The Economy, Stupid
Wirtschaften mit Verstand beim 4. Holcim-Forum
Text: Friedrich, Jan, Berlin
The Economy, Stupid
Wirtschaften mit Verstand beim 4. Holcim-Forum
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Hat sich denn etwas Entscheidendes verbessert, seit vor gut zehn Jahren der Begriff Nachhaltigkeit mit Macht nicht nur in die Architektur, sondern in alle Winkel der Gesellschaft drängte. Ist Nachhaltigkeit nicht vielmehr zu einem Gemeinplatz verkommen, einem Lippenbekenntnis?
Solche Fragen waren immer wieder zu hören beim diesjährigen Holcim-Forum in Mumbai – während des Gesprächs in den Pausen genauso wie bei den Workshops und auf den Podien. Und häufig kam als Antwort: Es hat sich zu wenig verändert. Es geht einfach nicht schnell genug. Doch gibt es eine Alternative zum langsamen und langwierigen Bohren dieses dicken Bretts?
Nicht für die Teilnehmer der Holcim-Foren jedenfalls. Die Konferenzen finden stets im Vorfeld der alle drei Jahre ausgelobten Awards statt, bei denen die Schweizer Holcim Foundation for Sustainable Construction Preisgelder von insgesamt zwei Millionen Dollar an ausführungsreife, d.h. noch nicht gebaute Projekte vergibt, die dem Nachhaltigkeitsgedanken verpflichtet sind.
Wo sich Handlungsbedarf aufdrängt
Nach drei abgeschlossenen Zyklen des Wettbewerbs und zum Start der vierten Runde hat sich das Forum zu einer Art offiziellem Familientreffen der globalen Nachhaltigkeitsgemeinde entwickelt. Diese setzt sich zusammen aus Architekten und Ingenieuren, die sich mit nachhaltigem Bauen beschäftigen, Holcim-Awards-Gewinnern der vergangenen Jahre sowie Professoren und Studenten der Partneruniversitäten der Stiftung aus der ganzen Welt.
Die Veranstaltungsorte sind es, die den Konferenzen Würze verleihen. Die Stiftung lädt dahin ein, wo sich Handlungsbedarf förmlich aufdrängt – für den Fall, Teilnehmer (etwa aus Europa oder Nordamerika) glaubten, die Rettung unserer Lebensgrundlagen sei in recht gute Bahnen gelenkt. Folgerichtig besteht die Konferenz nicht allein aus Vorträgen und Arbeitsgruppen – ein „mobiler Workshop“ sorgt dafür, dass jeder sich ein Bild vom Tagungsort jenseits der klimatisierten Konferenzräume macht. Vor sechs Jahren war es Shanghai, das über all der rasanten Erneuerung seine eigene Geschichte vergisst (Bauwelt 21.07), vor drei Jahren Mexiko-Stadt mit Umwelt- und Infrastrukturproblemen zum Greifen (Bauwelt 24.10), dieses Mal Mumbai.
Die Hälfte der rund 12,5 Millionen Einwohner der indischen Hafenstadt (im Großraum Mumbai sind es bis zu 18 Millionen) lebt in „informellen Siedlungen“: in Slums. Jeden Tag muss die Stadt die Ankunft von mehr als 1000 weiteren Menschen verkraften, die aus allen Teilen des Landes nach Mumbai strömen. Wohl nirgendwo sonst ist soziale Ungleichheit so unverblümt im Stadtbild ablesbar wie hier, wo bittere Armut und obszön zur Schau gestellter Reichtum an den Grundstücksmauern aufeinanderprallen – gleichsam ein Kondensat der Kluft zwischen „entwickelter“ und „sich entwickelnder“ Welt.
Common Place vs. Common Sense
In Mumbai also nahm sich das Forum das Thema Economy of Sustainable Construction vor, die Ökonomie nachhaltigen Bauens. Economy bedeutet aber auch Wirtschaftlichkeit oder Wirtschaftssystem. Und in Letzterem scheint das Problem ja zu schlummern, ist doch all unser Wirtschaften auf kurzfristigen Erfolg ausgelegt, während Nachhaltigkeit den ganzheitlichen, langfristigen Blick auf die Dinge voraussetzt. Was haben nun Architekten, die die Mehrzahl der Forumsteilnehmer ausmachen, zur Ökonomie der Nachhaltigkeit zu sagen – außer dass sie sich vielleicht wünschen, gute Ideen würden seltener an kurzfristigen Renditeerwartungen oder am zu kleinen Geldbeutel des Bauherrn scheitern?
Eine ganze Menge, wenn man David Chipperfield glaubt. Architektur wohne schließlich Dauerhaftigkeit inne, folglich wirke sie als Gegenmittel zu fast allen anderen Entwicklungen in der Welt. Aber: „Bis der Architekt bei einem Projekt dazustößt, ist bereits eine Menge Schaden angerichtet“, so Chipperfield. Der Architekt als Korrektiv also, der den größten Unsinn verhindert? Ein Beispiel: Bei einem archäologischen Schutzbau im Sudan, den sein Büro plante, hatte der Bauherr nach einer Sicherung der Fensterscheiben vor möglichem Zerkratzen durch Sandstürme verlangt. Die Lösung, die Chipperfield vorschlug: keine Fensterscheiben! Stattdessen nach einem Sandsturm einfach die Räume durchfegen, so habe man das schließlich jahrhundertelang mit Erfolg gemacht. Der Bauherr ließ sich überzeugen.
Überzeugungsarbeit leisten. Darin sieht auch Alejandro Aravena, der mit seinen Weiterbau-Häusern den sozialen Wohnbau in Chile revolutionierte, die Aufgabe des Architekten. Im Grunde sei Nach-haltigkeit ja nichts anderes, als im Einklang mit dem gesunden Menschenverstand zu handeln. Doch leider folgten Geld und Macht dem Gängigen (common place) und nicht dem gesunden Menschenverstand (common sense). Ein Architekt, der sich dem common sense verpflichte, müsse deshalb immer darauf gefasst sein, einen Auftrag auch zu verlieren. Häufig mit wenig Geld umgehen zu müssen, das empfindet Aravena hingegen nicht als Problem, sondern als ausgesprochen begrüßenswert: „Knappheit ist ein großartiger Filter gegen Überflüssiges.“
Also weiterhin: geduldig dicke Bretter bohren! Gar kein Grund, darüber zu verzweifeln, meint Normand Roy von der kanadischen NGO équiterre. Als er mit einer Handvoll Freunden vor 25 Jahren in Kanada die ersten Nachhaltigkeitskonferenzen organisiert habe, seien sie echte Freaks gewesen. Heute kämen zu solchen Veranstaltungen Tausende, aus allen Gesellschaftsgruppen.
Holcim-Awards 2013/2014 und Dokumentation des Forums | ▸ www.holcimfoundation.org
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