„Städtebau heißt immer auch Streit“
Urban-Design-Tagung der TU Berlin
Text: Schultz, Brigitte, Berlin
„Städtebau heißt immer auch Streit“
Urban-Design-Tagung der TU Berlin
Text: Schultz, Brigitte, Berlin
Aus einer Fernsehsendung, in der Prominente auf ihre WG-Tauglichkeit geprüft werden, kennt man das Format der „ultimativen Lobhudelei“. Eine solche ist das Symposium „Urban Design – Schlüssel zur sozialen und nachhaltigen Stadtentwicklung?“, das die TU Berlin und die Wüstenrot-Stiftung im Oktober anlässlich der Emeritierung von Harald Bodenschatz, dem „umtriebigen Professor für Architektursoziologie“ veranstalten, glücklicherweise nicht geworden.
Ganz im Sinne der Arbeitsweise des Geehrten – „Städtbau heißt immer auch Streit“ – stand vielmehr eine interdisziplinäre, kritische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Urban Designs auf dem Programm, das von hochkarätigen Fachleuten (alle zugleich langjährige Weggefährten von Bodenschatz) bestritten wurde.
Gleich zu Beginn brach Harald Kegler am Beispiel von Halle-Neustadt eine Lanze für eine reflektierte Betrachtung der Moderne und leitete damit auch eine Beschäftigung mit der historischen Stadt ein, die sich durch viele der Vorträge ziehen sollte. Neben allseits bekannten Positionen wie der des „Stadtbaukünstlers“ Wolfgang Sonne, der historisch fundiert gegen Townhouses polemisierte und für die Stadtbaukunst um 1900 warb, eröffneten vor allem die „fachfremden“ Vortragenden wie der Politologe Max Welch Guerra und die Soziologin Marianne Rodenstein ungewöhnliche Perspektiven. So versuchte sich Rodenstein an einer Antwort auf die unter Planern oft ignorierte Frage, was überhaupt in breiten Teilen der Bevölkerung den Wunsch nach einem harmonischen, historisierten Stadtbild auslöst. Der Vermutung, die Architekten am sympathischsten ist – die Laien kompensierten damit die Unsicherheit und Schnelllebigkeit unserer Zeit – setzte sie die These entgegen, der Laie versuche vielmehr, in Zeiten allgemeiner Optimierung auch sein Umfeld zu optimieren, wobei sich ihm Geschichte als verfügbare Ressource von anerkannter Schönheit anbiete. Dem angesichts dieser Entwicklung verständnislosen Experten empfahl sie zur Annäherung nach US-amerikanischem Vorbild den Gang zum (Umwelt-)Psychologen. Einen Kontrapunkt hierzu setzte Barbara Schönig, die, ebenfalls anhand des Beispiels USA, davon berichtete, wie sich Laien auch mit der Sprache der Planer auf hohem Niveau in die Fachdiskussion einmischen und diese voranbringen können.
Als Ausreißer des Tages erwiesen sich Altmeister Tom Sieverts und die frischgebackene Professorin Cordelia Polinna, die sich die Freiheit nahmen, ihr jeweils vorgegebenes Thema zu sprengen. Während Sieverts, statt über die Zwischenstadt zu sprechen, ein aufrüttelndes Plädoyer dafür hielt, sich angesichts der notwendigen Umstellung unserer Basisenergie gedanklich und planerisch „auf sehr schwierige Zeiten einzulassen“, referierte Polinna mit Blick auf die gewaltätigen Proteste in London nicht über Denkmale in der britischen Hauptstadt, sondern über die durchaus fragwürdigen stadtpolitischen Reaktionen auf die Riots – und zeigte damit das gewisse Maß an kritischem Querdenkertum, das sie als würdige Nachfolgerin auf dem Lehrstuhl Bodenschatz auswies. Ein Buch zur Tagung ist in Vorbereitung.
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