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Das Ende vom Abgesang auf die Nationenpavillons

54. Kunstbiennale in Venedig

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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Foto: Kaye Geipel

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Das Ende vom Abgesang auf die Nationenpavillons

54. Kunstbiennale in Venedig

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Die nationalen Pavillons der Biennale in Venedig seien anachronistisch, wird häufig behauptet. Damit dürfte nach der jetzt eröffneten Biennale Schluss sein. Während die große Kunstausstellung von Bice Curiger das Arsenale zum braven Kunstmuseum transformiert, laufen einige der wackeligen Nationenpavillons zur Höchstform auf.
Kaum einer versteht das Biennale-Thema auf Anhieb. „ILLUMInations“, oder italienisch: „ILLUMInazioni“. Macht nichts. Die großen Touristenströme kommen trotzdem. Die Eröffnungswoche war erfolgreich. Venedig lockt die Karawane in diesem Jahr zu einer Biennale, deren Thema so labyrinthisch daherkommt wie es die Struktur der Stadt selbst ist. Die Hauptausstellung findet in dem noch einmal erweiterten Areal des Arsenale (Bauwelt 20.2011) statt und natürlich, wie seit 1895 schon, in den Giardini. Nach Kazuyo Sejima, 2010, als Chefin für die Architekturbiennale, diesmal also die Zürcher Museumskuratorin Bice Curiger als Direktorin der 54. Kunstbiennale. Was Venedigs Tourismusindustrie betrifft, sind die Jahre mit der Architektur übrigens ein schlechtes Geschäft. Die von Kazuyo Sejima kuratierte Expo (Bauwelt 33. 2010) war zwar überaus erfolgreich, sie zog 170.000 Besucher an. Im Vergleich zur Kunst aber ist das wenig. Bis Ende November werden in diesem Jahr 400.000 Besucher erwartet. Dazu kommt, so ist bei der Stadt zu erfahren, dass die Kunst­interessierten generell mehr Geld in der Stadt lassen als die Architekten. Der sperrige Biennale-Titel stammt von Bice Curiger, die unter dieser thematischen Haube 83 Künstler ein­geladen hatte. Während sie selbst gefordert war, im Arsenale und im großen Zentralpavillon eine „exhibition without borders“ zu inszenieren – so die Anforderung an die Direktorin – geben die 28 Nationenpavillons, die den Zentralpavillon in den Giardini flankieren, den nationalen Widerpart ab. Dazu kommt, dass die ganze Stadt perforiert ist von „Collateral Events“, die in verschiedenen Palazzi und anderen Locations stattfinden. Den dazugehörigen Plan, den man diesen Sommer in jeder Hotelhalle als großformatiges kompliziertes Faltblatt in die Hand gedrückt bekommt, hätte sich kein Shoppingstratege besser ausdenken können, so aufwendig wird man auf der Suche nach den Events durch die gesamte Stadt geschickt.
Kollateralökonomie
Wie diese von außen kommenden Geldflüsse das Funktionieren der Stadt in der Lagune prägen, das hat der in Venedig lehrende Autor und Wissenschaftler Wolfgang Scheppe vor zwei Jahren in seinem 1300 Seiten starken Venedigbuch „Migropolis“ mit hunderten von Bildrecherchen und Diagrammen eindrücklich beschrieben. Während etwa in New York zehnmal mehr Einwohner das gleiche Stück Stadt benutzen wie die Touristen, sind es in Paris nur noch achtmal so viel Einwohner; in Venedig hingegen ist ein nahezu unglaubliches Verhältnis von 1:1,2 erreicht – bei einer immer noch schrump­fenden Einwohnerzahl und einer zunehmenden Zahl an Touristen. An die Stelle der Venezianer sind viele Migranten aus Nordafrika getreten, von denen die Illegalen nur in einer Art „Kollateralökonomie“ – hier ist der militärische Namenszusatz angebracht – einen minimalen wirtschaftlichen Zugang zu den Touristen haben. Der öffentliche Raum zwischen den Häusern ist ihre einzige Chance, ökonomisch zu partizipie­-ren – ständig auf der Flucht vor der Polizei. Scheppe blickt mit seiner Forschungsgruppe am IUAV hinter die Kulissen der Serenissima und sieht eine anonyme Migropolis am Werk, in der sich Europa als hermetische Frontstadt zeigt, und in der die Migranten aus den Mittelmeerländern, ständig auf der Flucht, mit militärischen Mitteln überwacht und kriminalisiert werden.
Vom Fare mondi zu den ILLUMInazioni.
Die zurückliegende Kunstbiennale von Daniel Birnbaum hieß „Fare mondi“ – Welten machen. Damals hatte die Weltkunstschau noch vornehmlich jene transnationalen Probleme der Global City vor Augen. Nationale Konstellationen, für die gerade die einzelnen Länderpavillons stehen, schienen eher im Hintergrund. In diesem Jahr würde es anders sein, soviel war sicher. Dafür genügte ein Blick in die Nachrichten der letzten Monate. Japan, Griechenland, Ägypten, Iran Irak, Israel, Syrien: Man war gespannt, ob und wie sich die Kuratoren und die ausgewählten Künstler in den nationalen Pavillons mit den Ereignissen in ihrem Land auseinandersetzen würden. Im Hinblick auf ihre zentrale Ausstellung hatte Bice Curiger zwar schon im Vorfeld gesagt: „Ich steure keine Auseinandersetzung mit der Tagesaktualität an, das ist nicht meine Aufgabe.“ Allerdings hat der Biennale Titel „ILLUMInations“, bei dem es in Curigers Worten um die „Sichtbarmachung der aktuellen Kunstproduktion“ geht, durch die Koppelung mit den klein­geschriebenen „nations“ eine unübersehbare Zweideutigkeit. Mit schmalen blauen Buchstaben auf nachtschwarzem Hintergrund ist diese in der ganzen Stadt plakatiert. Manche im Vorfeld getroffenen kuratorischen Entscheidungen wirkten da eher harmlos. Beim deutschen Pavillon etwa konnte einem angst und bange werden angesichts des Umstands, dass die deutsche Kommissarin Susanne Gaensheimer in der großen Halle für Christoph Schlingensief eine Kirche nachbauen ließ. Und tatsächlich: Wie von selbst legen die Besucher ein steifes Kirchenbesuchsverhalten an den Tag. Man setzt sich vorsichtig auf die hölzernen Bänke, ist leise, und starrt ehrfürchtig auf die Videos über dem Kunstaltar. Allerdings wirkt das Ganze dann auch wieder so komisch, dass zumindest eines ausgeschlossen ist: Dieser Pavillon kann mit einem Kommentar zur nationalen Befindlichkeit nicht verwechselt werden.
Idylle im Taschenformat
Beim deutschen Pavillon stand dies jahrzehntelang zur Debatte. Wegen seiner nationalsozialistischen Entstehungsgeschichte und seiner scheußlichen Architektur ist er vermutlich der ungeliebteste von allen. Es gehört zum guten Ton, auf Hans Haackes ultimativen Biennalebeitrag „Germania“ von 1993 zu verweisen. Jeder neue Beitrag muss sich daran messen lassen. Diese Selbstbespiegelung kann heute als überholt gelten. Denn als nationales Selbstdarstellungskonzept taugt heute im Grunde weder der deutsche noch irgendeiner der 27 anderen Länderpavillons. Versuche, diese Pavillons zu aktua­lisieren, gab es in vielen Ländern – Jean Nouvel etwa wollte den französischen vor ein paar Jahren durch einen schwarzen Kubus halb ergänzen, halb ersetzen. Alle diese Versuche sind längst in der Schublade verschwunden. Wie sehr die Länderpavillons inzwischen aus der Zeit gefallen sind, zeigen allein schon deren marode Dächer, die in den Eröffnungstagen, wie üblich, durch sintflutartige Regenfälle getestet wurden. Viele von ihnen sind undicht, und im Vergleich zu diesen Pavillons wirkt die aus dem 15. Jahrhundert stammende Industriearchitektur des Arsenale fast schon wie ein supermodernistischer Ausstellungsbau.
Es ist eher umgekehrt. Es ist die heruntergekommene Postkartenidylle der Altpavillons, die, weil sie den nationalen Selbstdarstellungsdrang herunterdimmt auf ein Taschenformat, eine besonders komplexe Auseinandersetzung der Künstler fordert. Dies erklärt auch, warum eine so ernsthafte Künstlerin wie Sigalit Landau, die den Sockel des israelischen Pavillons mit Rohren aufbricht und im Inneren das Projekt einer völkerverbindenden Salzbrücke über dem Toten Meer ausstellt, in den Giardini diesmal kraftlos wirkt: Dieses kleine Gebäude ist nicht der richtige Widerpart für ihr großes Projekt. Seltsam müde wirkt auch der hohe Ton, den der französische Pavillon anschlägt, in dem ein ratterndes Riesenförderband von Christian Boltanski Bilder von Geburt und Tod durcheinandermischt. Überzeugender ist die minutiöse Doppelwelt aus rekolonialistisch nachgebauten Zimmerfluchten, mit denen Mike Nelson im englischen Pavillon die Beziehung zwischen Venedig und Istanbul thematisiert. Im Schweizer Pavillon lässt Thomas Hirschhorn grausame Bildfolgen von weltweiter Folter über seine Klebelandschaft laufen. Sie funktionieren auch deshalb, weil die Haifischmäuler der Skulptur aus Q-tips und granatenähnliche Ausbuchtungen aus Bierdosen zusammengebaut sind. Im spanischen Pavillon übersetzt Dora García die wirtschaftliche Ratlosigkeit in eine simple Plattform für Aufführungen, in der vor wenigen Zuschauern, ohne hohen Ton, kleine öffentliche Aufführungen stattfinden. Schließlich Diohandi für Griechenland: Die Künstlerin versteckt den Pavillon hinter einer Holzkonstruktion, und im Inneren ist nichts weiter zu sehen ist als eine Wasserfläche – eine minimalistische tabula rasa, ein sehnsüchtiger Kommentar auf eine Form von Neuanfang.
Was an diesen Pavillons deutlich wird: Die Installationen ha- ben gerade dort eine suggestive Kraft, wo die Künstler sie als überkommenen „classical value“ akzeptieren und dies auch sichtbar machen. In ihrem Beitrag für den Gesamtkatalog der Biennale haben Beat Wyss und Jörg Scheller auf die Ursprünge der Biennale hingewiesen, in der die Pavillons einer Militärparade nationaler Kunst zu dienen hatten. Heute seien die Giardini mit einer archäologischer Ausgrabungsstätte der Moder­ne zu vergleichen, so die beiden Autoren. Deren Bedeutung ist aber nicht zu unterschätzen. Denn es sind gerade die Pavillons, die die historische Eingebundenheit der Weltkunstschau nach wie vor hochhalten, ihren Beginn als nationales Aufmarschgelände der Kunst dokumentieren.
Einer der wichtigsten Pavillons steht in diesem Jahr außerhalb der Giardini. Es ist der irakische, der nach dreißig Jahren zum ersten Mal wieder präsent ist. Zwei Generationen von Exilkünstlern sind in einem alten Haus an der Via Garibaldi vertreten. Mit welchen Ersatzbildern wir seit Jahren auf die Entwicklung im Irak blicken, persifliert hier ein Video von Adel Abidin. Zwei männliche Büroangestellte streiten sich in ihrem Arbeitsraum, steigen auf die Tische und kämpfen mit herausgedrehten Neonröhren einen Krieg der Sterne, bis eines der Leuchtschwerter mit lautem Knall zerplatzt. Ein harmloser Ersatzkrieg im Alltag der Global City, ein zynischer Kommentar auf die ILLUMInations.

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