Dämmung vs. Baukultur
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Dämmung vs. Baukultur
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Nachträgliche Wärmedämmung - egal wie, oder gibt es auch andere Möglichkeiten? Sind Architekten wirklich die weltfremden Ästheten, als die manche Politiker sie derzeit darstellen? Uns interessiert Ihre Meinung in einer zunehmend populistisch geführten Debatte.
Architekten sind weltfremde Ästheten, die die Situation eines Hartz-IV-Haushaltes nicht verstehen, der schon bald seine Energierechnungen nicht mehr bezahlen kann, so der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer auf einer Diskussion in Berlin. Wer verantwortungsvoll denke, müsse sich für die Totalverpackung mit WDVS engagieren.
So geht das, wenn man eine Diskussion in Gang bringen will. Der Vortragende wirft ein Vorher-nachher-Foto an die Wand und fragt: „Wo würden Sie lieber wohnen?“ Das Foto zeigt zwei Haushälften mit unterschiedlichem Sanierungsstand. Die linke Hälfte ist verrottet und von morbidem Charme, die rechte Hälfte wärmedämmverpackt und hässlich. Das gleiche Haus. Die Zuhörer im Berliner DAZ sind perplex. Beim Wohnen hört der Spaß auf. Boris Palmer, OB aus Tübingen, dessen schwäbischer Akzent an diesem Abend nicht auszumachen ist, hat den Saal in eine Zwickmühle gebracht. Zum Glück gibt es die Quicken in der ersten Reihe. Der zweite Vortragende und der Moderator springen auf: „Lieber links!“ Christoph Mäckler und Dieter Bartetzko beweisen Mut. Dass alle beide nicht in einem verrotteten Haus wohnen, tut in diesem Moment nichts zur Sache.
So polemisch und dumpfstirnig wird inzwischen über den Zusammenhang von Wärmedämmung und Baukultur diskutiert. Es bleibt nicht bei diesem Foto. Boris Palmer legt nach. Er schwärmt von seiner Stadt, die das Energiesparen mit Styropor mit vollen Händen angegangen ist. „Wir packen ein wie die Weltmeister“, sagt er. Und schiebt nach: „Ja. Wir verschandeln unseren Bestand ganz bewusst mit Wärmedämmverbundsystemen.“ Den wissenschaftlichen Widerpart übernimmt Christoph Mäckler. Er verweist auf die Grafik eines großen Herstellers von Wärmedämmverbundsystemen, nach der an der Außenwand nicht mehr als 14 Prozent Energie eingespart werden können, bezogen auf das Potential des ganzen Hauses. „Es liegt ja gar nicht am Einpacken. Dass Sie das zur Kenntnis nehmen, verlange ich auch von Ihrer Partei“. Mäckler hat selten so tapfer und uneigennützig gewirkt wie an diesem Abend. Von seinem Institut, das für die Schönheit der Stadt kämpft, ist nur am Rande die Rede. Palmer kontert mit Härte: „Wir brauchen keine Bedenkenträger unter den Architekten. Wo die Stadt bereits vorher ästhetisch uninteressant war, wie bei den Bauten der 50er, 60er und 70er Jahre, nehme ich das in Kauf, dass es hässlicher wird.“ Das ist ein eindrucksvolles Statement. Es zeigt, was der aus dem Remstal stammende OB von der Nachkriegsarchitektur hält, in der er aufgewachsen ist – nämlich nichts. Das Feuilleton der FAZ fühlt sich an dieser Stelle herausgefordert. Dieter Bartetzko verlässt seine Moderatorenrolle: „Unsere Auffassung der Ästhetik der 50er Jahre ist auf den Hund gekommen. Das Schöne an dieser Architektur war doch gerade ihre Leichtigkeit.“ Da hat er zwar recht. Aber wie dieser enorme Bestand noch zu retten sei, davon ist an diesem Abend dann immer weniger zu hören. Das Stichwort 50er Jahre-Wohnungsbau wirkt wie eine Schaumstoffmatte, in die man einen Finger steckt. Die Argumente federn zurück. Auch Christoph Mäckler will sich nicht mehr wirklich mit den biederen 50er Jahren beschäftigen. Er schwenkt jetzt um auf die haltbareren, wenn auch teuren Eigenschaften einer porösen Ziegelwand und plädiert dafür, das Kaugummiwort Sustainability durch das seinsgetränkte deutsche Wort Dauerhaftigkeit zu ersetzen. Einen klaren Kopf für die sozialen Fragen behält die ebenfalls eingeladene Kathrin Möller vom Kölner Wohnungsunternehmen GAG. Sie spricht dafür, das CO2- und das Energiesparthema mit Blick auf die Gesamtstadt zu lösen: „Wenn wir das nur über neue Mietrecht-Modelle tun, dann ist das fast schon zynisch.“
So geht eine Diskussion ihrem Ende entgegen, in der die Argumente längst ausgetauscht sind, und in der die Anforderun-gen der EnEV die Lösung aus der Sicht der Kommunen letztlich doch auf die billigste Konstruktion reduzieren. Helfen da Appelle? Den hochfliegendsten Kommentar schrieb Jens Bisky zwei Tage später in der Süddeutschen Zeitung: „Nur wer gering von sich selbst denkt, hat keine ästhetischen Ansprüche an seine Umwelt.“ Auch die Bauwelt hat sich in diese Debatte eingemischt. Das Heft über Denkmalschutz (Bauwelt 15–16) und Dämmproblematik, so konnte man an an diesem Abend den Anschein haben, war viel zu subtil. Denn im Kern geht es um die Alltagsarchitektur und nicht um die geschützten Bauten. Nur drei Prozent der Wohnbauten, so Michael Braum von der Stiftung Baukultur und Gastgeber der Veranstaltung, sind geschützt.
Es bleibt mir an dieser Stelle nichts weiter zu tun, als ebenfalls mit einem simplen Statement zu enden: Wir Architekten sind keine Bedenkenträger! Schauen Sie sich die rechte Haushälfte noch einmal genauer an! Die sahnegelbe Farbe des neuen Dämmputzes wirkt, soviel sei zugestanden, frisch. Die pflegeleichten Plastikfenster kann man akzeptieren, weil sie billiger sind. Für den Verzicht auf das Ornament sind wir allemal. Aber das wirklich Entscheidende sind die Öffnungen in der Fassade. Die um ein Drittel verkleinerten Fenster sind grausam! Sie vernichten Licht. Sie machen depressiv.
PS: Das Originalfoto, das die Diskussion im Berliner DAZ angeheizt hat, hatte ein aufmerksamer Architekt bereits vor einiger Zeit mit dem Handy geschossen. Wir haben ihn gebeten, das Haus noch einmal nachzufotografieren. Er kam zu spät. Die nichtgedämmte Haushälfte war abgerissen. An ihrer Stelle klafft jetzt ein freies Baufeld mit dem Schild: Zu verkaufen.
So geht das, wenn man eine Diskussion in Gang bringen will. Der Vortragende wirft ein Vorher-nachher-Foto an die Wand und fragt: „Wo würden Sie lieber wohnen?“ Das Foto zeigt zwei Haushälften mit unterschiedlichem Sanierungsstand. Die linke Hälfte ist verrottet und von morbidem Charme, die rechte Hälfte wärmedämmverpackt und hässlich. Das gleiche Haus. Die Zuhörer im Berliner DAZ sind perplex. Beim Wohnen hört der Spaß auf. Boris Palmer, OB aus Tübingen, dessen schwäbischer Akzent an diesem Abend nicht auszumachen ist, hat den Saal in eine Zwickmühle gebracht. Zum Glück gibt es die Quicken in der ersten Reihe. Der zweite Vortragende und der Moderator springen auf: „Lieber links!“ Christoph Mäckler und Dieter Bartetzko beweisen Mut. Dass alle beide nicht in einem verrotteten Haus wohnen, tut in diesem Moment nichts zur Sache.
So polemisch und dumpfstirnig wird inzwischen über den Zusammenhang von Wärmedämmung und Baukultur diskutiert. Es bleibt nicht bei diesem Foto. Boris Palmer legt nach. Er schwärmt von seiner Stadt, die das Energiesparen mit Styropor mit vollen Händen angegangen ist. „Wir packen ein wie die Weltmeister“, sagt er. Und schiebt nach: „Ja. Wir verschandeln unseren Bestand ganz bewusst mit Wärmedämmverbundsystemen.“ Den wissenschaftlichen Widerpart übernimmt Christoph Mäckler. Er verweist auf die Grafik eines großen Herstellers von Wärmedämmverbundsystemen, nach der an der Außenwand nicht mehr als 14 Prozent Energie eingespart werden können, bezogen auf das Potential des ganzen Hauses. „Es liegt ja gar nicht am Einpacken. Dass Sie das zur Kenntnis nehmen, verlange ich auch von Ihrer Partei“. Mäckler hat selten so tapfer und uneigennützig gewirkt wie an diesem Abend. Von seinem Institut, das für die Schönheit der Stadt kämpft, ist nur am Rande die Rede. Palmer kontert mit Härte: „Wir brauchen keine Bedenkenträger unter den Architekten. Wo die Stadt bereits vorher ästhetisch uninteressant war, wie bei den Bauten der 50er, 60er und 70er Jahre, nehme ich das in Kauf, dass es hässlicher wird.“ Das ist ein eindrucksvolles Statement. Es zeigt, was der aus dem Remstal stammende OB von der Nachkriegsarchitektur hält, in der er aufgewachsen ist – nämlich nichts. Das Feuilleton der FAZ fühlt sich an dieser Stelle herausgefordert. Dieter Bartetzko verlässt seine Moderatorenrolle: „Unsere Auffassung der Ästhetik der 50er Jahre ist auf den Hund gekommen. Das Schöne an dieser Architektur war doch gerade ihre Leichtigkeit.“ Da hat er zwar recht. Aber wie dieser enorme Bestand noch zu retten sei, davon ist an diesem Abend dann immer weniger zu hören. Das Stichwort 50er Jahre-Wohnungsbau wirkt wie eine Schaumstoffmatte, in die man einen Finger steckt. Die Argumente federn zurück. Auch Christoph Mäckler will sich nicht mehr wirklich mit den biederen 50er Jahren beschäftigen. Er schwenkt jetzt um auf die haltbareren, wenn auch teuren Eigenschaften einer porösen Ziegelwand und plädiert dafür, das Kaugummiwort Sustainability durch das seinsgetränkte deutsche Wort Dauerhaftigkeit zu ersetzen. Einen klaren Kopf für die sozialen Fragen behält die ebenfalls eingeladene Kathrin Möller vom Kölner Wohnungsunternehmen GAG. Sie spricht dafür, das CO2- und das Energiesparthema mit Blick auf die Gesamtstadt zu lösen: „Wenn wir das nur über neue Mietrecht-Modelle tun, dann ist das fast schon zynisch.“
So geht eine Diskussion ihrem Ende entgegen, in der die Argumente längst ausgetauscht sind, und in der die Anforderun-gen der EnEV die Lösung aus der Sicht der Kommunen letztlich doch auf die billigste Konstruktion reduzieren. Helfen da Appelle? Den hochfliegendsten Kommentar schrieb Jens Bisky zwei Tage später in der Süddeutschen Zeitung: „Nur wer gering von sich selbst denkt, hat keine ästhetischen Ansprüche an seine Umwelt.“ Auch die Bauwelt hat sich in diese Debatte eingemischt. Das Heft über Denkmalschutz (Bauwelt 15–16) und Dämmproblematik, so konnte man an an diesem Abend den Anschein haben, war viel zu subtil. Denn im Kern geht es um die Alltagsarchitektur und nicht um die geschützten Bauten. Nur drei Prozent der Wohnbauten, so Michael Braum von der Stiftung Baukultur und Gastgeber der Veranstaltung, sind geschützt.
Es bleibt mir an dieser Stelle nichts weiter zu tun, als ebenfalls mit einem simplen Statement zu enden: Wir Architekten sind keine Bedenkenträger! Schauen Sie sich die rechte Haushälfte noch einmal genauer an! Die sahnegelbe Farbe des neuen Dämmputzes wirkt, soviel sei zugestanden, frisch. Die pflegeleichten Plastikfenster kann man akzeptieren, weil sie billiger sind. Für den Verzicht auf das Ornament sind wir allemal. Aber das wirklich Entscheidende sind die Öffnungen in der Fassade. Die um ein Drittel verkleinerten Fenster sind grausam! Sie vernichten Licht. Sie machen depressiv.
PS: Das Originalfoto, das die Diskussion im Berliner DAZ angeheizt hat, hatte ein aufmerksamer Architekt bereits vor einiger Zeit mit dem Handy geschossen. Wir haben ihn gebeten, das Haus noch einmal nachzufotografieren. Er kam zu spät. Die nichtgedämmte Haushälfte war abgerissen. An ihrer Stelle klafft jetzt ein freies Baufeld mit dem Schild: Zu verkaufen.
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