Machen!
Das Architekturzentrum Wien zeigt die erste Überblicksausstellung zum Werk des Londoner Architekturkollektivs Assemble
Text: Röcker, Damaris, Stuttgart
Machen!
Das Architekturzentrum Wien zeigt die erste Überblicksausstellung zum Werk des Londoner Architekturkollektivs Assemble
Text: Röcker, Damaris, Stuttgart
Assemble erhielt 2015 den Turner Prize – einen der weltweit renommiertesten Kunstpreise – für das Projekt „Granby Four Streets“. Das interdisziplinäre Kollektiv mit 18 Mitgliedern wurde für seine andauernde Restaurierungsarbeit in einer heruntergekommenen Reihenhaussiedlung im Liverpooler Arbeiterviertel Toxteth gewürdigt, die in enger Zusammenarbeit mit den Bewohnern stattfindet (Bauwelt 44–45.2015). Seitdem gilt Assemble die Aufmerksamkeit der internationalen Architektenschaft – ihnen, die so ganz anders sind als die meisten Architektengruppen, die voller Tatendrang eine alte Tankstelle in ein Kino verwandeln oder Säcke mit Bauschutt füllen, um daraus Wände für einen temporären Proberaum herzustellen,
„The Cineroleum“, der Umbau einer Tankstelle in ein Kino im Jahr 2010, war das erste Projekt des Kollektivs; dafür wurde Assemble 2013 mit dem Bauwelt-Preis ausgezeichnet (Bauwelt 1–2.2013). „OTOProjects“, ein Raum für experimentelle Musik in Dalston im Osten Londons, entstand im Jahr 2013; ein deutscher Architekt, der das Projekt studiert, fragt sich vermutlich, welchen Wärmedurchgangskoeffizient eine Wand aus Säcken haben mag, wer die unzähligen Förderanträge zur Finanzierung stellt – und wie so ein junges Büro aus 18 gleichberechtigten Mitgliedern überhaupt all die Projekte meistert.
Antworten auf diese Fragen gibt die Werkschau im Architekturzentrum Wien (AzW) nicht. Sie erzählt vom Bauen: „Wie wir bauen“. Die Ausstellung zeigt ausschnitthafte 1:1-Installationen von zehn Projekten. Dabei arbeitet Assemble mit einer radikalen Ehrlichkeit: Sie nennen die Mischverhältnisse zur Herstellung der bunten Betonfliesen, die die Fassade ihres Ateliergebäudes „Yardhouse“ in der Londoner Stratford High Street schmücken; sie erläutern den Brennprozess zur Herstellung von Griffen, Vasen, Kaminsimsen und vielem mehr, was im „Granby Workshop“ entsteht. Auf einem großen Tisch sind die experimentellen Keramikprodukte ausgelegt. Sie kommen bei der Restaurierung der Granby-Four-Streets-Reihenhäuser zur Anwendung. Diese Ansammlung macht die Freude des Kollektivs an Materialexperimenten deutlich.
Asseblems Wissensschatz im Umgang mit Materialien zeigt sich auch bei den Informationstafeln, die aus dem von der Gruppe entwickelten Material „Papercrete“, Papierbeton, bestehen. Mit bunten Nadeln sind Fotos der Bauprozesse auf die Boards gepinnt. Ein Bild zeigt mit Bauschaum gestopfte Löcher am Dachanschluss des „OTOProjects“. Von Eitelkeit keine Spur. Holzmodelle, die wie Puppenhäuser wirken, zeugen vom Arbeitsprozess mit den freiwilligen Helfern. Im Modell zum „Granby Winter Garden“ stehen Pflanzen aus Papier. Auch hierfür wäre mancher Architekt zu stolz. Bei Assemble unterstreicht das die Zugänglichkeit ihrer Architektur.
Angelika Fitz, Direktorin des AzW, schreibt im Katalog, sie wolle die Handlungsfähigkeit in den Fokus rücken, die sich Assemble mit seinen Projekten zurückholt. Sie bezieht sich auf das Ohnmachtsgefühl vieler Architekten, ausgelöst durch die Übermacht der Bauindustrie, die Überregulierung des Systems und das Desinteresse der Auftraggeber an Qualität.
Dennoch bleibt das Geheimnis darum, wie Assemble tatsächlich arbeitet. Der Ausstellungstitel scheint das zu rechtfertigen. Er lautet nicht: „Wie wir wirtschaften“, „Wie wir organisieren“, „Wie wir planen“ – sondern es geht ums Machen: Hand anlegen, etwas Neues schaffen. Dazu ermutigt die Schau. Sie zeigt, dass die Dinge oft viel näherliegen, als man gemeinhin denkt – und was Leidenschaft bedeutet. Einige wichtige Fragen, die Oliver Wainwright in seinem Katalogbeitrag stellt, bleiben offen: „Ist ihr Modell des agilen Initiierens von Projekten mit lokalem Skill Building und kollektivem Selbermachen eine nachhaltige Praxis?“ und „Wie wird es weitergehen, wenn die Gruppe weiterwächst und sich weit größerer Projekte annimmt?“.
Bei der „Goldsmiths Art Gallery“ tauchen erstmals Detailzeichnungen auf. Assemble gewann 2014 den Wettbewerb der Goldsmiths University und plant nun den Umbau eines denkmalgeschützten Londoner Badehauses zur öffentlichen Kunstgalerie – mit Baukosten von 1,8 Millionen Pfund das bisher größte Projekt der Gruppe. Hier stellt sich die Frage nach der Zukunft von Assemble: Ist die erste Werkschau schon ein Rückblick auf unbeschwerte Zeiten? Damit wäre die Ausstellung umso mehr auch Ermutigung, sich von Assembles Arbeitsweise etwas abzuschauen – eine Art Bedienungsanleitung, um nicht zu vergessen, was bauen bedeuten kann.
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