Alternde Wohnträume
Jahrzehntelang war der Pakt zwischen Planern und Bevölkerung klar: Die einen weisen neue Einfamilienhaus-Gebiete aus, die anderen besiedeln sie und spülen Einnahmen in die Stadtkasse. Keinen der Beteiligten störte, dass die neuen Quartiere städtebaulich meist genauso anspruchslos waren wie die Architektur der Häuser, die darin gebaut wurden. Der Deal beinhaltete die unausgesprochene Vereinbarung, dass man sich gegenseitig in Ruhe ließ.
Text: Schultz, Brigitte, Berlin
Alternde Wohnträume
Jahrzehntelang war der Pakt zwischen Planern und Bevölkerung klar: Die einen weisen neue Einfamilienhaus-Gebiete aus, die anderen besiedeln sie und spülen Einnahmen in die Stadtkasse. Keinen der Beteiligten störte, dass die neuen Quartiere städtebaulich meist genauso anspruchslos waren wie die Architektur der Häuser, die darin gebaut wurden. Der Deal beinhaltete die unausgesprochene Vereinbarung, dass man sich gegenseitig in Ruhe ließ.
Text: Schultz, Brigitte, Berlin
Auf diese Weise sammelte sich ein Siedlungsbrei an, über den viele Städte längst den Überblick verloren haben. In einem Großteil der alten Bundesländer sind inzwischen mehr als 95 Prozent der Wohngebäude Ein- oder Zweifamilienhäuser, und auch die neuen Bundesländer haben seit 1990 kräftig aufgeholt. Auf welchem Pulverfass sie damit sitzen, wird den Städten erst langsam klar. Insbesondere in den Gebieten aus der Boomzeit der 50er- bis 70er-Jahre bahnt sich eine Vererbe- und Verkaufswelle an, die sie aus dem Gleichgewicht werfen könnte. Wer soll sich um die fast 15 Millionen Wohneinheiten aus dieser Zeit kümmern, wer soll sie kaufen?
Die Eckpfeiler des Problems sind schnell umrissen: demographischer Wandel, stark sanierungsbedürftige Gebäude, Konkurrenz durch Neubau. Rechnet man diese Parameter für die Zukunft hoch, ergeben sich Prognosen wie in Bayern, wo in zehn Jahren nur noch 20 Prozent der Haushalte Familien sein werden – 80 Prozent der Gebäude jedoch Einfamilienhäuser. Der Blick nach Norddeutschland zeigt Ähnliches: Cuxhaven erwartet,
dass bis 2030 jedes vierte Einfamilienhaus in der Stadt nicht mehr dauerhaft bewohnt sein wird.
dass bis 2030 jedes vierte Einfamilienhaus in der Stadt nicht mehr dauerhaft bewohnt sein wird.
Wer das für Privatsache der Eigentümer hält, verkennt die Tragweite des Problems. Hier droht die Altersvorsorge von Millionen Menschen zu implodieren, die auf ihr Haus als handfeste Wertanlage gebaut haben. Staat und Planer können sich nicht aus der Verantwortung für eine Entwicklung stehlen, die sie jahrzehntelang gefördert haben. Die Masse schlecht gealterter Einfamilienhaus-Gebiete hält unserer Profession einen unangenehmen Spiegel vor. Gab es nicht einst zumindest den Anspruch, langfristig nutzbare Strukturen zu bauen?
Nun sind wir gezwungen, uns das ungeliebte Kind genauer anzuschauen, und ohne Arroganz Qualitäten herauszuarbeiten, die die Quartiere zukunftsfähig machen. Eine wachsende Zahl von Studien zum Thema liefert dazu einen wichtigen Beitrag. Die Erfahrungsberichte der beteiligten Planer und Forscher, mit denen wir für dieses Heft gesprochen haben, verdeutlichen aber auch, gegen welche Widerstände – von Bewohnern, Kirchturmpolitikern und manchmal auch von Kollegen – diejenigen kämpfen müssen, die die lieb gewonnene Ruhe stören und das Problem angehen, noch bevor es nicht mehr zu übersehen ist.
Ein elementarer Teil der mühevollen Kleinarbeit, die den Planungsämtern bevorsteht, ist daher, so simpel das klingen mag, Überzeugungsarbeit zu leisten. Um eine Veränderung zu bewirken, muss diese auch an einem Tabu rütteln: Werden die Gemeinden sich damit anfreunden können, keine Neubaugebiete mehr auszuweisen, wie es die Einfamilienhaus-Forscherin Christina Simon-Philipp in unserem Interview fordert? Oder werden sie zumindest die Möglichkeiten des Einfamilienhaus-Gebiets ausreizen, z.B. durch eine höhere Dichte und andere Settings als die grüne Wiese, wie eine Gruppe Schweizer Architekten am Ende dieses Hefts vorschlägt? In jedem Fall ist ein konstruktiver Dialog mit den Bewohnern – den jetzigen wie den potenziellen künftigen – unerlässlich. Was das bewirken kann, zeigen Initiativen wie das Cuxhavener Beratungsprogramm für Altbau-Interessenten, die Wohnlotsen, oder das französische Nachverdichtungs-Projekt Build in my Backyard. Wenn Nachhaltigkeit und Resilienz nicht nur Worthülsen bleiben sollen, müssen wir dafür sorgen, dass solche Beispiele keine einsamen Vorreiter bleiben.
0 Kommentare