Bauwelt

Apartmenthaus im Sonnwendviertel


Wohngemeinschaften


Text: Friedrich, Charlotte, Wien


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    Foto: Hertha Hurnaus

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Im Süden des neuen Wiener Hauptbahnhofs entsteht ein Quartier. Der L-förmige Stadtbaustein von Delugan Meissl bietet seinen Bewohnern Dachterrasse, Kindergarten, Hausbibliothek, Schließfächer. Und einen Raum, den die Architekten  „Marktplatz“ nennen
Wien wächst, an den Rändern und im Inneren. Studenten, Migranten, Zuzügler aus dem Umland und den Bundesländern kommen und bleiben. Das Zusammenwachsen Europas hat die Stadt wieder in einer Mitte verortet, in der sie zuletzt vor hundert Jahren war. Und um den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum decken zu können, muss neu gebaut werden – viel. Neben den frisch planierten Bauplätzen für transdanubische Großsiedlungen tun sich aber auch immer wieder innerstädtische Lücken auf, die eine Nachverdichtung und, in glücklichen Fällen, auch ein Ausbügeln städtebaulicher Irrtümer früherer Jahrzehnte ermöglichen. Im Windschatten des Groß-Umbaus der Wiener Bahnhofslandschaft etwa entsteht entlang der Sonnwendgasse ein neues Stadtquartier, das Sonnwendviertel. Es füllt die Brachflächen des ehemaligen Güterbahnhofs und soll eine Brücke vom X. Wiener Gemeindebezirk „Favoriten“ zur „Wieden“, dem IV. Bezirk, schlagen, der bisher durch die Gleisanlagen gefühlte Welten entfernten ist. Rund 5000 Wohnungen für 13.000 Einwohner sollen hier entstehen. Die insgesamt sieben Baufelder des Baugebiets wurden im Rahmen eines von der Stadt im Jahr 2009 veranstalteten Bauträgerwettbewerbs vergeben. Die übergeordneten städtebaulichen Vorgaben basieren auf dem 2004 beschlossenen Masterplan „Bahnhof Wien – Europas Mitte“ für das gesamte Areal um den neuen Hauptbahnhof. In dem nicht anonymen Verfahren erhielten sechs Teams aus kommerziellen oder gemeinnützigen Bauträgern und ihren Architekten den Zuschlag; bei der Vergabe des siebten Bauplatzes wurden privat initiierte Baugruppen berücksichtigt.
Die Rückkehr der Gemeinschaftsflächen
Nach einigen Um- und vielleicht auch Irrwegen im Wohnungsbau der vergangenen Jahrzehnte werden in jüngerer Zeit wieder Themen aus der Anfangszeit des sozialen Wohnungsbaus aufgenommen. Zuzug von Arbeitssuchenden, Auflösung familiärer Gefüge, aber auch eine Verschiebung von Einkommensstrukturen und, damit einhergehend, die Notwendigkeit, bezahlbaren Wohnraum in großen Mengen zu schaffen – die gesellschaftlichen Randbedingungen weisen, bei allen Unterschieden, manche Ähnlichkeit zur Situation vor knapp hundert Jahren auf. Und so überrascht es nicht, dass auch lange vernachlässigte Gemeinschaftseinrichtungen neu entdeckt und von Seiten der Wohnbaupolitik nachdrücklich eingefordert werden. Lange waren diese auf eine gemeinsame Waschküche im Keller und einen aus nicht anderweitig verwertbaren Restflächen generierten Fahrradraum reduziert. Obwohl es bereits seit einiger Zeit Versuche gibt, im Wohnungsbau verstärkt gemeinschaftlich zu nutzende Bereiche anzubieten, blieb es in den meisten Fällen bei mehr oder weniger halbherzigen Experimenten. Anders hier: In der Aufgabenstellung des Wettbewerbs wurde, erstmals in diesem Rahmen, explizit „soziale Nachhaltigkeit“ in Form eines qualitätvollen Angebots an Partizipationsflächen gefordert, und über das gesamte Quartier sollte ein gemeinsames Freiraumkonzept erarbeitet werden.
Inzwischen sind die ersten Gebäude fertiggestellt und bezogen. So auch die „platform L – Lebensstationen“ von Delugan Meissl und dem Österreichischen Siedlungswerk Gemeinnützige Wohnungsaktiengesellschaft, beide feste Größen im geförderten Wohnungsbau in Wien.
Bei den im geförderten Wohnungsbau realistisch, aber nicht allzu großzügig bemessenen Kostengrenzen war eine klare Entscheidung zur Verteilung der finanziellen Kapazitäten und damit der Zuordnung der Nutzungen zu treffen. Ohne spürbare Qualitätsverluste wurde bei der Dimensionierung der privaten Bereiche, aber auch bei Ausstattung und Materialien auf Überflüssiges verzichtet, um Ressourcen für die gemeinschaftlich zu nutzenden Bereiche zu schaffen. Die Grundrisse sind klar und zweckmäßig. Ohne Schnörkel wurde ein differenziertes Wohnungsangebot für verschiedene Altersgruppen und Wohnformen geschaffen. Die Konstruktion lässt spätere Veränderungen zu; die Zimmertrennwände lassen sich mit vertretbarem Aufwand entfernen oder versetzen. Und jede Wohnung erhielt Loggia, Balkon oder Terrasse, was in Wien immer noch als besonderes Zuckerl gilt. Im Erdgeschoss des kurzen Gebäudeflügels sind Räume für eine Kindertagesstätte untergebracht, daneben gibt es auch einige Gewerbeeinheiten.
Kreuzung Eingangsbereich
Die zur Straße orientierten Nord- und Ostfassaden geben sich im Erdgeschoss eher verschlossen, lediglich der verglaste, großzügig angelegte Eingangsbereich entlang der Vally-Weigl-Gasse erlaubt Ein- und Ausblicke. Das von den Architekten als „Marktplatz“ deklarierte Foyer verbindet die Aufgänge in die beiden Gebäudeflügel miteinander, der Raum ist als Verteiler- und Begegnungsfläche gedacht; hier kreuzen sich die Wege von den Wohnungen zu Tiefgarage, Spielraum, Hof und Waschküche. Im Angebot sind Sitzbänke, eine kleine Bibliothek, die von den Bewohnern bereits bestückt wurde, und Schließfächer.
Die vertikale Erschließung des nördlichen Gebäudeflügels, aus Brandschutzgründen von den Allgemeinbereichen streng abgetrennt, wurde auf das notwendige Minimum von insgesamt vier innenliegenden, zweispännigen Fluchttreppenhäusern reduziert, um an anderer Stelle ein hochwertiges, allen Bewohnern zugängliches Raumangebot wie den „Marktplatz“ schaffen zu können. Während die Wohnungen hier in erster Linie penthousemäßig direkt über eine Aufzugsanlage mit ausgeklügeltem Schließsystem zu erreichen sind, ist das Treppenhaus des östlichen Gebäudeflügels wesentlich großzügiger gehalten. Es wird über eine Glasfront zum Hof na­türlich belichtet und erhielt eine Installation des Künstlers Manfred Erjautz. Eine halbe Treppe abwärts finden sich ein Mehrzweckraum, der sich in den Hof öffnet, dahinter die Waschküche, ums Eck der Gartenausgang und der Zugang zur Garage. Die Entscheidung über die weitere Ausstattung der Räume ist noch nicht gefallen – aber es soll eine demokratische werden.
Dasselbe Treppenhaus erschließt einen weiteren Gemeinschaftsraum im sechsten Obergeschoss. Mit der vollständig eingerichteten Küche kann er für kleinere und größere Feiern oder zum nachmittäglichen Kaffeeklatsch genutzt werden. Von der Küche geht es auf die Dachterrasse, die sich über den gesamten nördlichen Gebäudeteil erstreckt. Der Blick reicht über den neuen Bahnhof, den im Entstehen begriffenen Helmut-Zilk-Park bis zu den ersten Hügeln des Wienerwalds. Eine durchgängige Pergola hält die augenblicklich noch unbespielte Fläche zusammen. Auch dank der Farbgestaltung – ein helles Ocker, eher ungewöhnlich für die sonst auf klassisches Weiß eingeschworenen Architekten – entsteht eine beinahe südländische Atmosphäre. Pflanztröge wurden aufgestellt, ein Grillplatz soll eingerichtet, vielleicht auch Hängematten angebracht werden; das richtet sich nach den Wünschen der Bewohner.
Während die Neubauten nach außen die Blockrandstruktur der Umgebung aufnehmen, öffnet sich innen entlang einer bereits im Wettbewerb vorgegebenen Achse eine Abfolge von unterschiedlich öffentlichen Freiräumen. Dieser frei zugängliche und dennoch geschützte Grünstreifen verbindet drei Baublöcke des Viertels miteinander. Die Grünfläche im Hof der „platform L“ ist zu den Mietergärten stufenweise ab­gesenkt, so entsteht von ganz alleine eine zunehmende Privatheit. Es gibt ein paar Spielgeräte, eine Schaukel, eine Pergola, die noch auf Begrünung hofft und Sitzgruppen. Die Mietergärten werden mit breiten, halbhohen Betonblöcken abgetrennt, die als Stellfläche für Pflanzen, als Tisch oder Sitz- und Sonnenplatz oder einfach nur als Gartenmauer interpretiert werden können.
Zu sehr moderaten Baukosten von nicht einmal 1400 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche sind hier auf 12.300 Quadratmetern Nutzfläche 92 Wohnungen entstanden. Die differenziert gestalteten Gemeinschaftseinrichtungen sind bewusst nicht zentral angeordnet, so ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten zur Begegnung, ohne diese zu erzwingen. Jetzt ist es an den Neu-Sonnwendianern, sich in ihrem Domizil einzurichten, die Flächen in Besitz zu nehmen, an ihrer Gestaltung teilzuhaben und das Konzept mit Leben zu füllen. Die Chancen stehen gut, dass dank wiederentdeckter Qualitäten für den Wohnungsbau aus der Un-Gegend der Gleisbrache eine Gegend wird und die Bewohner nicht nur eine Wohnung, sondern ein Zuhause gefunden haben.



Fakten
Architekten Deligan Meissl Architects, Wien
Adresse Vally-Weigl-Gasse 1 A-1100 Vienna


aus Bauwelt 15.2014
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