Bauwelt

„Wir müssen ein bisschen gelassener werden“ 

Text: Kleilein, Doris, Berlin

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v.l.n.r. Doris Kleilein, Dietrich Pressel, Gerrit Schwalbach, Çağla İlk

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„Wir müssen ein bisschen gelassener werden“ 

Text: Kleilein, Doris, Berlin

Gespräch mit Çağla İlk, Dietrich Pressel und Gerrit Schwalbach über Quartiersentwicklung und Baukultur in der multiethnischen Stadt.
Die Fallbeispiele in diesem Heft dokumentieren unterschiedliche Orte, an denen Migration das Stadtbild prägt. Welchen Ansatz haben Sie verfolgt?
Çağla İlk | Wir haben Strukturen untersucht, die von Migranten selbst gebaut oder beauftragt worden sind. Wenn man lernen will, wie man für bestimmte Milieus baut, dann sollte man sich ansehen, welche Wohn- oder Gemeinschaftsräume sie selbst entwickeln. Es gibt ein faszinierendes Spektrum von Bildern, Räumen und Symbolen, das die Einwanderer mitbringen. Das ist bereits angekommen und sesshaft geworden.
Dietrich Pressel | Um zu sehen, was da ist, haben wir eine möglichst pragmatische Perspektive eingenommen. An manchen Orten ist man einfach unzählige Male vorbeigefahren und weiß gar nicht, wie sie funktionieren, warum sie so aussehen, wer die Akteure sind. Für uns war es ein fantastischer Lernprozess, in diese Räume hineinzugehen und sie zu dechiffrieren.
Gerrit Schwalbach | Auf sozialwissenschaftlicher Seite wird sehr viel geforscht zum Thema Stadt und Migration, in der Planungsdisziplin extrem wenig. Wir haben uns dafür interessiert, Migration sichtbar zu machen: Was ist konkret baulich entstanden? Zudem wollten wir die Diskussion wegführen von den üblichen Standorten wie „Das Wunder von Duisburg-Marxloh“ oder die Zentralmoschee in Köln. Es gab die Vermutung, dass das Spektrum sehr viel breiter ist, und das hat sich im Nachhinein auch bestätigt.
Migration wird im Zusammenhang mit Stadtentwicklung oft negativ debattiert, es geht um „Parallelgesellschaften“ und „Problemviertel“. Ihre Recherche dokumentiert das Vorgefundene, ohne von vornherein zu werten. Ist das ein Blick, den Planer in die aufgeladene Integrationsdebatte ein­bringen können?
DP | Wir haben uns im Wesentlichen auf die Recherche der baulich-räumlichen Ergebnisse zurückgezogen und uns nicht auf eine grundsätzliche Integrationsdebatte einge­lassen.
Çİ | Ich zweifle daran, dass Architekten und Planer diesen Aufwand betreiben und die Sensibilität aufbringen, mit dem Thema differenzierter umzugehen. Es müsste einen Lernprozess geben, eine Auseinandersetzung mit anderen Planungsweisen und Baukulturen. Im Moment kann ich das nicht sehen.
GS | Wie kommt es denn zu einer Stigmatisierung von Quartieren? Das ist doch immer die Koppelung von vorgefundenen städtebaulichen Strukturen, sozialen Praktiken der Einwanderer und der Wahrnehmungsperspektive der Mehrheitsgesellschaft. Bei Berücksichtigung aller Variablen ergibt sich also ein wesentlich differenzierteres Bild. Oft geht es um Standorte, die aus der Verwertungskette der Mehrheitsgesellschaft bereits herausgefallen waren, Leerstellen, die aufgrund eines wirtschaftlichen Strukturwandels entstanden sind, oder weil die Mehrheitsgesellschaft bestimmten Siedlungs­typologien ein geringes Prestige beimisst. Einwanderer gehen an solche Orte, meist in der ersten Phase der Migration, weil sie zu diesem Zeitpunkt über die geringsten wirtschaftlichen Ressourcen verfügen.
Sie haben die Orte aus zwei Perspektiven untersucht: mit den Instrumenten der städtebaulichen Analyse und aus der Sicht der Anwohner. Welchen Mehrwert bringt die Akteursperspektive gegenüber dem Plan?
Çİ | Wir haben durch die Akteursperspektive entdeckt, dass wir eigentlich überhaupt nichts sehen können auf dem Plan. Man sieht immer nur das Endprodukt und nicht, wie sich die Räume entwickelt haben. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Moschee, die aus einem kleinen Gemeinschaftsraum in einem Keller entstanden ist. Wäre dieser Raum nicht gewesen, gäbe es auch keine Moschee.
DP | Manche Raumlogiken werden erst dadurch anschaulich, dass man die Sicht der Akteure einholt. Dem Hindu-Tempel in Hamm zum Beispiel hätte nach unserer Logik eigentlich ein repräsentativer Ort in der Stadt zugestanden. Das hatte sogar die Stadtverwaltung zwischenzeitlich versucht. Aber für die Akteure waren ganz andere Kriterien bei der Standortentscheidung wichtig, wie die Nähe zur Autobahn und zum Kanal für rituelle Waschungen.
Was sind das für Strategien, mit denen sich Einwanderer die neue Heimat aneignen?
DP | Ein häufiges Beispiel sind Gemeindezentren, vor allem die Moscheegemeindezentren, die eine eigene Nutzungstypologie entwickelt haben. An den Sakralbau werden noch viele andere Funktionen angedockt, vom Einzelhandel über den Metzger bis zum Reisebüro, in einigen Fällen geht es weiter bis zum Wohnungsbau.
Çİ | Zum Teil entwickeln Einwanderer auch eigene Haus­ty­po­logien, wie in Altenkirchen, wo drei Generationen in einem Haus wohnen und jede einen eigenen Zugang bekommt. Eigentum spielt überhaupt eine wichtige Rolle: Wenn du Eigentum erwirbst heißt das, dass du im Land bleibst. Dann hast du das Gefühl, anzukommen, ein Teil der Gesellschaft zu werden.
DP | Wir haben auch beobachtet, dass Bauvorhaben ausgebremst und ausgegrenzt werden, in die Gewerbegebiete verschoben. Wenn aber ein „Pit Stop“ oder ein Supermarkt gebaut wird, kräht kein Hahn danach. Das führt dazu, dass die Leute anfangen, ihre eigene Stadt zu entwickeln, die auch dezentral sein kann oder über ein ganze Region verstreut.
Wie verlaufen denn die Konfliktlinien zwischen Einwanderern und Behörden, aber auch die zwischen Einwanderern und Planern?
GS | Oft liegen die Probleme in der mangelnden Kommunikation. Es ist ein großes Wohlwollen da, und man ist sehr bemüht, aber die Parteien finden in den Gesprächen nicht zueinander. Man macht sich das Leben unnötig schwer.
DP | Unterschiedliche Auffassungen in Traditionen, Kulturen und Methodik des Bauens treffen aufeinander. Zum Teil haben Einwanderer wenig Kenntniss darüber, wie man ein Bauprojekt überhaupt durchführt, und sind dann konfrontiert mit einer handfesten Bauaufsicht oder einem Stadtplanungsamt. Die Leute wissen zum Teil einfach nicht, wie man „legal“ baut. Dann geht es ins informelle Bauen hinein, oder der Architekt hat die Rolle, nur noch den Stempel auf den Bauantrag zu machen.
Çİ | Es gibt aber auch andere Beispiele: professionelle Architekten mit Migrationshintergrund, die korrekt planen, alles „richtig“ machen, aber trotzdem ihr Bauvorhaben nicht realisieren können. Weil es auf politischer Ebene verhindert wird oder weil die Nachbarn dagegen sind. Die Probleme der migrantischen Bauherren fangen oft schon auf der ersten Stufe an: Der Grundstückserwerb ist ein langwieriger Prozess, als Migrant ist es oft nicht möglich, einen Kredit zu bekommen. Dann kommt die Abstimmung mit den Ämtern. Bis man zu einer Realisierung kommt, dauert es Jahre, und viele können sich das gar nicht mehr leisten.
DP | Ich sehe einen Unterschied zwischen lokaler und städtischer Ebene. Lokal bildet sich Widerstand gegen ein Bauvorhaben, weil es politisiert wird. Auf der städtischen Ebene ist es dagegen gewollt als Zeichen der Offenheit der Stadt.
Welche Rolle spielen die Stadtverwaltungen?
GS | Wir haben Verwaltungen erlebt, die sehr großes Entgegenkommen und auch Unterstützung von Vorhaben gegeben haben. Sie haben sich klar auf die Seite der migrantischen Bauherrn gestellt und auch Konflikte ausgetragen, indem sie versucht haben, zu moderieren oder Dritte einzuschalten. Manchmal ist es für Verwaltungen aber auch schwierig, konkrete Ansprechpartner zu finden, da es zum Teil sehr lange Prozesse innerhalb von Gemeinden gibt, bis Beschlüsse gefasst werden. Das ist auch für die Verwaltung Neuland.
DP | Bei den Verwaltungen ist in vielen Fällen Pragmatismus zu beobachten, während sich lokal hysterische Debatten entfachen. Dauerbrennerargumente sind das Verkehrsaufkommen und die Wertminderung. Also die Angst davor, dass die Veränderung des Territoriums zu einer Wertminderung des eigenen Besitzstandes führt – und das bei Objekten oder Liegenschaften, die so günstig geworden sind, dass Zuwanderer sie überhaupt kaufen und etwas daraus machen können.
GS | Was wir allerdings nicht feststellen konnten: dass die Chancen in der Stadtentwicklung gesehen werden, dass aktiv auf diese „neuen“ Akteure zugegangen wird, dass sie ermutigt werden, weiter zu machen etwa bei der Entwicklung in städtischen Fehlstellen. Im Fall eines türkischen Gemeindezentrums sah eine Variante im Rahmenplan vor, dass die neue Umgehungsstraße an der Stelle geführt wurde, wo die Moschee steht. Das sind natürlich Sachen, die nicht passieren dürfen. Da wird in der Stadtentwicklung sehr fahrlässig umgegangen. Es fehlt das Verständnis, dass die Strukturen, die sich selbst entwickeln, als Humus von Stadtentwicklung überhaupt gesehen werden.
Die Verhinderung, bezieht die sich auf die Religion? Hohes Verkehrsaufkommen und Wertminderung sind Argumente, die oft im Zusammenhang mit Moscheenbau genannt werden.
Çİ | Es geht nicht nur um Sakralbauten. Es fängt schon bei Eigentumswohnungen an. Wenn ein Viertel als Migrantenviertel bekannt wird, wie Remscheid-Rosenhügel, dann fürchten die Nachbarn einen Wertverlust.
DP | Bei den türkischen Gemeindezentren haben wir festgestellt, dass es längst Vorgängerbauten, oft an derselben Stelle, gegeben hat. Der Streit entzündet sich genau dann, wenn die Gemeinde im Stadtraum wahrgenommen wird. Da gibt es eine Unehrlichkeit oder Verlogenheit an vielen Orten: Die Leute schlagen Alarm und fahren ein Riesenspektrum von Argumenten auf, die nicht haltbar sind, oder auch aus baurechtlicher Sicht nicht nachvollziehbar. Es geht um die Deutungshoheit des Raumes und um die Raumkontrolle. Ich glaube, da wird letztlich das Territorium verhandelt.
Ist das deutsche Planungsrecht im Zusammenhang mit neuen Typologien zu unflexibel?
DP | Ich finde schon, dass wir noch eine Menge lernen können, wenn es zu Neuschöpfungen kommt, die mit dem gängigen Planungsrecht teilweise kollidieren. Wir müssen ein bisschen gelassener werden. Es ist oft Auslegungssache. Wenn man ein Projekt verhindern möchte, kann man das Planungsrecht restriktiv auslegen, teilweise wurden ja auch schon die Gerichte bemüht. Wenn beispielsweise in einem Allgemeinen Wohngebiet planungsrechtlich nur Anlagen für soziale und kirchliche Zwecke zugelassen sind, haben es muslimische Gemeindezentren schwer, weil sie selbstfinanziert sind und auch Nebenfunktionen wie einen kleinen Supermarkt in diese baulichen Anlage integrieren. Da kann man voneinander lernen und muss sich genauer ansehen, wie die Zentren funktionieren. Wenn da genauer zugehört würde und aufrichtiger miteinander gesprochen würde, könnte man erfolgreicher arbeiten.
Wie könnte man die Kommunikation denn verbessern?
GS | Die alltägliche Praxis zeigt, dass solche Kommunikationsprozesse kompliziert sind, sie kosten auch mehr Geld. Wer bezahlt das Honorar? Meine persönliche Erfahrung ist: Das klassische Instrumentarium von Bürgerbeteiligung,
das klappt nicht. Und es ist eben auch nicht in jedem Fall gewollt. Wenn man mit einem städtebaulichen Rahmenplan beauftragt wird, und die Bürgerbeteiligung ist so eingepreist, dass nur eine Bürgerversammlung oder vielleicht mal ein Tagesworkshop dabei heraus kommt, dann ist das zu wenig. Will man wirklich einen Dialog entstehen lassen, dann braucht das viele Vorläufe, es gibt Missverständnisse, die wieder ausgeräumt werden müssen, man muss sich mal einladen lassen und so weiter.
Ein weiteres Thema in der Stadtentwicklung sind „ethnische Enklaven“. Das russisch-deutsche Neubaugebiet in Alten­kirchen ist ja nicht gerade ein Lehrbuchbeispiel für Inte­gration, wie sie politisch gewollt ist. Was wäre hier die Aufgabe der Stadtplanung? Zulassen oder gegensteuern?
Oder sind das Prozesse, die einfach nicht planbar sind?
DP | Die Frage, ob das durch Planung gesteuert werden kann, würden wir eher mit Nein beantworten. Wir haben es da in erster Linie mit Gesetzen des Immobilienmarktes zu tun, mit Wertschöpfungsketten, und nicht mit staatlichen Planungsprozessen. Das führt dann zu Quartieren oder Ortsteilen, die sich von selbst entwickeln. Das Problem liegt eher darin, die geschaffenen Tatsachen zu akzeptieren, und damit auch als Stadtentwicklung im positiven Sinne zu verstehen. Wir haben das immer „weiße Flecken“ auf der Stadtkarte genannt. Dass da eine Entwicklung überhaupt stattfindet, ist eigentlich das, was Stadt ausmacht. Es hat ja auch kein Mensch ein Problem damit, bei einem Besuch in New York nach Chinatown zu gehen.
Çİ | Viele Einwanderer geben sich große Mühe, etwas zu bauen, und wir reden darüber, wie man das steuert. Niemand fragt nach, wenn in einen Stadtbezirk ein großer Investor kommt und etwas Hässliches baut. Aber wenn bestimmte Ethnien eigene Enklaven mit wenig Geld bauen, da wollen alle mitmischen. Dabei ist das auf einer anderen Ebene eine eigene wirtschaftliche Bewegung. Diese Milieus bedienen eigene Bauherren und Firmen, da entwickelt sich so mancher vernachlässigter Stadtteil neu.
GS | Da steht auch eine bestimmte Vorstellung von Stadt dahinter: Hält man die heterogene Stadt mit Widersprüchen und Konflikten aus oder schätzt sie sogar als Qualität – und nicht dieses Klischee der nivellierten, durchmischten Stadt, in der es keine Widersprüche gibt.
Haben Migranten tatsächlich andere Gestaltungsvorstellungen als Menschen, die diese Erfahrung nicht gemacht haben? Gibt es das, eine „migrantische Baukultur“?
Çİ | Ja, denn mit der Einwanderung geht auch die Migration von Bildern und Symbolen einher. Oft sind es kleine Details. Bogenfenster sind zum Beispiel sehr beliebt bei bestimmten Gruppen, während sie in der Moderne ja eher verpönt sind.
DP | Das zeigt sich an Neuschöpfungen von Gebäudetypologien, aber auch an einem „Blurring“ der Gestaltungsstandards. In der klassischen Moderne gab es einen bestimmten Kanon, wie man eine Fassade gestaltet, und dann treten plötzlich Verschiebungen auf, es kommen neue Elemente rein, wenn auch zunächst informell.
GS | Stadt ist doch immer das Zusammenspiel von Raumstrukturen und sozialen Praktiken, alltäglichen Routinen, die sich entlang bestimmter Raummerkmale ausbilden. Wenn wir das zulassen, dann ist sie ja da, die Architektur. Vielleicht ist unsere Stadtplaner- und Architektenausbildung auch 40 Jah­re nach Christopher Alexander noch zu stark formal. Wir dürfen nicht erwarten, dass an jedem Haus, dem solche Prozesse zugrunde liegen, dann die BDA-Plakette in Bronze klebt. Ich war neulich auf einer Tagung zu historischen Ortskernen, da wurde dann das übliche Set wieder ausgebreitet: Man müsse einen Workshop abhalten mit frischen jungen Architekten, die Vorschläge machen. Aber warum beziehen wir die Zuwanderer nicht direkt mit ein? Natürlich gibt es dann Konflikte, entlang des Denkmalschutzes beispielsweise, aber wir müssen sie mal austragen. Meist werden Migranten als Akteure gar nicht wahrgenommen. Wenn es Zuwanderung gibt, müssen wir auch akzeptieren, dass sich dadurch die Städte ändern.

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