Der Kontrollturm
Ein Werk von Jean Nouvel ist nun auch im wallonischen Charleroi zu bestaunen. Mit dem belgischen Partnerbüro MDW entwarf er einen 75 Meter aufragenden Polizeiturm aus dunkelblau glasierten Steinen. Warum ein Turm? Warum musste dafür das Torhaus der Kavallerie weichen?
Text: Fischer, Ludger, Brüssel
Der Kontrollturm
Ein Werk von Jean Nouvel ist nun auch im wallonischen Charleroi zu bestaunen. Mit dem belgischen Partnerbüro MDW entwarf er einen 75 Meter aufragenden Polizeiturm aus dunkelblau glasierten Steinen. Warum ein Turm? Warum musste dafür das Torhaus der Kavallerie weichen?
Text: Fischer, Ludger, Brüssel
Elf Jahre sind nach dem Prozess nun schon vergangen, doch die grausigen Taten des Mörders und Sexualstraftäters Marc Dutroux aus der belgischen Region Charleroi sind nicht vergessen. In Charleroi soll es aber kaum Verbrecher geben. Etwas Drogenhandel, etwas Autodiebstahl, ein paar Einbrüche. Die Tendenz sei auf allen Gebieten rückläufig. Das soll so weitergehen. Eine besser ausgestattete Polizei leistet einen Beitrag dazu. Eine gut sichtbare Polizei vielleicht auch.
Das Polizei-Hauptquartier der rund 200.000 Einwohner zählenden Stadt war bisher in einer Kavallerie-Kaserne aus der Mitte des 19. Jahrhunderts untergebracht. Das dreigeschossige Torgebäude der Kaserne im charakteristischen Burgenstil war flankiert von schlichten Bauten aus den fünfziger Jahren. Mit dem Wunsch nach einer neuen Platzgestaltung wurden 2012 nicht nur diese Gebäude, sondern auch das historisch wertvolle und vollkommen intakte Torhaus am Boulevard Pierre Mayence abgerissen. Der Verlust dieses Baudenkmals wiegt schwer und wirft einen dunklen Schatten auf das Gesamtprojekt.
Der dreieckige, von zweigeschossigen Stallgebäuden umschlossene Hof der ehemaligen Kaserne bildet nach dem Abbruch der straßenseitigen Bauten einen öffentlich zugänglichen Platz. Im Zwickel der beiden übereck
angeordneten alten Kasernenbauten wurde, als Ersatz für die abgerissenen Gebäude, ein 75 Meter hoher Rundturm mit 12.500 Quadratmeter Fläche errichtet. Der Entwurf stammt von Jean Nouvel in Zusammenarbeit mit MDW Architectures (Marie Moignet und Xavier de Wil) aus Brüssel. Nouvel bezeichnet den Turm als einen „vertikalen Gebäudeflügel“. In einem städtebaulich schwierigen Umfeld zwischen Verwaltungsbauten, Wohnhäusern und Stadtautobahn und einer meist deutlich niedrigeren Bebauung der gesamten Stadt ist der neue Polizeiturm schon von weitem sehr präsent.
angeordneten alten Kasernenbauten wurde, als Ersatz für die abgerissenen Gebäude, ein 75 Meter hoher Rundturm mit 12.500 Quadratmeter Fläche errichtet. Der Entwurf stammt von Jean Nouvel in Zusammenarbeit mit MDW Architectures (Marie Moignet und Xavier de Wil) aus Brüssel. Nouvel bezeichnet den Turm als einen „vertikalen Gebäudeflügel“. In einem städtebaulich schwierigen Umfeld zwischen Verwaltungsbauten, Wohnhäusern und Stadtautobahn und einer meist deutlich niedrigeren Bebauung der gesamten Stadt ist der neue Polizeiturm schon von weitem sehr präsent.
Vom eiförmigen Grundriss der unteren Geschosse aus verjüngt sich der Turm kontinuierlich und erreicht erst mit seinem oberen Abschluss die Kreisform. Die Büro- und Besprechungsräume in den zwanzig Geschossen sind meist um den Kern angeordnet, zu dem sie sich verjüngen. In einigen Geschossen sind sie aber auch einfach rechtwinklig. Diese stark variierende Raumaufteilung sorgt für Zwänge, soll aber leicht zu ändern sein. Die kleinen, dunkelblau glasierten Backsteine der Fassade entsprechen der Farbe der belgischen Polizeiuniformen. „Polizei“ steht nicht dran am Turm, die Carologen – so nennen sich die Einwohner Charlerois – wissen aber: Da ist die Polizei drin. Polizeitürme, zumal in dieser Präsenz, gibt es in Europa bisher so gut wie gar nicht. Als Hoheitszeichen antwortet der Turm auf den erst 1936 gebauten Belfried, den Rathausturm von Charleroi. Die renovierten Kasernenflügel und der Turm sind durch Tunnel miteinander verbunden, die sich auf Erdgeschossniveau befinden. Zu Tunneln werden die Gänge dadurch, dass der gepflasterte Innenhof in diesem Bereich einen Hügel bildet. Warum das so ist, konnte man mir nicht erklären. Vielleicht wollte man vermeiden, dass kleine Verbindungsbauten an den Turm andocken.
Charleroi befindet sich schon seit mehreren Jahrzehnten im Niedergang, nachdem Kohlebergwerke und Stahlfabriken geschlossen wurden. Trotz aller Bemühen ist eine Perspektive für die gesamte Region des Borinage kaum zu erkennen. Der neue Turm, das „Hotel de Police“, wie er in der Stadt genannt wird, und die benachbarte, erweiterte Tanzwerkstatt der renommierten Gruppe Charleroi/Danses (Königliches Ballet der Wallonie) sollten, so sah es das Gesamtkonzept vor, einen Paartanz aufführen. Das ist als „Choreografie“ nett gedacht, an Ort und Stelle aber nicht nachvollziehbar. Die Gebäude stehen lediglich nebeneinander. Die Verbindung des Polizei-Hauptquartiers mit der Tanzwerkstatt, ergänzt um ein Gasthaus und angelegt um einen öffentlichen Platz, soll der weitgehend abgestorbenen Oberstadt von Charleroi zu städtischer Lebendigkeit und der Polizei zu einem freundlichen Image verhelfen. In jedem Fall soll der blaue Turm die Menschen nicht einschüchtern, sondern vielmehr die helfende Funktion der Polizei vermitteln. Zuerst muss aber den Polizisten geholfen werden, die im Turm arbeiten. Sie beklagen sich über schlechte Planung, unpraktisch gestaltete Büroräume, mangelnde Schalldämmung, eindringendes Wasser. Drei Geschosse sind gar nicht mehr zu nutzen.
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