75 Jahre "Imperium Italien"
Finster, grandios, verdrängt ...
Text: Bodenschatz, Harald, Berlin
75 Jahre "Imperium Italien"
Finster, grandios, verdrängt ...
Text: Bodenschatz, Harald, Berlin
Am 9. Mai vor 75 Jahren wurde in Italien das faschistische Imperium proklamiert – im Verständnis des Regimes eine Neuauflage des römischen Imperiums. Bei der Architektur der düsteren Zwischenkriegszeit wird meist nur Giuseppe Terragni genannt. Doch damals wurden italienische Städte nahezu flächendeckend mehr oder minder radikal umgebaut. Vieles gilt es auch heute noch zu entdecken.
Die Republik Italien wird 150 Jahre alt. Das lässt uns eher kalt, denn für uns ist Italien ja viel älter, es geht bis auf die Etrusker zurück, und das neue Italien erscheint uns eher als Störung. Das betrifft nicht nur das „Berlusconiland“, sondern auch das berüchtigte Ventennio, die zwanzig Jahre zwischen 1922 und 1942, als sich Italien mit Begeisterung von Mussolini führen ließ. In diesem Jahr jährt sich aber nicht nur die Gründung Italiens zum 150. Male, die Proklamation des faschistischen Imperiums – eines der schwärzesten Kapitel des Landes –, jährt sich zum 75. Mal. 150 und 75 – eigentlich eine zu Erinnerungskurven verpflichtende Datenkonstellation, die faktisch aber Anlass zu ignorantem oder betretenem Schweigen ist. Das Imperium, im Verständnis des Regimes eine Neuauflage des antiken römischen Imperiums mit dem „Duce“ als Reinkarnation von Augustus, wurde am 9. Mai 1936 von Mussolini in Rom ausgerufen, nachdem die italienischen Truppen in einem blutigen Krieg, unter völkerrechtswidrigem Einsatz von Giftgas, Äthiopien erobert hatten, oder genauer: in die Hauptstadt Addis Abeba einmarschiert waren. Sichtbares Symbol der neuen „imperialen“ Zeit war 1937 die Aufstellung der 24 Meter hohen, in Äthiopien geraubten uralten Stele von Aksum auf der Piazza del Circo Massimo (heute Piazza di Porta Capena), an der Südspitze der antiken Rennbahn. Den baulichen Hintergrund der Stele bildete bald der Rohbau eines gewaltigen, von Vittorio Cafiero und Mario Ridolfi 1938 als Sitz des Afrikaministeriums geplanten Palastes. Er wurde 1952 fertiggestellt und ist heute Sitz der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Die Stele sollte nach dem Friedensvertrag von 1947 binnen 18 Monaten an Äthiopien zurückgegeben werden. Diese Vereinbarung wurde aber ignoriert. Nach längeren Auseinandersetzungen kehrte die Stele erst 2005 wieder zurück nach Aksum.
Die Heiligschreibung Terragnis
Wir kennen heute alle wichtigen Architekten und Gebäude der Antike, des Mittelalters, der Renaissance und des Barock in Italien, aber wir wissen sehr wenig, eigentlich nichts über die faschistische Zwischenkriegszeit – und dies, obwohl damals italienische Städte nahezu flächendeckend mehr oder minder radikal umgebaut worden sind, weit mehr, als anderswo in Europa. Wenn – jenseits der gut informierten Spezialisten – ein Architekt dieser Zeit bei uns bekannt ist, dann ist es Giuseppe Terragni, ein Architekt der Moderne, der vor allem in Como wirkte, aber keineswegs zu den einflussreichsten des Regimes zählte. Die Heiligschreibung Terragnis ist ein Produkt der seltsamen italienischen Vergangenheitsbewältigung der Nachkriegszeit, die uns ein unglaublich verzerrtes Bild der Mussolinizeit vermittelt hat. Spiritus Rector dieser Inszenierung war Bruno Zevi, der bedeutendste und einflussreichste italienische Architekturkritiker der Nachkriegszeit. Er verband faschistische Architektur mit einigen formalen Aspekten – Neoklassizismus, Symmetrie, Achsen usw. Dementsprechend war demokratische Architektur das Gegenteil davon. Durch diesen Trick konnte die Architektur des überzeugten Faschisten Terragni als „antifaschistisch“ verkauft werden. Die Kehrseite dieser einseitigen Geschichtsschreibung ist die Ausblendung der vielfachen Versuche Le Corbusiers, mit Mussolini ins Geschäft zu kommen. Das gilt insbesondere für dessen finsterste fachliche Tat, nämlich den Versuch, einige Monate nach der Eroberung Äthiopiens einen Auftrag für die Planung der nach Rom bedeutendsten Stadt des neuen Imperiums, Addis Abeba, zu erhalten. Wer danach in den vielen Hagiographien von Le Corbusier sucht, wird meist nichts finden.
Modernisten und Traditionalisten
Nahezu unbekannt sind bei uns die wichtigsten Architekten des faschistischen Regimes, etwa Marcello Piacentini, Gustavo Giovannoni, Alberto Calza Bini, Armando Brasini, Luigi Moretti. Da passt es gut ins Bild, dass die 1999 in Bonn abgeschlossene Doktorarbeit von Sandro Scarrocchia zum Thema „Die Untermauerung der Achse. Piacentini und Speer 1937–1942“, die noch im gleichen Jahr in italienischer Sprache als Buch erschien, in Deutschland nahezu unbeachtet blieb. Aber selbst die Werke der genannten Architekten, die die Architekturzeitschriften des Regimes prägten, stellen nur ein kleines Spektrum der Architekturproduktion der Mussolinizeit dar. Auch in Italien ist die Kluft zwischen der gebauten sowie der geschriebenen und gezeichneten Architektur gewaltig. Geschrieben wurde damals wie heute von einem Krieg zwischen Modernisten und Traditionalisten. Dabei erschienen die Traditionalisten – oft auf die römische Schule Piacentinis und die Novecento-Bewegung in Mailand verkürzten –, als alt, müde, schwach und unwürdig der neuen Zeit. Dass dieser Krieg der Worte der realen Produktion der Architektur der Stadt wenig entsprach, dass die „Traditionalisten“ in den zwanziger Jahren die Bautätigkeit im Lande prägten und dass sich hinter der unglaublich simplen Begrifflichkeit „Traditionalismus“ ein breites Spektrum von Architektursprachen verbarg, bleibt dem Zuhörer der Erzählungen verborgen. Die Palette traditioneller Architektur reichte damals von ländlichen bzw. regionalen Bauweisen über neo-antike, -mittelalterliche und -barocke Formen bis hin zu einer Architektur des vereinfachten Klassizismus. Hier soll nicht die moderne, rationalistische Architektur pauschal kritisiert werden. Sicher, diese war oft, aber keineswegs immer ortlos, sie förderte zweifellos eine nationale uniforme Architektur, die der regionalen Vielfalt den Boden entzog. Es gab jedoch zahlreiche hervorragende Bauten der Moderne, die den Kontext, das Quartier, die Landschaft, die Stadt bereicherten. Das gilt aber auch für Gebäude, die den abwertenden Stempel traditionalistisch erhalten haben. Noch gibt es sehr viel zu entdecken in Italien und im italienischen „Ausland“, Schauriges und Faszinierendes.
Der Autor wird in Kürze ein Buch zum Städtebau in der Mussolinizeit herausgeben.
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