Warehouse Gallery an der 55th Street in New York City
Der Architekt Julian von der Schulenburg hat für das Werk von Boris Lurie einen Lagerraum in Manhattan ausgebaut
Text: Silbermayr, Lisa, New York
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Das Archiv befindet sich in einem alten Speichergebäude in Midtown West.
Foto: Julian von der Schulenburg
Das Archiv befindet sich in einem alten Speichergebäude in Midtown West.
Foto: Julian von der Schulenburg
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Der helle vordere Bereich ...
Foto: Dean Kaufman
Der helle vordere Bereich ...
Foto: Dean Kaufman
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... dient für Besprechungen.
... dient für Besprechungen.
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Zwischen den Schrankeinbauten lassen sich 21 schwarze Streckmetallwände aufziehen.
Foto: Dean Kaufman
Zwischen den Schrankeinbauten lassen sich 21 schwarze Streckmetallwände aufziehen.
Foto: Dean Kaufman
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Der in der Sowjetunion geborene Jude Boris Lurie thematisiert seine KZ-Erfahrungen ...
Foto: Dean Kaufman
Der in der Sowjetunion geborene Jude Boris Lurie thematisiert seine KZ-Erfahrungen ...
Foto: Dean Kaufman
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... in provokativen und expressiven Arbeiten.
Foto: Dean Kaufman
... in provokativen und expressiven Arbeiten.
Foto: Dean Kaufman
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Im hinterer Bereich haben die Archivare ihren Arbeitsplatz.
Foto: Dean Kaufman
Im hinterer Bereich haben die Archivare ihren Arbeitsplatz.
Foto: Dean Kaufman
Selten kommt man in den Genuss, den Ort, an dem Kunstwerke gelagert werden, zu besichtigen: das Archiv. Die neue „Warehouse Gallery“ in Midtown West ist beides in einem: Archiv und Galerie, und das in einem einzigen Raum. Julian von der Schulenburg, ein junger Architekt mit Büro in München und New York, hat für die Boris Lurie Art Foundation, die den künstlerischen Nachlass des 2008 verstorbenen Lurie verwaltet, ein eben solches Hybrid entworfen.
Die Galerie befindet sich im „Cirkers Hayer“, einem riesigen Lagerhaus nördlich des Galerienviertels Chelsea. Dort werden Flächen an Galeristen und Auktionshäuser vermietet. Private Käufer und Kuratoren gehen hier ein und aus, ohne Termin bekommt man als Besucher keinen Einlass. Im Inneren verliert man leicht die Orientierung, die Türen verraten nicht, was sich dahinter verbirgt. Auch der Zugang zur Warehouse Gallery ist schwer zu finden: Mit dem Aufzug gelangt man in eines der oberen Geschosse und über einen langen Gang entweder zum vorderen oder hinteren Eingang.
Klare Struktur
Von der Schulenburg hat den bestehenden Raum konsequent in drei Teile gegliedert, ohne wirklich Wände aufzustellen: zwei schmale Bereiche „vorne“ und „hinten“, zwischen beiden die Galerie und das Archiv mit mittiger Erschließung. Die vorhandenen Stahlbetonquerbalken gaben den Rhythmus für die Einbauten vor. Der Boden der mittleren Zone wurde um zehn Zentimeter erhöht, um hier Schienen für die Schiebelemente aus Streckmetall aufzunehmen, jeweils drei zwischen zwei Querbalken. Hinzu kommen deckenhohe, fest installierte Kastenelemente, die jeweils zwischen den Unterzügen angeordnet sind. Der helle und großzügige Raum hat an der Fassadenseite eine fast raumhohe opake Verglasung mit gusseisernen Industrierahmen.
Boris Lurie
Insgesamt 3000 Werke von Lurie sollen in der „Warehouse Gallery“ einmal Platz finden. 2000 sind bereits archiviert. Ungefähr 250 befinden sich zurzeit außer Haus, einige davon noch bis Ende Juli im Jüdischen Museum in Berlin.
Der Künstler Boris Lurie und die „NO!art“-Bewegung werden nicht jedem bekannt sein. Der 1924 in der Sowjetunion Geborene wurde als 17-Jähriger gemeinsam mit seinem Vater ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt – beide überlebten. 1946 ging Lurie nach New York, wo er gemeinsam mit anderen Künstlern 1959 die „NO!art“-Bewegung gründete. Sie wendete sich gegen abstrakten Expressionismus, aufkommende Pop Art und die Ökonomisierung der Kunst. Kompromiss- und schonungslos scheint sich Lurie an Politik, Sexismus und der Konsumgesellschaft abgearbeitet zu haben. Er war nicht daran interessiert, seine Werke auch zu verkaufen. Als er verstarb, nahm sich die Galeristin Gertrude Stein (nicht zu verwechseln mit der amerikanischen Schriftstellerin) seiner Werke an. Sie leitet auch die Stiftung und ist Bauherrin der Warehouse Gallery.
Ort der Erinnerung
Als ich am Ende der Führung durch die Galerie auf einem Le-Corbusier-Sofa Platz nehme, berichtet eine Mitarbeiterin, dass Boris Luries Arbeiten schon so manchen Besucher emotional aufgewühlt hätten. Ich stehe noch einmal auf und lasse mir Beispiele zeigen. Dabei offenbart sich das Potenzial der neuen Innenarchitektur. Zielgerecht steuert der Archivar die in der Tat verstörenden Bilder und Collagen an und schiebt die Module, auf denen sie mit Haken auf dem Streckmetall fixiert sind, hervor. Er sei schon an die Inhalte gewöhnt. „Railroad to America“, eine der bekannteren Collagen, überlagert eine Fotografie, die eine Masse an Leichen auf einem Transportanhänger zeigt, mit einer erotischen Frauenfotografie. Gemeinsam erzeugen sie eine starke emotionale Reaktion. Mich beruhigt es, die Möglichkeit zu haben, die Bilder auf den Wänden wieder in ihre Nische schieben zu können. Es ist aber wichtig, dass sie da sind, und man sie leicht auch wieder ins Zentrum rücken kann. Den Bereich an der Fassade, wo sich der Eingang für Besucher befindet, die Mitarbeiter einen Arbeitstisch haben und das Sofa steht, kann man nach Bedarf vom Rest der Galerie mit vollflächigen Schiebewänden trennen.
Zu der Geschichte der Werke, ihres Urhebers und seiner außergewöhnlichen Kunst kommen die komplexen räumlichen Anforderungen der Handzeichnungen, Collagen und Bilder. Die Galerie wirkt sortiert, übersichtlich, der Raum großzügig. Die Schränke haben zu allen Seiten offene und geschlossene Bereiche. Es lassen sich tischflächengroße Elemente herausziehen, um darauf Papierarbeiten auszubreiten. Von der Schulenburg sagt, es sei ihm wichtig gewesen, mit einem rigiden Raster, auf die „freie Wildheit“ der Kunst von Boris Lurie zu reagieren. Es ist schon beeindruckend (fast schon beklemmend), so konzentriert in einem einzigen Raum dem gesamten Lebenswerk des Künstlers zu begegnen. Die Arbeiten sind entsprechend dem Stauraum sortiert: Leinwand gerahmt oder in einer Box, an Stahlgittergestellen hängend, Leinwand gerollt in Kartonrohr, vertikale und horizontale offene Lagerfächer, ein auf zwei Meter große Schubladen für Zeichnungen und Collagen, Regale für Skulpturen und Assemblagen.
Trotz der gewünschten Rigidität kann man nach Bedarf bei der Präsentation bestimmter Arbeiten mit den Aufbewahrungselementen spielerisch und intuitiv den Raum umgestalten und kuratieren – im Gegensatz zum White Cube auf schwarzem und rotem Hintergrund. Die Warehouse Gallery ist nicht nur ein Archiv und eine Galerie, sondern auch ein Ort der Erinnerung und Bewusstmachung der Themen, die Lurie so kompromisslos behandelte.
Am Ende des Besuchs erwähnt der Architekt San Rocco, eine unabhängige, italienische Publikationsreihe für Architektur. Der Titel einer Ausgabe, die ihn bei seiner Arbeit für das Archiv begleitet hat, lautet „Fuck Concepts! Context!“. Der Kontext von Boris Lurie und der NO!art-Bewegung haben in der Warehouse Gallery ein würdiges Zuhause gefunden.
Fakten
Architekten
von der Schulenburg, Julian, München/New York
Adresse
444 W. 55 Street New York, New York 10019 USA
aus
Bauwelt 22.2016
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