Bauwelt

Zeigen, wie es geht

Der Tragwerks­ingenieur Stefan Polónyi im M:AI

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

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Doppelbogenbrücke über dem Rhein-Herne-Kanal in Gelsenkirchen
Foto: Werner Dehmelt

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Doppelbogenbrücke über dem Rhein-Herne-Kanal in Gelsenkirchen

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Zeigen, wie es geht

Der Tragwerks­ingenieur Stefan Polónyi im M:AI

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

Monografien, Textsammlungen und Werkschauen über berühmte Tragwerksplaner: Ein neu aufgeflammtes Interesse an der Arbeit des Bauingenieurs ist zu beobachten. Jüngstes Produkt dieses Interesses ist eine Ausstellung des M:AI, in deren Mittelpunkt einer der wichtigsten Ingenieure der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht: Stefan Polónyi.
„Wir stehen am Beginn eines Paradigmenwechsels“, schrieb der Tragwerksplaner Manfred Grohmann kürzlich. Rechnergestützte Planungsprozesse, das regelbasierte Beschreiben von Strukturen und Kon­struktionen sowie ein „CAD 2.0“ führten unter anderem dazu, dass sich „die klassische Arbeitsteilung zwischen Architekt und Ingenieur verändern“ werde. Auch Patrick Schumacher, Zaha Hadids theoretisches alter ego, propagiert eine neue Arbeitsteilung: Der Ingenieur solle sich dem physisch-biologischen Wesen des Menschen, der Architekt sich dessen sozial-kommunikativem Wesen widmen. Beide Posi­tionen sind Indizien für einen Drang, das Verhältnis zwischen den Disziplinen neu auszutarieren, tradierte Rollen und Eitelkeiten infrage zu stellen. Zu beobachten ist ein neu aufgeflammtes Interesse an der Arbeit des Bauingenieurs, das in zahlreiche Monografien, Textsammlungen und Werkschauen über berühmte Tragwerksplaner mündet. Jüngstes Produkt dieses Interesses ist eine Ausstellung des M:AI, des nordrhein-westfälischen Museums für Architektur und Ingenieurbaukunst, mit dem Titel „Tragende Linien und tragende Flächen“. Im Mittelpunkt steht einer der wichtigsten Ingenieure der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Stefan Polónyi.
Die Schau im Dortmunder U führt den 1930 in Gyula/Ungarn geborenen, 1956 nach Deutschland geflüchteten Polónyi an den Ort zurück, an dem er nicht nur einige außerordentliche Bauwerke konstruierte, sondern gemeinsam mit Harald Deilmann und Josef Paul Kleihues etwas bisher in Deutschland Einmaliges vollbrachte: das „Dortmunder Modell Bauwesen“, das, wie Katrin Lichtenstein im Ausstellungskatalog wunderbar erläutert, im Kon­text eines allgemeinen Aufbruchs im Bildungswesen stand, der Anfang der 60er Jahre begonnen hatte. An der TU Dortmund, wo Polónyi ab 1971 Professor war, lernen Architekten und Ingenieure gemeinsam an Projekten – nicht um, wie Deilmann später erklärte, den baumeisterlichen Generalisten auszubilden, sondern um den Studierenden eine „Grunderfahrung in der gemeinsamen Arbeit am Objekt“ zu verschaffen.
Polónyis Rolle als Lehrer und beratender Ingenieur hat Fritz Neumeyer, der ihn als Student selbst erlebte, einmal mit einem „Hebammendienst“ verglichen: „etwas Werdendes auf den Weg zu sich selbst zu bringen“. Doch Polónyi war und ist nicht nur hervorragender Pädagoge und ausgezeichneter Ingenieur. Er revolutionierte seinen eigenen Berufsstand und schuf dafür die intellektuellen Grundlagen. Bereits 1965, als er einen Ruf an die TU Berlin erhielt, nannte er seinen „Statik und Festigkeitslehre“ bezeichneten Lehrstuhl sofort in „Tragkonstruktionen“ um. Eine Maßnahme, der nach und nach alle Statik-Lehrstühle in Deutschland folgten.
Die merkwürdige Denkart der Bauingenieure
Geleitet von dem Widerspruch, dass „die Ausbildung (der Ingenieure) für eine induktive Tätigkeit deduktiv erfolgt“, begann Polónyi sich mit Wissenschaftstheorie zu beschäftigen. In der Folge pulverisierten er und seine Mitarbeiter statische Gewissheiten, er entlarvte nie infrage gestellte Axiome als Ideologeme und zertrümmerte „die merkwürdige Denkart der Bauingenieure“, wie er einen 1976 in der Bauwelt erschienen Text überschrieb. Polónyi, dem der damalige Bauwelt-Chefredakteur Ulrich Conrads attestierte, er schreibe mit das „Beste, was zu Tragwerksentwurf und Tragwerkslehre und überhaupt zum Beruf des Tragwerksingenieurs“ gesagt worden sei, veröffentlichte gut ein Dutzend Artikel in der Bauwelt. Er kritisierte Pier Luigi Nervi, aber auch die vermeintliche Hightech-Architektur eines Norman Foster oder Richard Rogers, rezensierte Bücher und beschrieb früh baukonstruktive Probleme, die etwa die Postmoderne mit sich brächte.
Von Polónyis theoretischer Arbeit ist in der zusammen mit der TU Dortmund entwickelten Ausstellung wenig zu sehen. Sie ist keine Werkschau, ­sondern nimmt sich zur Aufgabe, Konstruktionsprinzipien im Œuvre Polónyis auch dem Laien verständlich zu machen. Dies ist allgemein die Aufgabe des M:AI, und das setzen die Kuratoren prononciert um. Bisweilen sehr didaktisch, aber mit ebenso einfachen wie effektiven Modellen wird die Wirkung eines Tragbalkens, eines Fachwerkträgers oder einer gefalteten Fläche erklärt. Vier Tischreihen präsentieren Gebäude, die Polónyi mit Architekten wie Rem Koolhaas, Kleihues oder Ungers realisierte, Bauten wie die Kirche St.Suitbert in Essen-Überruhr mit ihrem imposanten, zweisinnig gekrümmten Dach (1965 mit Josef Lehmbrock), das an eine Töpferscheibe erinnernde Keramion in Frechen bei Köln (1971 mit Peter Neufert) oder die Glashalle der Neuen Messe Leipzig (1996 mit gmp). Viele Geschichten werden erzählt – etwa von Ständern aus gebogenem Draht, die Po­lónyi für die antike Glassammlung seiner Frau bastelte und die ihn zu einigen seiner außergewöhnlichsten Brücken inspirierten. Sie lassen die Entdeckerfreude spüren und die spielerische Leichtigkeit, mit der Polónyi vormalige Grenzen überschritt, als er diese Bauten mitentwarf.
Polónyis oft zitierter Ausspruch: „Es ist nicht Aufgabe des Ingenieurs, dem Architekten klar zu machen, dass es nicht geht, sondern zu zeigen, wie es geht“, ruft beide Disziplinen zur gemeinsamen Verantwortung. Ulrich Conrads schrieb, Polónyi interpretierend: „Und es ist dieses bewusste Erleben gemeinsamer Arbeit, das jene Komplizenschaft, jene Solidarität stiftet, die es nicht weiter gestattet, den kalkulierenden Ingenieur und den Architekten als Gestaltgeber gegeneinander auszuspielen.“
Fakten
Architekten Polónyi, Stefan, Köln
aus Bauwelt 22.2012
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