Bedroht: Hamburgs frühe Betonbauten
Die Holsten-Brauerei verlässt voraussichtlich 2019 ihren Traditionsstandort an der Holstenstraße in Hamburg-Altona und verlegt ihre Produktion in einen Neubau im Stadtteil Hausbruch. Anschließend will die Gerch Group im Joint Venture mit der SSN Group das Brauereiareal zu einem neuen Stadtteil entwickeln. Dabei bleibt wenig Historisches erhalten. Abgerissen werden soll unter anderem die Schwankhalle, eine kühne Eisenbetonkonstruktion von 1911, deren Bedeutung bisher nicht bekannt war. Dies gilt ebenso für andere frühe Eisenbetonbauten, denn die Ingenieurbaukunst in Deutschland ist trotz vielversprechender Initiativen bisher nur unzureichend erforscht.
Text: Bardua, Sven, Hamburg
Bedroht: Hamburgs frühe Betonbauten
Die Holsten-Brauerei verlässt voraussichtlich 2019 ihren Traditionsstandort an der Holstenstraße in Hamburg-Altona und verlegt ihre Produktion in einen Neubau im Stadtteil Hausbruch. Anschließend will die Gerch Group im Joint Venture mit der SSN Group das Brauereiareal zu einem neuen Stadtteil entwickeln. Dabei bleibt wenig Historisches erhalten. Abgerissen werden soll unter anderem die Schwankhalle, eine kühne Eisenbetonkonstruktion von 1911, deren Bedeutung bisher nicht bekannt war. Dies gilt ebenso für andere frühe Eisenbetonbauten, denn die Ingenieurbaukunst in Deutschland ist trotz vielversprechender Initiativen bisher nur unzureichend erforscht.
Text: Bardua, Sven, Hamburg
Dabei könnte man die Schwankhalle der Holsten-Brauerei auch unter rein ästhetischen Gesichtspunkten für erhaltenswert halten. Die um 9,30 Meter auskragenden Eisenbetonträger auf dem zentralen Hof hinter dem Verwaltungsgebäude beeindrucken auch Laien. Eingeweihte berichten, dass die Halle von Fachleuten bauzeitlich bislang in die 1950er Jahre eingeordnet wurde. Tatsächlich stammt sie aus der Frühzeit des Eisenbetonbaus: von 1911. Damals haben sich die Ingenieure mit dem neuen Baumaterial allmählich neue Dimensionen erobert. „Unseres Wissens sind derartige weite Auskragungen im Hochbau noch nicht und nur vereinzelt im Brückenbau zur Ausführung gekommen“, schrieb dazu Ernst Mautner, der für den Bau verantwortliche Oberingenieur der Düsseldorfer Baufirma Dücker & Co. (in: Deutsche Bauzeitung - Mitteilungen über Zement, Beton- und Eisenbetonbau, Ausgabe vom 11. November 1911).
Mautner sowie der auf Brauereien spezialisierte Architekt und Bauingenieur Anton Landgräber (1868 geboren, in Düsseldorf, Wiesbaden und Hamburg ansässig) hatten etliche Bauten für die seit 1880 an dem Standort arbeitende, von 1911–13 runderneuerte und später mehrfach erweiterte Holsten-Brauerei entworfen. Von 1912/13 stammen bis heute das Areal prägende Turmbauten: das mit dunkelrotem Klinker verkleidete Malzsilo, das daneben stehende Sudhaus mit dem Holsten-Ritter auf dem Dach und der Juliusturm gegenüber. Diese drei Eisenbetonskelettbauten sollen aus Sicht der Eigentümer und der Stadt „zur Identitätsschaffung im neuen Quartier“ erhalten bleiben. In dem „urbanen Quartier mit Wohnen, Gewerbe, Bildung, Freizeit und Erholung“ sollen in einigen Jahren dann mehr als 3000 Menschen leben. Der Entwurf für die Neugestaltung des Brauereigeländes zu einem Stadtteil stammt von dem Architekten André Poitiers und Arbos Freiraumplanung (Bauwelt 18.2017). Die gegenüber vom Malzsilo stehende Schwankhalle dagegen soll nach Angaben der SSN Group einem Neubau und einem Teil der Haupterschließungsstraße weichen. Vor dem städtebaulichen Realisierungswettbewerb hätten „zahlreiche Top-Architekten und Fachleute der Verwaltung die Halle gesehen“ – und offensichtlich für nicht erhaltenswert gehalten. Zumindest die für das Areal verantwortliche Stadtplanungsabteilung sowie das Denkmalschutzamt wussten nach eigenen Angaben bisher nichts von der bautechnischen Bedeutung der Halle. Auch die drei Turmbauten wurden nicht unter Denkmalschutz gestellt, weil das gesamte Brauerei-Konglomerat aus denkmalfachlicher Sicht nicht gut behandelt wurde. Es wurde mehrfach für die jeweils veränderten Brauereinutzungen umgebaut, so das Hamburger Denkmalschutzamt. Und es ergebe keinen Sinn, Einzelnes herauszuheben.
Dabei steht die Schwankhalle auch für eine originäre Funktion einer Brauerei: Hier wurden Fässer gereinigt, repariert und mit Bier befüllt. Im Gegensatz zu den gleichzeitig gebauten, kleineren Versandhallen ist ihr charakteristisches Tragwerk weitgehend erhalten. Nur die einst typische Verladerampe fehlt, weil die Lkw zum Beladen längst in die Halle hinein fahren. Einst wurden hier die Fässer aus der Küferei und Picherei über die Rampe auf pferdebespannte Bierwagen verladen, die dabei witterungsgeschützt stehen sollten. Das ist der Grund für das weit auskragende Dach der mit 16,30 Meter Spannweite insgesamt nicht besonders breiten Halle (46,70 Meter lang). Die um 9,30 Meter auskragenden Träger waren damals rekordverdächtig. Dabei agierte Ingenieur Mautner mit der Zweigelenkrahmenkonstruktion aus Eisenbeton am Rand des damals Möglichen. So ließ die Baupolizei im Oktober 1911 eine Belastungsprobe mit Sandsäcken durchführen, die ein „äußerst zufriedenstellendes Ergebnis“ erbrachte.
Bauingenieur Mautner war innovationsfreudig. Um 1910 hatte er seinen Posten als Oberingenieur bei der Firma Dücker & Co. angetreten und unter anderem die 1911 erbauten Hallen des Straßenbahndepots in Düsseldorf-Bilk entworfen. Aufgrund ihrer an ein Sakralgebäude erinnernde Eisenbeton-Konstruktion stehen sie seit 1996 unter Denkmalschutz. Der von Mautner 1911/12 (mit dem Architekten Alfred Fischer) entworfene Kuppelbau des Pumpwerkes Alte Emscher in Duisburg, ebenfalls aus Eisenbeton, ist sogar „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“. Mautner wurde wohl 1879 in Prag geboren und war von 1909 bis 1930 in Düsseldorf tätig. Anschließend verliert sich die Spur des Sohns jüdischer Eltern.
Erst 1904 hatten die deutschen Bauaufsichtsbehörden die neuartige Eisenbetonbauweise grundsätzlich anerkannt. Nach einigen Dachstühlen entstanden um 1905 die ersten Hallenkonstruktionen mit Rahmen aus Eisenbeton. Gebaut wurden derartige Tragwerke nur in einer relativ kurzen Zeitspanne bis etwa 1925. Denn der hohe Schalungsaufwand für die vor Ort hergestellten Betonrahmen war ein großer Nachteil. Hier waren Binder aus Eisen beziehungsweise Stahl einfacher zu handhaben. Außerdem erschien mit modernen Holzfachwerken eine weitere Konkurrenz für den relevanten Spannweitenbereich bis 20 Meter. Einen kurzen Aufschwung erlebte der monolithische Rahmenbau aus Eisen- beziehungsweise Stahlbeton noch einmal für kurze Zeit wegen des Stahlmangels nach dem Zweiten Weltkrieg, bevor die Bauweise durch Fertigteile dauerhaft verdrängt wurde.
In Hamburg stammen die ersten Eisenbetonskelettbauten von 1902: Der Bauingenieur Hermann Deimling hatte sie für die Maschinenfabrik C. H. Dehn in Hohenfelde (abgerissen) und das Kontorhaus der heutigen Rathaus-Apotheke entworfen. Daraufhin entstanden in der Hansestadt zahlreiche weitere Betonskelettbauten und ein Jahrzehnt später mehrere weit spannende Kuppel- und Hallenbauten aus Eisenbeton. Bekannt ist die Haupttribüne der Horner (Galopp-)Rennbahn mit ihrem um etwa 8,80 Meter weit auskragenden Dach. Mit diesem 1911/12 errichteten Bau war dem Architekten Otto March und den Ingenieuren der Berliner Baufirma M. Czarnikow & Co. gelungen, was ihnen drei Jahre zuvor nach eigenem Bekunden in Berlin noch verwehrt war: ein eleganter Bau aus Stahlbeton. Denn die Tribünen der Berliner Rennbahn Grunewald waren aus technischen Gründen noch mit Eisenkonstruktionen gebaut worden. Über Abbruch und Neubau der Hamburger Tribüne wird trotzdem immer wieder mal diskutiert. Dagegen gelten die Kuppeln des Vorlesungsgebäudes der Hamburger Universität (1909 entworfen), der Kunsthalle (1912) und der Auferstehungskirche in Barmbek (1913) allein wegen ihrer baukünstlerischen Werte als ungefährdet.
Auch eine 1913/14 von der Norddeutschen Betonbaugesellschaft Stubbe & Schibli mit Rahmenbindern aus Eisenbeton errichtete, äußerlich repräsentativ gestaltete Wagenhalle der U-Bahn-Hauptwerkstatt in Barmbek ist wegen eines latenten Modernisierungsdrucks bedroht. Als ungefährdet gilt die Bahnsteighalle der U-Bahn-Station Volksdorf mit ihren 22 Meter weit spannenden Eisenbetonbindern. Das Amt für Ingenieurwesen unter der Leitung von Nils Buer und der Architekt Eugen Göbel hatten diese schwungvolle Halle 1916 entworfen. Der östliche Anbau der großen Montagehalle der Maschinenfabrik Kampnagel in Winterhude gilt wegen der dauerhaften Nutzung als Kulturzentrum als gesichert. Die Halle mit basilikalem Querschnitt und einer Dachkonstruktion in Eisenbeton stammt von 1912/13.
Eine wegen ihres feinen Tragwerkes im Inneren optisch attraktive Maschinenhalle mit einer Betonrahmenkonstruktion steht mitten im Hamburger Hafen auf Steinwerder. Die Baufirma Dyckerhoff & Widmann hatte diese dreischiffige Konstruktion 1915 für die Maschinenfabrik Gall & Seitz erbaut. Da sie äußerlich überhaupt nicht auffällt, würde auch ein Abbruch wohl kaum bemerkt werden. Denn die Öffentlichkeit nimmt diese frühen und interessanten Betonbauten überhaupt nicht wahr, sicher auch weil die Ingenieurbaukunst oft ohne die Beteiligung eines Architekten entstanden ist. Doch die Baukunst ist unteilbar.
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