Unbeschwerte Utopieerfahrung
Tomás Saracenos „Cloud Cities“
Text: Weinz, Franziska, Berlin
Unbeschwerte Utopieerfahrung
Tomás Saracenos „Cloud Cities“
Text: Weinz, Franziska, Berlin
Sie ist glatt und rutschig, sie ist instabil und flüchtig. Doch man fühlt sich wunderbar geborgen in Tomás Saracenos Architekturwelt. Zurzeit macht sie Station im Hamburger Bahnhof in Berlin.
Inspiriert von Konzepten wie Buckminster Fullers Cloud Nine oder Frei Ottos biomorpher Architektur, von der Stärke und Flexibilität von Spinnweben und der Struktur von Seifenblasen, entwickelt Tomás Saraceno seit Jahren die Idee einer sich selbst versorgenden, fliegenden Zukunftsstadt. „Airport City“ nennt der Künstler und Architekt seine Vision. Sie setzt sich aus ballonartigen Modulen zusammen, die wie Wolken ihre Form verändern, sich miteinander verbinden und von Wind und Sonne angetrieben werden. Mit ihr soll es gelingen, die Ländergrenzen zu verwischen, die unsere heutige Zeit bestimmen.
Saracenos Arbeit erinnert an die Utopien der 60er und 70er Jahre, an Coop Himmelb(l)au oder Archigram – bei Peter Cook an der Frankfurter Städelschule hat er zwischen 2001 und 2003 studiert. Anders als seine Vorläufer belässt es der 1973 in Argentinien geborene und heute in der Nähe des Frankfurter Flughafens lebende Saraceno jedoch nicht bei Zeichnungen und Gedankenspielen. Er experimentiert im realen Raum, um seiner Vorstellung einer, wie er sagt, „realisierbaren Utopie“ kontinuierlich näher zu kommen.
20 Prototypen der schwebenden Raumkapseln lassen sich derzeit in der Ausstellung „Cloud Cities“ im Hamburger Bahnhof in Berlin erforschen. Betritt man die ehemalige Bahnhofshalle, befindet man sich in einer scheinbar von Spinnen gewobenen verwirrenden Struktur aus schwarzen Streben und durchsichtigen, in Größe und „Einrichtung“ variierenden Luftblasen. Manche dieser „Biosphären“, wie der Künstler die Blasen nennt, sind von Pflanzen bewohnt, in anderen sind schwarze Fäden auf geheimnisvolle Weise miteinander verknüpft.
Ist man Saracenos Ideenwelt nicht längst verfallen, geschieht das spätestens in einer der beiden begehbaren Installationen. Über einen steilen Aufstieg, ähnlich einer Flugzeugtreppe, wird man in Dreiergruppen aus der überfüllten Halle in die raumschiffartige Struktur entlassen, wo man auf einer flexiblen, transparenten und rutschigen Oberfläche einige Zentimeter nach unten schwebt und von einer Sekunde zur anderen in seine infantile Vergangenheit zurückversetzt wird. Glücklich robbt man durch die Wackel-Sphäre und über die anderen Besucher hinweg, die einen von sieben Meter tiefer fasziniert beobachten. Zwischen den drei „Probe-Bewohnern“ entsteht eine eigenartige, auf Vertrauen basierende Beziehung, denn jede kleinste Bewegung des Einen beeinflusst die der Anderen. Trotz der Fragilität von Plastikfolie und dünnen Seilen, der imaginären Schwerelosigkeit und der Abhängigkeit von den Anderen fühlt man sich sicher. Am Ende der fünf Minuten, die einem gewährt werden, steigt jeder Prototyp-Tester mit einem Lächeln herab.
Nur schwer kann man sich der besonderen Ästhetik von Saracenos Gebilden entziehen. Er versteht es außerordentlich gut, diese fotogen zu inszenieren. Schade ist, dass die dunklen Fachwerkträger und Dachflächenfenster der Halle so sehr von Saracenos Luftschlössern ablenken. Ein White Cube hätte ihnen gut getan.
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