Bauwelt

Stimmungsbilder

Aktion in der senegalesischen Hauptstadt

Text: Roth, Daniela

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    Auf dem Gelände des ehemaligen Münchner Flughafens ensteht seit 1998 ein neues Stadtviertel, die Messestadt Riem.
    Department für öffentliche Erscheinungen

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    Auf dem Gelände des ehemaligen Münchner Flughafens ensteht seit 1998 ein neues Stadtviertel, die Messestadt Riem.

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    Das "Department für öffentliche Erscheinungen", eine Münchner Künstlergruppe, hat in Riem einen Stimmungstest durchgeführt. Zur Auswahl stehen fünf Meinungsträger in Form von "Fenstertransparenten".
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    Das "Department für öffentliche Erscheinungen", eine Münchner Künstlergruppe, hat in Riem einen Stimmungstest durchgeführt. Zur Auswahl stehen fünf Meinungsträger in Form von "Fenstertransparenten".

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    Die Bewohner konnten sich ein Transparent auswählen, ins Fenster hängen und ihre Position kommentieren.
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    Die Bewohner konnten sich ein Transparent auswählen, ins Fenster hängen und ihre Position kommentieren.

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    "Wir geniessen die unverbaubare Aussicht, das viele Grün rundherum und dass die Kinder rausgehen können, ohne dass wir Angst haben müssen, dass sie überfahren werden."
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    "Wir geniessen die unverbaubare Aussicht, das viele Grün rundherum und dass die Kinder rausgehen können, ohne dass wir Angst haben müssen, dass sie überfahren werden."

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    "Mich ärgert die Unehrlichkeit der Verantwortlichen in den Gremien bei der Umsetzung der Bürgerbeteiligung". "Ich weiß, dass von den Konzepten nicht besonders viel übrig geblieben ist."
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    "Mich ärgert die Unehrlichkeit der Verantwortlichen in den Gremien bei der Umsetzung der Bürgerbeteiligung". "Ich weiß, dass von den Konzepten nicht besonders viel übrig geblieben ist."

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    "Die Dinge, die noch nicht so sind, wie man sie sich wünscht, werden alle noch kommen und dann ist es super hier."
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    "Irgendwann werden wir hier eh weggehen. Das hängt mit meinem Beruf zusammen."
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    "Mir gefällt es hier überhaupt nicht. Wir haben seit fünf Jahren nur Baustelle. Da ändert sich überhaupt nichts. Ich finde, es wird immer schlimmer."
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    Ein Transparent aus dem Fenster zu hängen, ist für 90 % der Bewohner eine neue Erfahrung. Nur 10 % haben bereits andere Fenstertransparaente (z.B. Pace) benutzt.
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    Ein Transparent aus dem Fenster zu hängen, ist für 90 % der Bewohner eine neue Erfahrung. Nur 10 % haben bereits andere Fenstertransparaente (z.B. Pace) benutzt.

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    "Wissen, was die anderen denken", darüber hinaus Verbesserungen und Gespräche - das erhoffem sich die meisten von dem Stimmungstest.
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    Pro Haushalt gibt es nur ein Transparent. Das führt in vielen Familien zu Diskussionen. Wer entscheidet?
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    Das Sichtbarmachen der persönlichen Meinung provoziert Reaktionen: Eine Immobilienfirma versucht, eine große Anzahl von "I love Messestadt Riem"-Transparenten zu Werbezwecken zu bekommen.
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    Das Ergebnis von "Die Messestadt Riem bekennt Farbe" wird zentral präsentiert. 317 von 1000 Haushalten haben sich an der Aktion beteiligt.
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    Das "Department für öffentliche Erscheinungen" hat international partizipative Projekte durchgeführt, zuletzt im April 2013 in Dakar (Senegal).
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    Das "Department für öffentliche Erscheinungen" hat international partizipative Projekte durchgeführt, zuletzt im April 2013 in Dakar (Senegal).

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    Über "Das letzte Dorf", das sich mit der Landflucht im Senegal beschäftigt, berichten wir ausführlich in Heft 34.
    http://www.department-online.de/
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    Über "Das letzte Dorf", das sich mit der Landflucht im Senegal beschäftigt, berichten wir ausführlich in Heft 34.
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Foto: Department für öffentliche Erscheinungen

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Stimmungsbilder

Aktion in der senegalesischen Hauptstadt

Text: Roth, Daniela

Die Demonstrationskultur hat sich auch im Senegal stark verändert. Die Münchner Künstlergruppe Department für öffentliche Erscheinungen griff die Umbruchstimmung auf und verwandelte zwei Plätze in ein Meinungsbarometer.
Immer mehr Menschen in den Ländern Afrikas verlassen ihre Dörfer in Richtung Stadt – und lieber noch in Richtung Europa. Was sind ihre Erwartungen, Träume, Hoffnungen? Was die individuellen Beweggründe? Wie viele wollen gehen? Und will auch jemand wieder zurück in sein Dorf? Die Münchner Künstlergruppe „Department für öffentliche Erscheinungen“ bildete in einer Aktion in der senegalesischen Hauptstadt die unterschiedlichen Meinungen zu diesen Fragen ab. Sie bot den Bürgern verschiedene Aussagemöglichkeiten an – und Platz zum Schreiben. Die Aktion fand an zwei öffentlichen Orten statt: vor der Universität in Dakar und auf einem belebten Platz in Pikine, in der Banlieue. Auf dem Universitätsgelände beteiligte sich eine junge gebildete Oberschicht, in Pikine waren es Zuwanderer, Fischer und ihre Familien. Zur Auswahl standen drei Aussagen, die auf farbige Tücher gedruckt waren: pink: „partir ailleurs – dem féneen“ (weiter gehen), petrol: „rester ici – toog fii“ (hier bleiben), orange: „retourner – ñibbi“ (zurück kehren).
Die 88er
In den letzten Jahren hat sich kaum etwas so stark verändert wie die Demonstrationskultur. Durch die zunehmende Bedeutung von Bildmedien und Internet ist nicht mehr nur die bloße Zahl an Demonstranten wichtig, die für ihr Anliegen auf die Straße gehen – am meisten wird über Ereignisse berichtet, die besonders bildstark sind. Das Department ist ein Kollektiv von Künstlern, die ihre Arbeit in diesem Kontext durchaus politisch verstehen. Seit 1995 konzipieren und realisieren sie international Projekte im öffentlichen Raum. Ausgangspunkt der bildstarken Aktionen sind Phänomene öffentlichen urbanen Lebens und verschiedene Formen heutiger Kommunikation.
Die Arbeitsweise des „Department für öffentliche Erscheinungen“ funktioniert, weil Demokratie eben nicht nur vom Recht lebt, geheim abstimmen zu können, sondern auch davon, seine Meinung frei und öffentlich mitteilen – eben demonstrieren – zu dürfen. Letzteres verlangt auch eigene ästhetische Sorgfalt, andernfalls bliebe nur eine „unästhetische Demokratie“ (Walter Grasskamp). Lange wurde im Senegal – wie in den meisten afrikanischen Ländern – von der Bevölkerung erwartet, dass sie die Machteliten nicht durch unbequeme Fragen stört. Jede Kritik wurde als destruktiv angesehen. Das änderte sich mit der Bürgerbewegung „Y’en a marre“, die sich im Januar 2011 formierte. Ausgangspunkt waren die zahlreichen Stromausfälle, dann der eine Stromausfall zu viel. Es reichte! Französisch: Y’en a marre. Eine junge Generation, die „88er“, setzte den sozialen Wandel in Gang. „Y’en a marre“ wurde zu einer Bewegung, die das ganze Land erfasste. Alle Milieus, auch die Religiösen, hatten genug: genug von der desolaten öffent-lichen Verwaltung, genug von den Unzulänglichkeiten auf al-len Ebenen der Gesellschaft – genug vom alten Präsidenten Abdoulaye Wade. Sie wählten ihn ab und entschieden sich für Macky Sall. „Y’en a marre“ propagiert den „NTS“, den „Nouveau Type de Sénégalais“ (den „neuen Senegalesen“), den mündigen Bürger. Genau ihn wollte das Department mit seiner Aktion ansprechen.
Mit „Farbe bekennen“ hat die Künstlergruppe ein neues Konzept entwickelt, mit dem die persönliche Meinung unmittelbar in der Öffentlichkeit sichtbar werden kann. Für ein begrenztes Projektgebiet formuliert sie eine Frage oder bietet verschiedene Antworten an, die inhaltlich auf die Besonderheiten des Ortes und auf die Situation der Bewohner reagieren. Für die Beantwortung stehen den Beteiligten sogenannte „Meinungsträger“, Stofffahnen in weithin sichtbaren Farben, zur Verfügung. 2003 realisierte das Department erstmals ein Kunstprojekt mit solchen Stofffahnen an den Fassaden mehrgeschossiger Wohnblocks: In der Münchner Messestadt Riem waren die Bewohner – meist als Familien in einer Wohnung – aufgerufen, ihre Zufriedenheit mit dem Viertel kundzutun. Aus den Fenstern der Wohnung gehängt, setzten sich die Meinungsträger zu einem visuellen Stimmungsbild zusammen.
2013 nun in Dakar: Auf dem Universitätsgelände sind viele hilfreiche Hände zur Stelle, tragen Steine zum Beschweren der Stangen, zwischen denen Schnüre gespannt werden. Vor dem Bibliotheksgebäude treffen sich Studierende. Man sieht weniger Kopftücher als im Straßenbild von München, Hamburg oder Berlin – und das in einem muslimischen Land. „Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, was hier stattfindet?“ Grundsätzlich ist man sehr höflich. Der erste Teilnehmer ist für Hierbleiben. In Minuten bildet sich eine Gruppe um den Tisch. Auch der zweite Kommentar ist: Hierbleiben. Nummer drei und vier wollen gehen: partir ailleurs. Dann wieder: Hierbleiben. „Bleiben, weil ich hier 20 Jahre Ausbildung genossen habe. In der Ferne kann ich nicht zurückgeben, was man mir gegeben hat.“ Modou Miane Diouf ist der erste, der „retourner“ wählt. Er kommt aus Kaolack, mit zwölf Jahren ging er nach Mboss, später zum Studieren nach Dakar. Aber er will zurück in seine Heimat. Er möchte für seine Familie da sein, aber auch etwas für die Allgemeinheit tun: eine Bibliothek aufbauen. Er hat Sprachwissenschaften studiert. Er fragt nach finanzieller Hilfe. Ohne Geld kann man nichts tun. Dann wieder ein petrol-farbenes Tuch: „Restons ici!“ Bleiben wir hier! – „Stellt euch die Leere vor, wenn wir gehen.“ Die Antworten sind ausführlich, bildhaft, der Tenor: Wir müssen etwas für unser geliebtes Land, für unseren geliebten Kontinent Afrika tun. Die Senegalesen sind stolz, Afrikaner zu sein. Die Studierenden, die bleiben wollen, führen die gute Qualität der Ausbildung an der Cheikh-Anta-Diop-Universität und das Renommee der Professoren ins Feld. Sehr oft heißt es: „Wir wollen an der Entwicklung teilhaben und etwas dazu beitragen.“ Sich für den Senegal und andere afrikanische Länder einsetzen. Bleiben, denn wenn alle gingen, wäre hier ja Tabula rasa. Das ist der panafrikanische Gedanke: Wir brauchen eigene Intellektuelle, eigene Theorien für Afrika, eigene starke Regierungen. Jeder kann bei der Entwicklung mithelfen, dem Land wiedergeben, was man von ihm bekommen hat. Nur die Jungen könnten Akteure der Entwicklung sein, so die Botschaft, oder: Bleiben wegen „Teranga“, dem sozialen Miteinander. Eine Frau fragt sich, wer das Weggehen propagiere. Sie will im Senegal ihren Ehemann finden, ihre Kinder bekommen, hier leben und sterben wie ihre Eltern. „Alles, was man will, kann man hier kriegen.“
Die Stimmen für Gehen führen an: Neue Erfahrungen, Ausbildung, Diplome erwerben, Geld verdienen, Europa, USA. Weil (Studien-)Bedingungen schwierig sind, es auch schwierig ist, die eigenen – beruflichen/wissenschaftlichen – Träume zu verwirklichen. Aber eigentlich wollen auch die, die Weggehen wählen, wiederkommen: um dann mit neuem Knowhow zur Entwicklung des Landes beizutragen. Jemand zitiert ein Sprichwort: „Wer nicht reist, weiß nicht, wo es gut ist.“
Auf dem Sprung
Bei der Aktion in Pikine umringen viele Kinder die Weißen, plappern in Wolof, der wichtigsten afrikanischen Sprache, wechseln aber schnell ins Französische, als sie merken, dass man das versteht. Die junge Männer hier treten forsch und härter auf als die Studenten an der Uni, sie sind nicht so höflich: „Was ist das hier? Wofür ist das gut?“ Mehr Neugier herrscht, aber auch mehr Unverständnis als bei der Aktion auf dem Uni-Gelände. Der große sandige Platz vor dem Standesamt, in unmittelbarer Nähe des Kulturzentrums von Pikine, ist ein stark frequentierter Durchgangsbereich. An einer Ecke liegt Schutt, Müll hat sich angesammelt, daneben, vor einer brüchigen Hausmauer, ist Wäsche zum Trocknen aufgehängt. Es riecht nach Tieren, nach Ziegen, und nach Urin. Die ersten Tücher: Partir und rester. „Bleiben, um das Glück meiner Stadt, Pikine, weiter zu gestalten.“ „Bleiben, weil ich bei meiner Mutter wohne.“ „Gehen, um woanders Arbeit zu finden. Hier ist es sehr hart. Hier ist keine Arbeit.“ Zwei Jungs wollen Fußballstars werden, einer indem er bleibt, einer indem er geht. Manche Leute wollen nicht mitmachen, weil sie keine Meinung ha-ben. Sie wissen nicht, ob sie bleiben, gehen oder in ihre Dörfer zurückkehren wollen. Sie haben sich diese Frage noch nie gestellt. Eine ältere Frau hofft im Ausland auf medizinische Hilfe. Manche denken, schon das Mitmachen bei der Aktion sei eine Art Vorstufe zu einem Visum für Europa. Andere sind verwundert: Warum wollt ihr unsere Meinung wissen? Aber die Menschen bedanken sich, dass die Künstler aus Deutschland auf sie zugegangen sind. Es ist die Umkehrung der üblichen Situation, sonst gehen Senegalesen, Händler, Kinder, auf Weiße zu.
Ein magerer, schlecht gekleideter Mann hält den Zettel mit der Erklärung der Aktion in der Hand. Es ist zu erkennen, dass er nicht lesen kann. Nachdem er verstanden hat, worum es geht, diktiert er auf Wolof. „Partir“ hat er gewählt. Er will gehen, weil er glaubt, dass es, was die Arbeit betrifft, in Europa besser sei. Er will seinen Eltern helfen, seiner Familie. Er ist bereit, in eine Piroge zu steigen, um klandestin nach Europa zu gelangen. Früher hat er an so etwas noch nicht gedacht, jetzt schon. Er hat keine Hoffnung mehr.
Von 256 Teilnehmern an der Uni wählen 12 „retourner“, 141 wollen weggehen und 103 bleiben. In Pikine nehmen 252 Personen teil. Von ihnen wollen 15 zurückkehren, 116 bleiben und 123 gehen. „Partir ailleurs“, Gehen, wurde am meisten gewählt. Fünf Prozent der Senegalesen sind unter 20 Jahre alt – und die Hälfte von ihnen ist auf dem Sprung, ist im Kopf schon weg. Die Kunstaktion des Departments hat dies im Sinne des Wortes öffentlich gemacht.
Fakten
Architekten Department für öffentliche Erscheinungen, München
aus Bauwelt 34.2013
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