Die Düstere Straße
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Die Düstere Straße
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Anspruch und Wirklichkeit: In seiner Stadt Göttingen will der Verleger Gerhard Steidl mit einem Weltstar der Architekturszene ein Kunstquartier schaffen. Doch man tut sich schwer. Nach bald vier Jahren des Wartens sollten sich die Stadt und Steidl wieder einmal zusammensetzen, damit diese große Idee nicht länger brachliegt
Auf dem lukrativen Geschäftsfeld rund um das Eau de Toilette gab es schon vor einiger Zeit etwas Neues: Karl Lagerfeld hatte „Lagerfeld Photo“ herausgebracht, in einem schmalen schwarzen Flakon. Beim Duft soll man Grapefruit, Mandarine, Jasmin und Geranium erkennen können. Er hat also nichts zu tun mit dem Geruch von Chemikalien aus der Dunkelkammer eines Fotostudios. Wer schon einmal mit den Säurebädern gearbeitet hat, weiß, dass deren Geruch unerträglich werden kann. Lagerfeld Photo kam wohl auf den Markt, weil der Modeschöpfer auf etwas anderes aufmerksam machen wollte. Er fotografiert professionell, und seine Werke sind in eigenen Fotobüchern veröffentlicht. Mit dem Duft wolle er etwas einfangen, das sonst nur durch ein Objektiv sichtbar würde: die ungesehene Seite von uns selbst. Jetzt lässt Lagerfeld wieder aufhorchen. In diesem Jahr will er einen neuen Duft herausbringen, zusammen mit dem Verleger Gerhard Steidl und dem Parfümeur Geza Schön – den Duft von Büchern in einem Parfümflacon. Lagerfeld ist seit jungen Jahren ein begeisterter Collectionneur von Büchern, die sich inzwischen zu Zehntausenden in mehreren seiner Anwesen stapeln sollen. Der Passion will er nun den richtigen Duft verleihen. Es ist dies eine sonderbare Geschichte des Überflusses.
Der Perfektionist
Was hat nun dieser Duft mit der Düsteren Straße in Göttingen zu tun? Die Sache scheint nicht nur auf den ersten Blick kompliziert. Der Verleger Gerhard Steidl, den eine „enge Arbeitsfreundschaft“ mit Lagerfeld verbindet, ist Göttinger und hat in der Straße in der südlichen Innenstadt, nur wenige Schritte vom Marktplatz mit dem „Gänseliesel“ entfernt, seine Druckerei und seinen Buchverlag. Er ist ein Besessener in seiner Profession, steht ständig unter Strom und strebt bei Büchern unentwegt nach Perfektion. So gab es für mich auch keine Möglichkeit, ihn zu treffen. Steidl ist eine Persönlichkeit, die lieber im Verborgenen wirkt und doch mit der weiten Welt der Kunst- und Literaturszene eng verbunden ist. Denn er hat renommierte und illustre Kunden, dazu gehören neben Karl Lagerfeld mit seinen Foto-Bänden zum Beispiel die Foto-Künstler Robert Frank, Dirk Alvermann, Roni Horn, Joel Sternfeld und Dayanita Singh. Yves Marchand und Romain Meffre veröffentlichten 2010 bei ihm „The Ruins of Detroit“ (Bauwelt 5.2011). Alles begann 1968, als der 18-jährige Autodidakt eine eigene Druckerei gründete und anfing, Ausstellungsplakate herzustellen. Joseph Beuys, Klaus Staeck und viele andere haben bei ihm drucken lassen. 1972 folgte dann das erste Buch. Steidl ist inzwischen weltberühmt.
Ando, Chipperfield?
Einen gänzlich ungewöhnlichen Auftritt hatte Gerhard Steidl im April 2008. Zusammen mit dem Göttinger Oberbürgermeister Wolfgang Meyer stellte er seine neue, erweiterte „Steidlville“ vor. In direkter Nachbarschaft zu seinem Verlag hatte Steidl zuvor einige Altbauten erworben. Hier wollte er ein Kunstquartier – mit dem vorsichtigen Zusatz „Eine machbare Vision“ – als „neues kulturelles Angebot mit außergewöhnlichem Anspruch und internationalem Flair“ schaffen. Dieser Offerte an die Stadt sollten „Zustifter“ zur Seite stehen und in einer Public Private Partnership die Finanzierung sicherstellen. Die erste Entwicklungsstudie des Häuserblocks, der bis zur parallel verlaufenden Nikolaistraße reicht, in der Steidl zwei weitere historische Gebäude gehören, stammt vom Göttinger Architekturbüro Hansjochen Schwieger. Im Mittelpunkt steht die Planung für die Düstere Straße Nr. 7. Dort, wo heute ein Ständerwerk zu sehen ist, soll ein dreigeschossiges Ausstellungsgebäude errichtet werden. Das Vorhaben würde, so hieß es, „begleitet von einem Kuratorium und in enger Kooperation mit Gerhard Steidl“ vorangetrieben. Der Verleger besitzt eine umfangreiche Sammlung von Kunstwerken seiner Kunden, die er im Ausstellungsgebäude zeigen möchte. Im April 2008 überraschte Steidl damit, für diesen Neubau sechs Architekten der internationalen Szene zu einem Wettbewerb einladen zu wollen: Lord Norman Foster, Herzog & de Meuron, Tadao Ando, Gigon/Guyer, David Chipperfield und David Adjaye. Bei dieser Auswahl soll es angeblich schon eine Präferenz geben. Näheres ist derzeit nicht zu erfahren. Nach der Projektvorstellung, die überregional wenig Beachtung fand, versank Steidls „machbare Vision“ wieder in Vergessenheit. Am Gebäude in der Düsteren Straße Nr. 7 wurde allerdings herumgewerkelt. Schließlich blieb bis auf das Fachwerk-Gerippe und das Dach nichts übrig, gesichert durch Bretterwände zur Straße und zum Hof. Was hat es auf sich mit dem hohlen Fachwerkhaus, das in den sechziger Jahren hässlich verkleidet und im Erdgeschoss komplett umgestaltet worden war? Sollen die eingeladenen Weltstars damit etwas planen oder soll das Gebäude, wie bei der Ankündigung des Projekts zu lesen, komplett abgerissen werden?
Günter Grass
Zur „Steidlville“ gehört auch Günter Grass. Das ist eine andere Geschichte. Schon seit langem werden alle seine Bücher in Zusammenarbeit mit Gerhard Steidl gestaltet und auch gedruckt. Seit 1993 verfügt Steidl sogar über die Weltrechte an dessen Werk. In der Düsteren Straße steht neben dem Fachwerk-Gerippe ein niedriges, unscheinbares Haus mit schiefem Dach. Dieses Haus soll als „Günter-Grass-Haus“ ebenfalls zum Kunstquartier gehören. Die Stadt empfahl Steidl, die Braunschweiger Architekten Uwe Kleineberg und Axel Pohl hinzuzuziehen. Sie haben sich des Hauses angenommen, das laut „machbarer Vision“ von 2008 das älteste Haus der Stadt sein soll, errichtet um 1310. Bis unters Dach haben sie einen quadratischen stählernen „Bücherturm“ geplant, das Archiv. Es soll jeweils ein Exemplar sämtlicher weltweit erschienenen Ausgaben von Günter-Grass-Werken aufnehmen. Der Turm hat zudem auch statische Funktion. Zum Hof hin wird das Haus mit einem kleinen Anbau für Ausstellungen und Vorträge ergänzt. Steidl besitzt einen Großteil der grafischen Arbeiten von Grass. Sie sollen ebenfalls im Haus verwahrt und Besuchern zugänglich gemacht werden. Diesen Teil des Vorhabens will Steidl selbst finanzieren. Zun sehen ist davon aber noch nichts. Lediglich Stadtarchäologen waren zugange. Nach mehreren Anläufen in den letzten vier Jahren soll der Umbau nun bis zum 16. Oktober, dem 85. Geburtstag des Schriftstellers, fertig sein. Das ist wohl kaum zu schaffen. Merkwürdig, diese Meldung erschien, ohne weitere Details zu nennen, im Göttinger Tageblatt vom 28. Dezember, eine Woche nach meinen Erkundigungen. Wurde sie lanciert? Neben dem Grass-Haus will der Verleger ein Hotel mit dem Namen „Halftone“, in Anspielung auf die Druckkunst, eröffnen. Dafür hat er ein weiteres Fachwerkhaus an der Düsteren Straße erworben. Autoren und Gäste des Verlags sollen hier wohnen. Jedes Buchprojekt entwickelt sich im engen Dialog mit dem Verlag. Das Konzept, die Gestaltung, die Wahl des Papiers und des Einbandes werden über Tage hinweg besprochen.
Göttinger Sieben
Günter Grass fühlt sich der Stadt verbunden. Im letzten Jahr wurde auf dem Campus der Universität das von ihm gestaltete Denkmal „Göttinger Sieben“ eingeweiht. Der Literatur-Nobelpreisträger und Steidl haben der Stadt und der Universität eine drei Meter hohe Skulptur mit einem G und einer etwas größeren Sieben geschenkt. Sie soll an den Mut der sieben Professoren erinnern, die sich 1837 gegen die Aufhebung der Verfassung von 1833 durch den König Ernst August I. von Hannover gestellt und ihn des Verfassungsbruchs beschuldigt hatten. Daraufhin waren sie entlassen und zum Teil des Landes verweisen worden. Grass erwähnte bei der Enthüllung des Denkmals, dass er nur fünf Minuten für dessen Konzept benötigt habe. Es ist seltsam eindimensional und lässt jene Entschiedenheit vermissen, die die Göttinger Sieben in ihrem Kampf gegen Unrecht auszeichnete. Das Denkmal entstand zur gleichen Zeit wie das jüngste Buch von Grass, „Grimms Wörter“, eine Arbeit zum Leben und Werk der Gebrüder Grimm, die zu den sieben Professoren zählten.
KuQua und K-town
Wie geht es nun weiter mit dem Kunstquartier? 2008 war noch zu lesen, dass die Stadt nicht nur für den Bau, sondern auch für den laufenden Betrieb des Ausstellungsgebäudes aufkäme. Anscheinend ist es schon für ersteres nicht gelungen, Geldgeber mit Engagement aufzutreiben. Daher trägt auch die Stadt mit Schuld an der derzeitigen Lage. Sie stellt keine Mittel zur Verfügung. Schon bei der Präsentation des Projekts wurde die Stadt als „traditionell knapp ausgestattet“ beschrieben. Und vom Stadtbaurat Thomas Dienberg erfuhr ich, dass man sich einem Entschuldungspakt des Landes angeschlossen habe. Zudem hat Göttingen heute andere Baustellen: die Sanierung und Neukonzeption des Städtischen Museums im Rahmen des Projekts Göttinger „Wissenshäuser“ mit der Universität. Mehr scheint nicht möglich zu sein. Doch warum hat dann 2008 der Oberbürgermeister persönlich und voller Elan das Projekt mit initiiert? Vielleicht sind die Hintergründe nicht so wichtig. Von mehreren Seiten hört man, dass Steidl ein Mensch sei, der als Visionär seine eigenen Wege gehe und auch spontan Entscheidungen träfe. Und die Stadt will wohl nicht drängen, da sie genau weiß, dass, sollte jetzt doch mit dem Bau des Ausstellungsgebäudes begonnen werden, hohe Kosten auf sie zukommen würden. Man darf sich aber fragen, wie weit ein örtlicher Akteur gehen kann, wenn er als Mäzen auftritt. Denn eines bleibt unverständlich: Wie kann Gerhard Steidl, der mit so hohen Qualitätsmaßstäben und mit so großer Sorgfalt in seiner Firma tätig ist – alles prüft und nur das Beste produzieren will –, ein Projekt vor seiner Haustür, das zudem noch seinen Namen trägt, über Jahre hinweg links liegen lassen? Das passt nicht zusammen. Sein Kunstquartier ist als Anziehungspunkt für die Straße gedacht, auch wenn sie Düstere Straße heißt. Nirgends ist eine Tafel zu finden, auf der etwas über das „KuQua“, so wurde das Kunstquartier-Projekt 2008 genannt, zu lesen ist. Karstadt, das einzige Kaufhaus der Stadt, ist vor kurzem ein paar Häuser weiter eingezogen. Die Dependance in einem Eckgebäude mit Kaufhalle trägt einen ebenfalls plumpen Namen: „K-town“. Ich gehe davon aus, dass Karl Lagerfeld, dem feinen Pariser Modekönig, aber auch allen anderen Auftraggebern von Steidl, bei einem Arbeitsbesuch im Verlag der traurige Anblick der Düsteren Straße verborgen bleibt. Die Einfahrt zur Steidlville ist um die Ecke an der alten Stadtmauer.
Der Perfektionist
Was hat nun dieser Duft mit der Düsteren Straße in Göttingen zu tun? Die Sache scheint nicht nur auf den ersten Blick kompliziert. Der Verleger Gerhard Steidl, den eine „enge Arbeitsfreundschaft“ mit Lagerfeld verbindet, ist Göttinger und hat in der Straße in der südlichen Innenstadt, nur wenige Schritte vom Marktplatz mit dem „Gänseliesel“ entfernt, seine Druckerei und seinen Buchverlag. Er ist ein Besessener in seiner Profession, steht ständig unter Strom und strebt bei Büchern unentwegt nach Perfektion. So gab es für mich auch keine Möglichkeit, ihn zu treffen. Steidl ist eine Persönlichkeit, die lieber im Verborgenen wirkt und doch mit der weiten Welt der Kunst- und Literaturszene eng verbunden ist. Denn er hat renommierte und illustre Kunden, dazu gehören neben Karl Lagerfeld mit seinen Foto-Bänden zum Beispiel die Foto-Künstler Robert Frank, Dirk Alvermann, Roni Horn, Joel Sternfeld und Dayanita Singh. Yves Marchand und Romain Meffre veröffentlichten 2010 bei ihm „The Ruins of Detroit“ (Bauwelt 5.2011). Alles begann 1968, als der 18-jährige Autodidakt eine eigene Druckerei gründete und anfing, Ausstellungsplakate herzustellen. Joseph Beuys, Klaus Staeck und viele andere haben bei ihm drucken lassen. 1972 folgte dann das erste Buch. Steidl ist inzwischen weltberühmt.
Ando, Chipperfield?
Einen gänzlich ungewöhnlichen Auftritt hatte Gerhard Steidl im April 2008. Zusammen mit dem Göttinger Oberbürgermeister Wolfgang Meyer stellte er seine neue, erweiterte „Steidlville“ vor. In direkter Nachbarschaft zu seinem Verlag hatte Steidl zuvor einige Altbauten erworben. Hier wollte er ein Kunstquartier – mit dem vorsichtigen Zusatz „Eine machbare Vision“ – als „neues kulturelles Angebot mit außergewöhnlichem Anspruch und internationalem Flair“ schaffen. Dieser Offerte an die Stadt sollten „Zustifter“ zur Seite stehen und in einer Public Private Partnership die Finanzierung sicherstellen. Die erste Entwicklungsstudie des Häuserblocks, der bis zur parallel verlaufenden Nikolaistraße reicht, in der Steidl zwei weitere historische Gebäude gehören, stammt vom Göttinger Architekturbüro Hansjochen Schwieger. Im Mittelpunkt steht die Planung für die Düstere Straße Nr. 7. Dort, wo heute ein Ständerwerk zu sehen ist, soll ein dreigeschossiges Ausstellungsgebäude errichtet werden. Das Vorhaben würde, so hieß es, „begleitet von einem Kuratorium und in enger Kooperation mit Gerhard Steidl“ vorangetrieben. Der Verleger besitzt eine umfangreiche Sammlung von Kunstwerken seiner Kunden, die er im Ausstellungsgebäude zeigen möchte. Im April 2008 überraschte Steidl damit, für diesen Neubau sechs Architekten der internationalen Szene zu einem Wettbewerb einladen zu wollen: Lord Norman Foster, Herzog & de Meuron, Tadao Ando, Gigon/Guyer, David Chipperfield und David Adjaye. Bei dieser Auswahl soll es angeblich schon eine Präferenz geben. Näheres ist derzeit nicht zu erfahren. Nach der Projektvorstellung, die überregional wenig Beachtung fand, versank Steidls „machbare Vision“ wieder in Vergessenheit. Am Gebäude in der Düsteren Straße Nr. 7 wurde allerdings herumgewerkelt. Schließlich blieb bis auf das Fachwerk-Gerippe und das Dach nichts übrig, gesichert durch Bretterwände zur Straße und zum Hof. Was hat es auf sich mit dem hohlen Fachwerkhaus, das in den sechziger Jahren hässlich verkleidet und im Erdgeschoss komplett umgestaltet worden war? Sollen die eingeladenen Weltstars damit etwas planen oder soll das Gebäude, wie bei der Ankündigung des Projekts zu lesen, komplett abgerissen werden?
Günter Grass
Zur „Steidlville“ gehört auch Günter Grass. Das ist eine andere Geschichte. Schon seit langem werden alle seine Bücher in Zusammenarbeit mit Gerhard Steidl gestaltet und auch gedruckt. Seit 1993 verfügt Steidl sogar über die Weltrechte an dessen Werk. In der Düsteren Straße steht neben dem Fachwerk-Gerippe ein niedriges, unscheinbares Haus mit schiefem Dach. Dieses Haus soll als „Günter-Grass-Haus“ ebenfalls zum Kunstquartier gehören. Die Stadt empfahl Steidl, die Braunschweiger Architekten Uwe Kleineberg und Axel Pohl hinzuzuziehen. Sie haben sich des Hauses angenommen, das laut „machbarer Vision“ von 2008 das älteste Haus der Stadt sein soll, errichtet um 1310. Bis unters Dach haben sie einen quadratischen stählernen „Bücherturm“ geplant, das Archiv. Es soll jeweils ein Exemplar sämtlicher weltweit erschienenen Ausgaben von Günter-Grass-Werken aufnehmen. Der Turm hat zudem auch statische Funktion. Zum Hof hin wird das Haus mit einem kleinen Anbau für Ausstellungen und Vorträge ergänzt. Steidl besitzt einen Großteil der grafischen Arbeiten von Grass. Sie sollen ebenfalls im Haus verwahrt und Besuchern zugänglich gemacht werden. Diesen Teil des Vorhabens will Steidl selbst finanzieren. Zun sehen ist davon aber noch nichts. Lediglich Stadtarchäologen waren zugange. Nach mehreren Anläufen in den letzten vier Jahren soll der Umbau nun bis zum 16. Oktober, dem 85. Geburtstag des Schriftstellers, fertig sein. Das ist wohl kaum zu schaffen. Merkwürdig, diese Meldung erschien, ohne weitere Details zu nennen, im Göttinger Tageblatt vom 28. Dezember, eine Woche nach meinen Erkundigungen. Wurde sie lanciert? Neben dem Grass-Haus will der Verleger ein Hotel mit dem Namen „Halftone“, in Anspielung auf die Druckkunst, eröffnen. Dafür hat er ein weiteres Fachwerkhaus an der Düsteren Straße erworben. Autoren und Gäste des Verlags sollen hier wohnen. Jedes Buchprojekt entwickelt sich im engen Dialog mit dem Verlag. Das Konzept, die Gestaltung, die Wahl des Papiers und des Einbandes werden über Tage hinweg besprochen.
Göttinger Sieben
Günter Grass fühlt sich der Stadt verbunden. Im letzten Jahr wurde auf dem Campus der Universität das von ihm gestaltete Denkmal „Göttinger Sieben“ eingeweiht. Der Literatur-Nobelpreisträger und Steidl haben der Stadt und der Universität eine drei Meter hohe Skulptur mit einem G und einer etwas größeren Sieben geschenkt. Sie soll an den Mut der sieben Professoren erinnern, die sich 1837 gegen die Aufhebung der Verfassung von 1833 durch den König Ernst August I. von Hannover gestellt und ihn des Verfassungsbruchs beschuldigt hatten. Daraufhin waren sie entlassen und zum Teil des Landes verweisen worden. Grass erwähnte bei der Enthüllung des Denkmals, dass er nur fünf Minuten für dessen Konzept benötigt habe. Es ist seltsam eindimensional und lässt jene Entschiedenheit vermissen, die die Göttinger Sieben in ihrem Kampf gegen Unrecht auszeichnete. Das Denkmal entstand zur gleichen Zeit wie das jüngste Buch von Grass, „Grimms Wörter“, eine Arbeit zum Leben und Werk der Gebrüder Grimm, die zu den sieben Professoren zählten.
KuQua und K-town
Wie geht es nun weiter mit dem Kunstquartier? 2008 war noch zu lesen, dass die Stadt nicht nur für den Bau, sondern auch für den laufenden Betrieb des Ausstellungsgebäudes aufkäme. Anscheinend ist es schon für ersteres nicht gelungen, Geldgeber mit Engagement aufzutreiben. Daher trägt auch die Stadt mit Schuld an der derzeitigen Lage. Sie stellt keine Mittel zur Verfügung. Schon bei der Präsentation des Projekts wurde die Stadt als „traditionell knapp ausgestattet“ beschrieben. Und vom Stadtbaurat Thomas Dienberg erfuhr ich, dass man sich einem Entschuldungspakt des Landes angeschlossen habe. Zudem hat Göttingen heute andere Baustellen: die Sanierung und Neukonzeption des Städtischen Museums im Rahmen des Projekts Göttinger „Wissenshäuser“ mit der Universität. Mehr scheint nicht möglich zu sein. Doch warum hat dann 2008 der Oberbürgermeister persönlich und voller Elan das Projekt mit initiiert? Vielleicht sind die Hintergründe nicht so wichtig. Von mehreren Seiten hört man, dass Steidl ein Mensch sei, der als Visionär seine eigenen Wege gehe und auch spontan Entscheidungen träfe. Und die Stadt will wohl nicht drängen, da sie genau weiß, dass, sollte jetzt doch mit dem Bau des Ausstellungsgebäudes begonnen werden, hohe Kosten auf sie zukommen würden. Man darf sich aber fragen, wie weit ein örtlicher Akteur gehen kann, wenn er als Mäzen auftritt. Denn eines bleibt unverständlich: Wie kann Gerhard Steidl, der mit so hohen Qualitätsmaßstäben und mit so großer Sorgfalt in seiner Firma tätig ist – alles prüft und nur das Beste produzieren will –, ein Projekt vor seiner Haustür, das zudem noch seinen Namen trägt, über Jahre hinweg links liegen lassen? Das passt nicht zusammen. Sein Kunstquartier ist als Anziehungspunkt für die Straße gedacht, auch wenn sie Düstere Straße heißt. Nirgends ist eine Tafel zu finden, auf der etwas über das „KuQua“, so wurde das Kunstquartier-Projekt 2008 genannt, zu lesen ist. Karstadt, das einzige Kaufhaus der Stadt, ist vor kurzem ein paar Häuser weiter eingezogen. Die Dependance in einem Eckgebäude mit Kaufhalle trägt einen ebenfalls plumpen Namen: „K-town“. Ich gehe davon aus, dass Karl Lagerfeld, dem feinen Pariser Modekönig, aber auch allen anderen Auftraggebern von Steidl, bei einem Arbeitsbesuch im Verlag der traurige Anblick der Düsteren Straße verborgen bleibt. Die Einfahrt zur Steidlville ist um die Ecke an der alten Stadtmauer.
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