Steinerne Zeugen
Augsburger Bauten in der NS-Zeit
Text: Paul, Jochen, München
Steinerne Zeugen
Augsburger Bauten in der NS-Zeit
Text: Paul, Jochen, München
Bauten erinnern ist die letzte Ausstellung im Architekturmuseum Schwaben, die Winfried Nerdinger als Direktor des Architekturmuseums der TU München verantwortet.
Er selbst fasst seine Intention so zusammen: „Mit dem Tod der Zeitzeugen werden Bauten zu wichtigen Dokumenten der Erinnerung. In der Ausstellung werden alle Bereiche des Lebens im Nationalsozialismus in Augsburg mit den authentischen Orten verknüpft und damit eindringlich erfahrbar.“
Bauten erinnern zeichnet nach, wo die Politik des Regimes in Augsburg „zu Hause“ war. Die inhaltliche Gliederung übernehmen vier Leitthemen: die Kontinuität der Nutzung von vor 1933 bis nach 1945 und die propagandistische Besetzung des öffentlichen Raums; die Symbiose von Rüstungsindustrie und Lagersystem; die „Arisierung“ vormals jüdischer Wohn- und Geschäftshäuser; die Orte des Widerstands gegen das Regime.
Das Augsburger Rathaus war von hohem Symbolwert für die Nazionalsozialisten – bis 1934 hatten sie keine Mehrheit im Stadtrat. Doch mit Druck und Einschüchterung gelang es, das Haus schon vorher in Beschlag zu nehmen: Am 9. März 1933 wehte die Hakenkreuzfahne erstmals vom Balkon. Im Städtischen Wohlfahrtsamt wurden Leistungen fortan nicht mehr nach sozialen, sondern nach völkischen Kriterien gewährt; am Erbgesundheitsgericht (heute Land- und Amtsgericht Augsburg) wurden zwischen 1934 und 1944 über 2000 Anträge auf Zwangssterilisation verhandelt; das freigewerkschaftliche „Volkshaus“ diente ab 1933 der Gauverwaltung der Deutschen Arbeitsfront als „Haus der Deutschen Arbeit“; und die Städtische Hauswirtschaftsschule wurde 1934 zu einer NS-Mütterschule umstrukturiert. Das Regime bemächtigte sich auch des öffentlichen Raums und der Orte der Kulturproduktion: Zum „Führerbesuch“ am 21. November 1937 wurden die komplette stadtseitige Fassade des Hauptbahnhofs (von hier aus sollten 1941 die Deportationen in die Vernichtungslager starten) mit Tannengrün geschmückt und auf dem Vorplatz ein Triumphbogen aufgestellt; die Freilichtbühne am Roten Tor erhielt als „reichswichtige Spielstätte“ 100.000 Reichsmark Förderung pro Jahr; und in Paul Baumgartens Umbau des Stadttheaters (1938/39) schaltete sich Hitler mehrmals persönlich ein. Einen Vorgeschmack auf Hermann Gieslers nicht zur Ausführung gekommenes Gauforum gibt das 1939 fertiggestellte Reichsbahndirektionsgebäude (heute Landratsamt).
Die „Orte der Opfer“ sind in der Ausstellung nicht nur mit verschiedenen KZ-Außenlagern und dem Entbindungslager für Ostarbeiterinnen vertreten, sondern auch mit den vielen „arisierten“ Wohn- und Geschäftshäusern wie der Villa Hesselberger oder den Kaufhäusern Kuhn, Landauer und Schocken. Im letzten Teil beleuchtet Bauten erinnern die Orte des politisch und religiös motivierten Widerstands – in dem auch Eugen Nerdinger (1910–1991) als Unterbezirksleiter der „Sozialistischen Arbeiterjugend“ aktiv war. Sein Sohn bleibt der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus als zentralem Thema seiner Berufsbiografie auch nach der Emeritierung treu – als Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München.
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