Begegnung mit Ground Zero
Text: Spertus, Juliette, New York
Begegnung mit Ground Zero
Text: Spertus, Juliette, New York
Das 9/11 Memorial Museum, das im Mai eröffnet wurde, ist nicht wirklich ein Museum: Es ist eine Stätte; der Standort der Türme des World Trade Center und dessen, was als „Ground Zero“ bekannt wurde. Hierher pilgerten die Menschen in den Monaten der Aufräumarbeiten und den Jahren des Wiederaufbaus.
Hier blickten sie durch den mit Votivkerzen und Fotos bedeckten Zaun in das 6,5 Hektar große, sieben Stockwerke tiefe Loch – auf das, was übrig war nach dem Einsturz der Türme, bei dem 2606 Menschen aus dem Leben gerissen worden waren. Das Loch ist nun verschwunden.
Die neuen Bürogebäude halten respektvoll Abstand zu den Bodenflächen der eingestürzten Twin Towers, die, gestaltet von Architekt Michael Arad zusammen mit dem Landschaftsplaner Peter Walker, als zwei riesige, 9,12 Meter tiefe Becken bewahrt blieben. Von deren Rändern fällt Wasser in die Tiefe. Die U-Bahn ist repariert, der neue Verkehrsknoten, der durch Calatravas wirbelsäulenartige Glasummantelung belichtet wird, ist fast fertig, sodass dieser Abschnitt von Lower Manhattan bald wieder ins Gefüge der Stadt integriert sein wird.
Die neuen Bürogebäude halten respektvoll Abstand zu den Bodenflächen der eingestürzten Twin Towers, die, gestaltet von Architekt Michael Arad zusammen mit dem Landschaftsplaner Peter Walker, als zwei riesige, 9,12 Meter tiefe Becken bewahrt blieben. Von deren Rändern fällt Wasser in die Tiefe. Die U-Bahn ist repariert, der neue Verkehrsknoten, der durch Calatravas wirbelsäulenartige Glasummantelung belichtet wird, ist fast fertig, sodass dieser Abschnitt von Lower Manhattan bald wieder ins Gefüge der Stadt integriert sein wird.
Zu der Zeit, als Ground Zero abgeräumt wurde, aber noch bevor das New Yorker Büro Davis Brody Bond den Gestaltungsauftrag erhielten, stand das Schlüsselelement des Museums bereits fest: Die Architekten hatten mit Michael Arad schon an seinem Gedenkstättenentwurf gefeilt, dessen Infrastruktur (darunter die Anlage, die 200.000 Liter Wasser pro Minute pumpt) massive Volumina im Untergrund erforderte – just dort, wo das Museum seine Artefakte unterbringen wollte. Projektleiter Mark Wagner hatte in einem Flugzeughangar ein Inventar verbogener Stahlträger und weiterer Artefakte für das World Trade Center Archive zusammengetragen. Seine jahrelangen Bemühungen zur Bestimmung von Trümmerteilen hatten Wagner mit Ingenieuren und Bauunternehmen in Kontakt gebracht, und er verstand die symbolische Bedeutung der Rampe aus verdichtetem Schutt, die während der Rettungs- und Aufräumarbeiten benutzt und später bei den jährlichen Gedenkgottesdiensten ein Prozessionsweg für Angehörige und Honoratioren war. Sie ist Ausgangspunkt für die Besucherführung über ein mehrfach geknicktes Band, das sich entlang verschiedener Fragmente der Twin Towers hinab in die Tiefe windet. Auf diesem Weg wird etwa die freiliegende, 21 Meter hohe Schlitzwand, die gegen Überflutungen gebaut worden war und dem Einsturz der Türme standhielt, zu einem Symbol der Stärke. Hunderte Fragmente von Stahlträgern, die immer noch im Fels verankert sind, markieren den Umfang der Türme.
Der Eingang zum Museum wurde vom norwegischen Büro Snøhetta entworfen, nachdem Pläne für ein separates „Museum der internationalen Freiheit“ aufgegeben worden waren. Ticketschalter halten die Wartenden draußen, sodass der Pavillon aus Stahl und Glas, der sich am Ostrand der Stätte zwischen den beiden Bassins befindet, wie ein Torhaus wirkt. Abends, wenn sein Inneres erleuchtet ist, wird es zu einem Glasschrein, der das einzige Artefakt schützt, das von der Plaza aus sichtbar ist: einen verrosteten Stahlträger der Umfassungsmauer, einen jener Träger, die sich in kleinere „Dreizacke“ gabelten, welche die charakteristischen gewölbten Öffnungen in den Erdgeschossfoyers der Türme ermöglichten. Obschon der Pavillon ein kleines Café und ein Auditorium enthält, besteht seine Hauptfunktion darin, die Besucher durch die Sicherheitseinrichtungen und über eine monumentale Treppe hinunter in das abgedunkelte Ambiente des eigentlichen, ein Geschoss tiefer befindlichen Museumsfoyers zu schleusen. Der Blick auf den Stahlträger aus der Nähe ist die erste Begegnung mit Ground Zero, aber das eigentlich bewegende Erlebnis beginnt am oberen Ende der Rampe. Von dort ge-hen die Besucher hinunter, begleitet von den Geräuschen Hunderter entsetzter Stimmen, die in verschiedenen Sprachen und wie in einem ununterbrochenen Gespräch von den Anschlägen berichten. In der Mitte wechselt die Rampe vor dem „letzten Träger“ die Richtung. Dieser war von Notfallhelfern mit Graffiti bedeckt worden, um der Toten zu gedenken. Die Besucher haben hier einen ersten Blick auf die Schlitzwand, von der ein Teil genau so bewahrt wurde, wie sie aussah, als sie mit dem Abtransport der Schuttmassen freigelegt wurde. Die Rampe aus dunklem Holz und Stahl führt weiter in die Nähe des ab-strahiert wiedergegebenen Volumens des Nordturms, wo sich die Infrastruktur des Gedenkbassins hinter Tafeln aus Aluminiumschaum verbirgt. Diese geben den imposanten Raumkörpern ein weiches, fast wattiertes Erscheinungsbild. Die Rampe endet mehrere Geschosse über dem Felsgrund an der Spitze eines weiteren fragmentarischen Artefakts, der „Treppe des Überlebenden“. Die Besucher setzen ihren Weg über eine Treppe oder einen Fahrstuhl fort, bis zu einem Boden aus poliertem Beton auf dem Felsgrund. Treppe und Fahrstuhl enden zu beiden Seiten der fragmentarischen Treppe, was diese mit ihren abgenutzten Betonstufen pathetisch wirken lässt. Von diesem Punkt aus können sich die Besucher frei um die gesamte Grundfläche des Nordturms bewegen. In dem Ausstellungssaal auf der Grundfläche des Turms wird der Anschlag vom 11. September minutiös beschrieben und auch der weitere Verlauf der Geschehnisse. Der Südturm wird in gleicher Weise behandelt, doch sind die Säle hier kleiner und ausschließlich dem Totengedenken gewidmet. Die Reste der umfassenden Stahlbetonträger wurden gemäß den staatlichen Auflagen erhalten. Das Museum nutzt sie, um die Orte zu kennzeichnen, wo die Flugzeuge einschlugen, und um über die Geschichte des WTC zu informieren.
Indem sie für das Museum ein Interieur und ein Exterieur schufen, gelang es Davis Brody Bond, dessen oft im Widerspruch zueinander stehenden Aufgaben zu trennen: Das Museum fungiert zugleich als Gedenkstätte, wird etwa 2,5 Millionen Besucher im Jahr bewältigen müssen und eine Geschichte präsentieren, die so aktuell ist, dass jeder Versuch, sie zu erzählen, als vorläufig zu gelten hat. Allerdings gibt es einige Bereiche, wo sich die persönlichen Erlebnisse am Ground Zero und die erzählte Version unangenehm nahe kommen. Was bleibt, ist die Gelegenheit, Ground Zero direkt zu begegnen.
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