Über alle Katastrophen hinweg
Ein Blick auf 200 Jahre deutsch-französische Architekturgeschichte
Text: Escher, Gudrun, Xanten
Über alle Katastrophen hinweg
Ein Blick auf 200 Jahre deutsch-französische Architekturgeschichte
Text: Escher, Gudrun, Xanten
Fünfzig Jahre Elysée-Verträge: Der Jahrestag gab den äußeren Anlass dafür, zwei Jahrhunderte Architekturgeschichte in Frankreich und Deutschland – die mal getrennt, mal gemeinsam verlief, die sich mal gegenseitig beobachtete, mal beeinflusste – näher zu beleuchten.
Daraus ist eine opulent bestückte Ausstellung entstanden, die jetzt ihre Premiere in Straßburg feierte und ab Oktober im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zu sehen sein wird.
Das Musée d’Art Moderne et Contemporaine in Straßburg und das DAM haben unter der Regie von Jean-Louis Cohen und Hartmut Frank die Ausstellung und den Katalog gemeinsam erarbeitet. Beide, Ausstellung und Katalog, haben für sich genommen Bestand: Die Ausstellung besticht mit teils großformatigen Exponaten, Modellen und Rissen, mit selten oder noch gar nicht publizierten Skizzenbüchern, Fotos und Filmen; der 450-seitige Katalog (bislang nur auf Französisch) liefert darüber hinaus blickende, Zeiten und Themen übergreifende Aufsätze von rund zwanzig Autoren etwa zu „Denkmalpflege“ und „Patrimoine“. In Frankreich qualifiziert als Ausstellung „von nationaler Bedeutung“, wurde das Projekt mit einer staatlichen Sonderförderung unterstützt.
In neun thematischen Feldern, beginnend mit Viollet-le-Duc und Friedrich Gilly um 1800 und endend mit Marc Mimrams Passerelle zwischen Straßburg und Kehl von 2004, wird vor dem Hintergrund der bewegten politischen Geschichte eine umfassende Geistesgeschichte des Bauens ausgebreitet – dingfest gemacht nicht zuletzt an herausragenden Werken der Kunst von Victor Hugo, Fernand Léger, Lyonel Feininger oder Gerhard Richter. Die bemerkenswerte Erkenntnis: Selbst über Zeiten erbitterter Feindschaft, über Kriege und Zerstörungen, Besetzungen und Gebietsabtretungen hinweg blieb der Dialog fruchtbar und lebendig. Eindrucksvoll wird die Vermittlerrolle etwa von Siegfried Giedeon oder Julius Posener beleuchtet, wird die Faszination bekräftigt, die das Bauhaus ausübte und umgekehrt das Werk Le Corbusiers. Oder fünfzig Jahre später die IBAs in Berlin und im Ruhrgebiet mit ihren Impulsen für eine neue Auffassung von Urbanität.
Ein wenig mager, um nicht zu sagen hilflos, wirkt dagegen das Schlusskapitel „Gemeinsam in Europa“, bebildert vor allem mit einer Fotosequenz auf einem Monitor: zu schnell um zu erfassen, worauf es ankommt – und kein überzeugendes Äquivalent zum Auftakt der Ausstellung mit dem vier Meter hohen originalen Aufriss der Kölner Domfassade von Georg Moller um 1818. Axel Sowa versucht in seinem Katalogtext im Rückzug auf das Lokale eine Erklärung für die fehlende grenzüberschreitende Architektenarbeit in den 1980er Jahren zu finden. Erst um 1990 habe es wieder fruchtbare Kooperationen gegeben, etwa bei der Akademie Mont-Cenis in Herne und der Überdachung der Arena in Nîmes. Statt diesen Pfad weiter zu verfolgen (und z.B. Auer und Weber zu erwähnen, deren französische Projekte gerade in München ausgestellt sind), schiebt Sowa der internationalen Immobilienwirtschaft die Verantwortung für das global indifferente Baugeschehen der letzten Jahre zu, wie es sich auf den Immobilienmessen in Cannes und München manifestiere.
Überzeugender ist die Ausstellung dort, wo sie städtebauliche Konzepte in ihrer historischen Bedingtheit neu ins Bewusstsein bringt: in Metz, in Mainz, in Marseille oder Straßburg. So spiegelt ein Film von Laszlo Moholy-Nagy von 1929 das Leben am Alten Hafen in Marseille vor der teilweisen Sprengung der Altstadt durch die deutschen Besatzer 1943 und dem Wiederaufbau durch Eugène Beaudouin und Auguste Perret mit frühen Beispielen des vorfabrizierten Bauens für große Wohnblocks. Oder die „Neue“ bzw. „deutsche“ Stadt in Straßburg, geplant und gebaut, als Straßburg nach 1871 Hauptstadt des deutschen Reichslands Elsaß-Lothringen werden sollte, die heute anerkannt ist als Stadtqualität sui generis: Straßburg betreibt derzeit den Antrag, seinen Status als UNESCO-Weltkulturerbe auf diese Neustadt auszudehnen.
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