder Nahaufnahmen einer Gravur im Holz: C.H.72. In diesen ersten fünf Minuten weiß keiner im Publikum, der nicht Designexperte ist oder vorher über den Film gelesen hat, dass es sich hier um jene Möbel handelt, die Le Corbusier und sein Cousin Pierre Jeanneret in den 50er Jahren für Chandigarh entworfen haben. Auch in den folgenden Sequenzen in einem Fotostudio, wo die soeben gesehenen Sessel in einer Hohlkehle zurechtgerückt und mit Softboxen ausgeleuchtet werden, könnte man noch eine andere Geschichte vermuten, als die, die uns die New Yorker Filmemacherin hier erzählen will. Als aber die Sessel dann in einem Auktionshaus auftauchen und die Kaufgebote fünfstellige Summen erreichen, geht ein erstes Raunen durch den Kinosaal. Die Protagonisten des Films, das wird spätestens jetzt deutlich, sind die Sitzmöbel von Le Corbusier und Pierre Jeanneret. Es folgen Bilder aus einer Möbelwerkstatt, von einem Containerschiff auf dem Meer, der Blick in einen mit alten Stühlen vollgepackten Container.
Auf den Dächern des Regierungsviertels
Dann plötzlich Indien. Die Regierungsgebäude von Chandigarh, der Justizpalast, das Parlament und das Ministeriengebäude, sind zum Mekka von Architekten geworden. In erster Linie aber haben sie sich als Schwarz-Weiß-Aufnahmen ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Diejenigen, die das Glück hatten, die Bauten zu besuchen, erkennen in Siegels Sequenzen die für Indien typische Atmosphäre, die einerseits in den 50ern stehengeblieben scheint und andererseits ganz pragmatisch im heute lebt. Affen flitzen über den Beton, handgemalte Schilder hängen an den Türen, bräunliches Papier stapelt sich neben Rechnern und Druckern in den wuseligen Verwaltungsbüros. Während einige der turbantragenden Angestellten auf nagelneuen, noch mit Folie überzogenen Bürostühlen hin und her rutschen, türmen sich auf dem Dach deren Vorgänger. Ein zweites Raunen geht durch den Kinosaal. Es sind dieselben Stühle wie auf der Auktion, wie in den Häusern der wohlhabenden Sammler. Nur sind ihre Polster zerschlissen, wie für den Abtransport zum Sperrmüll bereit, scheinen sie dort oben ihre letzte Ruhe gefunden zu haben. Der Film endet mit einer Vorlesung in Betriebswirtschaft an der Universität von Chandigarh, die Le Corbusier und Jeanneret ebenfalls entworfen und mit Mobiliar ausgestattet haben. „Spending money“ sind die letzten Worte der Professorin.
Kulturexport und -reimport
Die Professorin ist eine der wenigen Personen, die einen der ganz wenigen O-Töne des Films spricht. Indem Amie Siegel ihre Geschichte über den ideellen und ökonomischen Wertewandel, über Kulturexport und -reimport fast kommentarlos von hinten nach vorn erzählt, spricht sie uns direkt an und lässt gleichzeitig eine maximale Projektionsfläche für eigene Gedanken. Wie fänden wir es, wenn beim Umbau eines von der Kritik gelobten Gebäudes, das eigens entworfene Interieur gegen anderes ausgetauscht würde? Wenn die originalen Stühle für Unsummen im Antiquitätenhandel auftauchten? Andererseits: Sind wir nicht alle stolz auf das eine oder andere Stück eines bekannten Designers in der Wohnung? Und hätten wir nicht auch lieber das Original anstelle des Nachbaus aus der bekannten süddeutschen Möbelfirma?
Heute sei es offiziell verboten, Möbel aus Chandigarh wegzubringen, erzählt Amie Siegel im Anschluss an den Film. Doch Indien hätte andere Probleme, als illegale Möbeltransporte zu verhindern. Im Übrigen seien die Leute, die die Chandigarh-Stühle in den Westen verschiffen, die gleichen, die vor einigen Jahren Jean Prouvés Möbel aus Afrika geholt und teuer verkauft hätten. Amie Siegel hat ihrer Geschichte einen weiteren absurden Dreh verpasst. Nachdem ihr Film im November 2013 in einer New Yorker Galerie Premiere feierte, hat sie ihn bei eben jenem Auktionshaus, in dem sie zuvor die Versteigerung der Möbel filmte, angeboten. Auch er wurde für eine fünfstellige Summe verkauft – weshalb Provenance wohl leider nicht auf DVD erscheinen wird. Natürlich hat Siegel auch diese Auktion gefilmt. Der Kurzfilm Lot 248 zeigt die Besucher einer Versteigerung, die gefilmte Besucher einer Versteigerung betrachten. Besser kann man kaum zeigen, wie eine Ökonomie in der anderen aufgeht und wie sich der Kunstmarkt fortwährend selbst befeuert.
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