Bauwelt

Barnim Panorama


Der moderne Dreiseithof


Text: Kleilein, Doris, Berlin


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    Till Schuster

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Wie bringt man 2000 Quadratmeter Ausstellungs- und Seminarfläche in einem kleinen Dorf unter? rw+ architekten aus Berlin ist es gelungen, eine ländliche Bautypologie neu zu interpretieren. Das „Barnim Panorama“ in Wandlitz nimmt Material und Formensprache Brandenburger Höfe auf und wirkt dabei kein bisschen volkstümelnd.
Wandlitz, eine halbe Stunde Bahnfahrt nördlich von Berlin, ist eine prosperierende Gemeinde: Über eine Million Tagesausflügler und Touristen kommen jedes Jahr an den Wandlitzsee und in die Buchenwälder des Barmin. Auch die „Waldsiedlung“ am Rand der Gemeinde, in der sich ab 1958 die SED-Führung verschanzte, lockt noch immer Neugierige an. Weniger bekannt ist der alte Dorfkern von Wandlitz, der etwas abseits der Ausflugspfade liegt. Klassische Gehöfte reihen sich, vom See umarmt, entlang der Breitscheidstraße auf. Hier hat Wandlitz noch immer den Charme eines brandenburgischen Fischerdörfchens; von der Betriebsamkeit des Badeortes ist wenig zu spüren.
Naturpark und Traktoren
Das könnte sich bald ändern. Am Eingang zum alten Dorfkern von Wandlitz wird am 7. September das bislang größte Bauvorhaben der Gemeinde eröffnet, das „Barnim Panorama“. Lokale Ressourcen wurden gebündelt und unter einem Dach vereint: Das „Agrarmuseum Wandlitz“, dessen Sammlung von agrarhistorischen Geräten seit den fünfziger Jahren vom ortsansässigen Ehepaar Blankenburg zusammengetragen wurde, zieht aus der improvisierten Unterkunft ein paar Häuser weiter in den neuen Museumshof und macht fortan gemeinsame Sache mit dem Besucherzentrum des „Naturpark Barnim“. Irgendwie soll das ja auch alles zusammenkommen: Die intensive Agrarnutzung und der nach dem Mauerfall konstituierte Naturpark, der sich von Oranienburg im Westen bis Eberswalde im Nordosten erstreckt und im Süden noch zum Berliner Stadtgebiet gehört. Nur, wie bringt man 2000 Quadratmeter Nutzfläche in einem kleinen Dorf unter?
Arbeiten mit der Typologie des Dorfes
rw+ Architekten aus Berlin, die 2009 das Verhandlungsverfahren für sich entscheiden konnten, stülpen dem Ort keine internationale Museumsarchitektur über, sondern orientieren sich ganz bodenständig an einer in Brandenburg weit verbreiteten Typologie: den Dreiseithof mit Haupthaus, Stall und Scheune, nebst Schuppen und „Büdnerhaus“ (wie man in Norddeutschland das bescheidene Haus eines Dorfbewohners nennt, der nur wenig Land besitzt). Der Neubau folgt in groben Zügen dieser Typologie, die Architekten nehmen sich jedoch die Freiheit, die Elemente neu zu interpretieren.
Der bestehende klassizistische Schulbau wurde zurückhaltend saniert und zum „Haupthaus“ des Museumshofes; dort sind Seminar- und Verwaltungsräume untergebracht. Im Neubau verschränken sich „Museumsstall“ (Backstein) und „Museumsscheune“ (Holz) zu einem hybriden Ganzen. Das Volumen des Museumsstalls zeigt seine Schmalseite zur Straße und ist weitgehend geschlossen, die Museumsscheune steht nicht ganz im rechten Winkel dazu und trennt beinahe klassisch den Hof vom Garten. Das stilisierte Büdnerhaus ist selbstbewusst ganz vorn an der Straße platziert. Ginge es nach den Architekten, würde dort ein Hofladen mit Café die Besucher zum Verweilen einladen; bis auf Weiteres dient das archetypische Giebelhäuschen aus Holzrahmen und Dachlatten als Unterstand für die „Lokomobile“, dem Wahrzeichen des Agrarmuseums.
Biberschwanz und Berliner Mischung
Man merkt dem Ensemble an, dass die Architekten eine fast diebische Freude daran hatten, Materialien und Elemente der ländlichen Typologie bis ins Detail weiterzuentwickeln. Der Museumsstall, ein Massivbau aus Hochlochziegeln mit vorgehängter Fassade, ist an sich ein lakonisches Gebäude auf rechteckigem Grundriss – wäre da nicht der skulpturale Überhang zum Hof, eine Rollschicht, wie man sie bei vielen Brandenburger Backsteinställen kennt, nur viel höher und weiter, betont durch eine schräge, verglaste „Ladeluke“. Bei der Fassade aus Altziegeln mussten die Architekten improvisieren, doch das tut ihrer Lebendigkeit keinen Abbruch, im Gegenteil. Die bunte „Berliner Mischung“ ging während des Bauens aus und wurde durch Gelbbrand aus dem nahegelegenen Zehdenick ersetzt, was der Laie allerdings kaum wahrnehmen wird. Das Dach ist ganz traditionell mit Flachziegeln (Biberschwanz mit Segmentschnitt, Reduktionsbrand) gedeckt, zwischen Stall und Scheune betont dagegen ein durch und durch moderner verglaster Durchgang die Gebäudefuge. Solides Handwerk trifft auf den Willen zur Form. Hier zeigt sich die Prägung des Architektenteams: Stephan Woehrlin hat als Bauleiter Chipperfields Neues Museum in Berlin betreut (Bauwelt 13.09), Matthias Reese war Projektleiter des Jüdischen Museums im Büro Libeskind (Bauwelt 46.98).
Auch das zweite Material des Ensembles, das Holz, spielen die Architekten voll aus. Die Museumsscheune gleicht einem Schulungszentrum in Sachen Holzbau: Sie ist aus vorgefertigten Holztafeln errichtet, das Dach ist mit Holzschindeln gedeckt, die Fassade ist aus Lärchenholz. Gedämmt wurde mit Strohballen. Anders als der Stall hat die Scheune drei große, jeweils sehr eigene Öffnungen: Im Erdgeschoss kann die Fassade wie bei einer  Tordurchfahrt zur Festwiese im Garten und zum Hof geöffnet werden. Auf der Gartenseite ragt eine steile Gaube aus dem Dach und gibt durch ein neun Meter hohes Fenster den Blick frei auf den See und die Landschaft. An der Schmalseite ist das Gebäude auf der ganzen Höhe verglast, sodass es den Anschein erweckt, als ob die in der Museumsscheune ausgestellte „Traktorenherde“ auch in den Außenraum tuckern könnte.
Die räumlichen Gegensätze sind auch im Inneren klar ablesbar: Die Besucher betreten und verlassen den Neubau durch den Museumsstall, der mit weißen Wänden, grauem Zement- und weißem Epoxydharzboden glatt, ruhig und mit viel Kunstlicht gestaltet ist. Beim Übergang in die Scheune tritt der Aha-Effekt ein: Der Raum öffnet sich über zwei Geschosse bis unter das Dach, die weiß lasierte Dachkonstruktion mit den auskragenden Ausstellungsboxen zeigt eine Größe, die das Gebäude von Außen nicht verrät. Die Traktoren, die hier aufgereiht sind, können auch von der Galerie aus betrachtet werden. Das große Fenster zum See hat etwas beinahe Sakrales und es verwundert nicht, dass die Gemeinde hier noch weitere Ressourcen bündeln will: Das Standesamt Wandlitz wird dort in Zukunft Trauungen abhalten.
Die Domäne Dahlem des Berliner Nordens
Noch sind der Schaugarten und der Naturerlebnispfad erst zarte Pflänzchen. Auch die schmalen Felder, die parallel zur Straße angelegt wurden, warten noch auf Getreide, Mais und andere Feldfrüchte, über die der Traktor zu Vorführzwecken rollen kann. Doch man kann sich bereits jetzt sehr gut vorstellen, dass dieses sorgfältig gesetzte Ensemble ein produktiver Hof wird. 6,8 Millionen Euro wurden investiert, davon kommen 3,9 Millionen aus dem EU-Fonds für die Entwicklung ländlicher Räume. Eine „Domäne Dahlem“ des Berliner Nordens, so stellt sich die Wandlitzer Kulturamtsleiterin Claudia Schmid-Rathjen das Gelände vor, in Anlehnung an den bekannten Stadtbauernhof im Berliner Süden. Wandlitz will sich neu positionieren als Mittelpunkt des Naturparks Barnim und hofft auf mehr als 20.000 Besucher pro Jahr. Die architektonischen Vorraussetzungen dafür sind bestens. 



Fakten
Architekten rw+ Architekten, Berlin
Adresse Breitscheidstraße 22, 16348 Wandlitz ‎


aus Bauwelt 26.2013
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