Stadt und Auto
Editorial
Text: Schultz, Brigitte, Berlin; Crone, Benedikt, Berlin
Stadt und Auto
Editorial
Text: Schultz, Brigitte, Berlin; Crone, Benedikt, Berlin
Hand aufs Herz: Wie ist Ihre Beziehung zum Auto? Fahren Sie gerne? Haben Sie Ihrem Wagen einen Namen gegeben und führen ihn regelmäßig aus? Oder nutzen Sie das gute Stück nur für schwere Einkäufe? Haben Sie überhaupt eines?
Und wenn nicht: Freuen Sie sich regelmäßig, wenn Sie mit dem Fahrrad an einer Blechschlange vorbeirollen können – oder ärgern Sie sich eher, wenn Sie mal wieder den Nachtbus verpasst haben und sich umweltfreundlich die Beine in den Bauch stehen? Eines ist sicher: Das Automobil lässt niemanden kalt. Fern seiner eigentlich sehr pragmatischen Funktion, Menschen und Güter von A nach B zu transportieren, weckt es Emotionen, sowohl bei Fahrern als auch bei Nicht-Fahrern. Das mag an seiner Dominanz im Stadtraum liegen, an seiner Verankerung in unserer (Konsum)kultur, an den Werbeoffensiven der Autofirmen oder einfach daran, dass für viele das Auto von Kindesbeinen an als alltägliches Fortbewegungsmittel etabliert ist. Dabei schaffen es die meisten Menschen rätselhafterweise mit Leichtigkeit, das Auto – wie zum Beispiel lange Zeit auch Zigaretten oder, um bei einem planerischen Beispiel zu bleiben, das Einfamilienhaus mit Garten – gedanklich von seinen negativen Auswirkungen zu trennen. Vor dieser Ambivalenz sind auch die Planer nicht gefeit, die auf großen Konferenzen die Stadt der kurzen Wege predigen und die Mobilität von morgen beschwören – und dann mit dem Auto nach Hause ins Grüne fahren. Ähnlich jemandem, der neben einer Autobahn wohnt und den Lärm irgendwann ausblendet, nehmen wir die Besetzung des öffentlichen Raums durch die Massen parkender Autos kaum wahr, so selbstverständlich gehören sie zum Stadtbild. Aber tun sie das wirklich?
Wie so manche Planungsidee, die einst zwingend logisch erschien, ist die autogerechte Stadt inzwischen aus der Zeit gefallen. Während die gebauten Utopien der sechziger Jahre derzeit von jungen Architekten und Planern wiederentdeckt werden, findet sich so schnell kein Fan der autogerechten Strukturen. Aus heutiger Sicht wirken sie brutal – nicht nur, weil wir den Altstädten nachtrauern, die sie oft unter sich begraben haben, sondern auch, weil wir sie heute mit dem Wissen betrachten, dass sie die Probleme, die sie lösen sollten, nur verschlimmert haben. Diese Neubewertung korreliert mit einer allmählichen Veränderung im Mobilitätsverhalten. Seit die Innenstädte auf der Wunschliste der Wohnorte wieder ganz oben stehen, verliert das Auto in der Stadt langsam aber sicher an Relevanz – insbesondere für die nachwachsende Generation. Die Entwicklungspläne vieler Städte unterstützen den Trend. Neben wichtiger Kleinarbeit, wie der Verbesserung der Bedingungen für Radfahrer, fällt dabei vor allem der Rückbau großer Verkehrsinfrastrukturen ins Auge. Der Zahn der Zeit spielt hier dem gesellschaftlichen Wandel in die Hände: Bevor man marode Autoschneisen oder Hochstraßen für Unsummen saniert, überlegt man es sich zweimal, ob man sie überhaupt noch haben möchte.
Die in diesem Heft versammelten Beispiele aus Deutschland und Europa zeigen, dass die Entscheidung, wie viel Raum dem Auto in der Stadt des 21. Jahrhunderts zugestanden werden soll, oft nicht leicht fällt. Beispielhaft sind Städte wie Ludwigshafen, die sich fern der beliebten „Ja oder Nein“-Entscheide auf eine gründliche Diskussion mit ihren Bürgern eingelassen haben. Denn, wie Hermann Saitz in unserer Leser-Debatte ab Seite 66 schreibt: „Nur wenn wir uns ernsthaft mit den Menschen und ihren Motiven befassen, werden wir auch planerische Konzepte finden, die ohne oder mit weniger Autoverkehr auskommen.“
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