Landschaftslabor
Vorhandenes weitergebaut
Text: Guimarães M., Carlos, Porto
Ein altes Manufakturgebäude an einem Bach, Gelder aus dem Kulturhauptstadtjahr und die Idee, dem Schutz der Landschaft um Guimarães zu mehr Beachtung zu verhelfen, führten zum Projekt Landschaftslabor. Für Michele Cannatà und Fátima Fernandes stellte sich gleich zu Beginn die Frage, ob die Situation nicht als Ausgangspunkt des Entwurfs tauge.
Das Projekt Laboratório da Paisagem („Landschaftslabor“) in Veiga do Creixomil am westlichen Stadtrand von Guimarães war Bestandteil des Programms der Kulturhauptstadt Europas 2012 und wurde daher aus europäischen Mitteln mitfinanziert. Das neue Gebäude lässt sich als der sichtbare Teil einer größeren strategischen Investition zur Aufwertung und Stärkung des Umlands der Stadt verstehen, wobei der Schwerpunkt auf den ökologischen Aspekten dieses Landschaftsschutzgebiets liegt. Jedoch – dies sei von vorn herein ausgesprochen – muss sich erst noch zeigen, ob dieses Gebäude eine kluge Investition gewesen ist. Das prosaische und offenkundig naive Konzept, erst einmal einen Raum zu schaffen, ohne damit gleich ein exakt definiertes Programm für seine Nutzung zu verbinden, könnte dazu führen, dass sich das Gebäude am Ende als nutzlos und teuer im Unterhalt erweisen wird. Obwohl das Projekt von der Stadtregierung in Auftrag gegeben wurde und es der Stadt gehört, wurde seine Verwaltung der Universität Minho übertragen, der wohl einzigen öffentlichen Institution in der Region, die die methodischen Kapazitäten besitzt, den neuen Raum mit Leben zu füllen. Als ich ein paar Monate nach seiner Fertigstellung das Gebäude besuchte, fand dort gerade eine kleine Konferenz statt. Die meisten Räume waren aber noch nicht möbliert, die Atmosphäre wirkte steril, und Festlegungen für eine intensive Nutzung schienen noch nicht getroffen.
Abgesehen von diesem Problem ist die Architektur als solche interessant. In der Folge einer öffentlichen Ausschreibung im Jahr 2010 wurde das in Porto ansässige Büro Cannatà & Fernandes beauftragt, mit einem Gesamtbudget von knapp 1,11 Millionen Euro ein Gebäude mit einer Fläche von knapp 1400 Quadratmetern zu entwerfen. Die Architekten gestalteten eine kleine alte Fabrik um, verstärkten deren räumliche Qualitäten und adaptierten sie an die neuen Funktionen. Einem Abriss hätte nichts im Wege gestanden, aber die Architekten betrachteten das vorhandene Gebäude als einen vielversprechenden Ausgangspunkt, da dessen räumliche Merkmale sich ideal für die neuen Funktionen eigneten. Überdies zeigt das Gebäude in seiner Formensprache eine starke Verbindung zu seiner ländlichen Umgebung und verrät eine tiefe Verwurzelung in der portugiesischen Architekturtradition. Mag es in der Architektur auch keine spezifisch portugiesische Denk- und Herangehensweise geben, kommt einem Aspekt in der portugiesischen Architekturtheorie heute doch besondere Bedeutung zu: dem beständigen Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart sowie zwischen Projekt und Ort. Für diese Tradition lassen sich mehrere Beispiele finden, die alle in enger Verbindung zu den Architekten Fernando Távora, Álvaro Siza und, im weiteren Sinne, zur Architekturfakultät der Universität Porto stehen.
Tatsächlich war der physische und morphologische Kontext des bestehenden Gebäudes konzeptionell reizvoll und damit entscheidend für die Lösung. Das Gebäude bestand aus einer traditionellen Abfolge kleiner Raumkörper mit Ziegeldächern innerhalb einer idyllischen Umgebung. Von den umliegenden Straßen und Wegen aus gesehen, wirkt seine Silhouette langgestreckter als sie eigentlich ist. Der kleine Flusslauf vor der nördlichen Hauptfassade verstärkt diese Horizontalität zusätzlich.
Die bestehenden Steinmauern wurden erhalten und gereinigt; die neuen Betonmauern unterstreichen die ursprüngliche Form des Gebäudes und verstärken die Qualitäten der Innenräume. Während der Naturstein sich in die Landschaft integriert, schafft der helle Beton einen angenehmen, aber auffälligen Kontrast.
Die unterschiedlichen Neigungswinkel des Dachs geben dem Gebäude eine Dynamik, die sich auch im Inneren mitteilt. Die ursprünglichen Öffnungen wurden beibehalten; ihr Rhythmus und ihr Maßstab steigern die Dynamik. Durch die vielen Fenster wird überdies die Landschaft ins Innere hinein geholt und ein Kontrast zum gänzlich weißen Ambiente geschaffen. Das Programm entfaltet sich hauptsächlich im Erdgeschoss, wo drei Laborräume, eine kleine Bibliothek und einige Arbeitsräume, ein offener, großer Saal für Konferenzen, Diskussionen und Ausstellungen und schließlich noch ein winziges Café untergebracht worden sind. Im Obergeschoss fand am westlichen Ende des Gebäudes ein großer Arbeits- und Versammlungsraum Platz.
Hin zum lebendigen Prozess
Wie schon angesprochen, stellt das Gebäude couragiert einen Dialog zwischen Alt und Neu her, und zwar sowohl in der Form, als auch im Material. Darüber hinaus gelingt es ihm, eine Verbindung zwischen formalen Archetypen und zeitgenössischen Gestaltungselementen zu knüpfen; zwischen dem rauen, originalen Naturstein und den exakteren neuen Oberflächen, zwischen den alten Farben und Texturen und den neuen, glatten, rein weißen Flächen. Die Architekten widersetzten sich erfolgreich dem gängigen Trend, Originale bloß zu reproduzieren, und damit auch der Versuchung, das Gebäude in der Vergangenheit einzufrieren.
Jene Optionen wären ohne jeden Zweifel enttäuschend ausgefallen – ganz anders ist die, die verwirklicht wurde. Angesichts der überall in Europa wachsenden Zahl von Aufträgen zur Umwandlung bestehender Gebäude lässt sich ein dauerndes Bedürfnis erkennen, den Unterschied zwischen Vergangenheit und Erbe kritisch zu bewerten. Während Erbe ein Synonym für etwas Unantastbares ist, das um jeden Preis erhalten werden muss, erlaubt Vergangenheit einen lebendigen, zu Veränderung führenden Prozess. Am Stadtrand von Guimarães hingegen haben sich die Architekten mit einer sorgsamen, lichten Lösung für die letztere Sichtweise entschieden.
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