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Wo die Menschen Götter werden

Teotihuacan-Ausstellung in Berlin

Text: Friedrich, Jan, Berlin

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© Consejo Nacional para la Cultura y las Artes

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Wo die Menschen Götter werden

Teotihuacan-Ausstellung in Berlin

Text: Friedrich, Jan, Berlin

Mexikanische Reiseleiter lieben es, ausländische Besucher mit aztekischen Begriffen zu beeindrucken. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit sprechen sie ihren Gästen die für sie reichlich fremd klingenden Worte überdeutlich artikuliert vor, so als befänden sie sich im Phonetikunterricht und nicht auf einer Stadtrundfahrt. Das beginnt, natürlich, in der Hauptstadt mit „Tenochtitlán“, dem Namen jener Stadt, die aztekischen Aufzeichnungen zufolge um das Jahr 1325 herum auf einer Insel im Texcoco-See gegründet wurde – und heute Mexico-City heißt. Wer von dort aus eine geführte Tagesreise zu der rund 50 Kilometer nordöstlich gelegenen archäologischen Stätte Teotihuacan unternimmt, wird spätestens bei der Ankunft in der Pyramidenstadt deren Namen so häufig gehört haben, dass er ihn selbst nahezu perfekt aussprechen kann („Teotiwakan“).
Wie jedoch jene Menschen die Stadt genannt haben, die von ihrer Gründung im 1. Jahrhundert vor Chr. bis zum rätselhaften Ende im 7. Jahrhundert dort gelebt haben, wissen wir nicht. Es lassen sich kei­nerlei schriftliche Überlieferungen in oder aus der Stadt finden. Und so ist es bislang auch völlig unklar, wer über die in der Blütezeit bis zu 200.000 Einwohner der zur mittelamerikanischen „Supermacht“ avancierten Metropole herrschte. Als die ­Azteken im 14. Jahrhundert die längst verlassenen Ruinen entdeckten, erschien ihnen die 20 Quadratkilometer große Planstadt mit ihren Pyramiden, Tempeln und riesigen Wohnkomplexen beiderseits einer 40 Meter breiten Straßenachse derart geheimnisvoll, dass sie sie Teotihuacan nannten, „der Ort, an dem die Menschen zu Göttern werden“ oder „der Ort, an dem die Götter geboren werden“, und dort ihren eigenen Schöpfungsmythos ansiedelten.
Die überwältigenden Dimensionen der Stadtanlage nachzuempfinden, das haben die Macher der Ausstellung „Teotihuacan – Mexikos geheimnisvolle Pyramidenstadt“, die nach Stationen in Mexiko, Paris und Zürich zurzeit im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen ist, erst gar nicht versucht. Stattdessen geben sie anhand von rund 450 Artefakten, die überwiegend aus dem Anthropologischen Museum in Mexiko-City und den Museen in Teotihuacan stammen, einen überaus erschöpfenden Überblick über den Wissensstand der Forschung. Zu sehen sind Skulpturen, Masken, Geschirr, Fragmente von Wandgemälden. Die Themen Architektur und Stadtentwicklung wird man in der Ausstellung selbst nur angerissen finden, sie sind Gegenstand einiger Beiträge des fast 500 Seiten starken Katalogs.
Über die rein archäologische, kunsthistorische und architektonische Faszination, die Teotihuacan ausübt, ist es ein ausgesprochen gegenwärtiger Bezug, der vor allem bei einem Besuch vor Ort nachdenklich stimmt. Einige Forscher sehen schlicht Wassermangel als Hauptgrund für den Niedergang der Stadt, an dessen Ende Brandstiftung und Zerstörung standen. Die Stadt war zu groß geworden, um noch alle Einwohner versorgen zu können. Mexiko-City hat heute ganz ähnliche Probleme; die stetig wachsende Megacity muss rund 30 Prozent ihres Trinkwasserbedarfs mit LKW von der Küste herbringen lassen.

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