Die posthume Stararchitektin
Retrospektive in München zum 100. Geburtstag von Lina Bo Bardi
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Die posthume Stararchitektin
Retrospektive in München zum 100. Geburtstag von Lina Bo Bardi
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Lina Bo Bardi wird seit einigen Jahren als eine der wichtigsten Stimmen der brasilianischen Nachkriegsmoderne gehandelt. Ihr internationaler Bekanntheitsgrad maß sich allerdings oft an einem einzigen Bauwerk: dem Museu de Arte de São Paulo, dessen 75 Meter langer Baukörper von einer monumentalen, seit 1991 rot angestrichenen Tragstruktur in die Höhe gehoben wird, sodass das Erdgeschoss als Aktionsfläche frei bleibt. Mit diesem Gebäude hatte die Architektin 1968 radikale Raumkonzepte der Moderne aufgegriffen und mit einem Schlag ihre Haltung formuliert: Anders als etwa Oscar Niemeyer ging es ihr weniger um eine formale Handschrift. Ihr Ziel war „nicht die Schönheit, sondern die Freiheit“.
Was Lina Bo Bardi unter Freiheit verstand und wie sie diese auslebte, ist jetzt in München zu erfahren. Die Retrospektive im Architekturmuseum der TU, kuratiert von Vera Simone Bader und gestaltet von Marina Correia, präsentiert ihr vielseitiges Werk weit über das Gebaute hinaus – und auf eine Weise, die der Architektin gefallen hätte: direkt, bescheiden fast, und sehr lebendig, mit handschriftlich auf die Wand gebrachten Texten und über 100 Originalzeichnungen. Ein schönes, bisweilen verwirrendes Element sind die eigens eingelesenen Originaltexte Bo Bardis, die den Besucher per Audioguide mit auf die Zeitreise neh- men: 1914 in Rom geboren, studiert sie dort als eine der wenigen Frauen ihrer Zeit Architektur; 1940 zieht sie ins modernere Mailand, arbeitet für Gio Ponti und ist mit 29 Jahren stellvertretende Leiterin der Zeitschrift Domus. Nach dem Krieg: Brasilien, wohin sie 1946 mit ihrem Mann, dem Kunstsammler Pietro Maria Bardi, auswandert, und wo sie bis zu ihrem Tod 1992 lebt.
Was Lina Bo Bardi unter Freiheit verstand und wie sie diese auslebte, ist jetzt in München zu erfahren. Die Retrospektive im Architekturmuseum der TU, kuratiert von Vera Simone Bader und gestaltet von Marina Correia, präsentiert ihr vielseitiges Werk weit über das Gebaute hinaus – und auf eine Weise, die der Architektin gefallen hätte: direkt, bescheiden fast, und sehr lebendig, mit handschriftlich auf die Wand gebrachten Texten und über 100 Originalzeichnungen. Ein schönes, bisweilen verwirrendes Element sind die eigens eingelesenen Originaltexte Bo Bardis, die den Besucher per Audioguide mit auf die Zeitreise neh- men: 1914 in Rom geboren, studiert sie dort als eine der wenigen Frauen ihrer Zeit Architektur; 1940 zieht sie ins modernere Mailand, arbeitet für Gio Ponti und ist mit 29 Jahren stellvertretende Leiterin der Zeitschrift Domus. Nach dem Krieg: Brasilien, wohin sie 1946 mit ihrem Mann, dem Kunstsammler Pietro Maria Bardi, auswandert, und wo sie bis zu ihrem Tod 1992 lebt.
In Brasilien beginnt sie mit dem Bauen: zunächst das eigene Wohnhaus in São Paulo, die elegante, auf Piloti stehende Casa de Vidro (1951), dann weitere Einfamilienhäuser und erst 1968 das Kunstmuseum, ihr größter Neubau. Es fol-gen Umbauten und Sanierungen, am bedeutendsten das SESC Pompeia, die Konversion eines Fabrikgeländes zum Sport- und Kulturzentrum (1977–86), das verblüffend aktuell daherkommt: Mit den Anwohnern und der auftraggebenden Gewerkschaft entwickelt die Architektin Programme für die leerstehenden Hallen, die mit minimalen Mitteln umgesetzt und durch eine „arquitetura pobre“ aus Sichtbeton ergänzt werden.
Diese Mischung aus politischem und sozialem Engagement, ihrem ausgeprägten Interesse an der brasilianischen Bauweise und starken architektonischen Setzungen ziehen sich durch ihr Werk, das eben nur zu einem Teil aus Architektur besteht: Sie entwirft Möbel, kuratiert Ausstellungen, gibt die Zeitschrift Habitat heraus, lehrt, arbeitet in der Stadtsanierung, entwirft Bühnenbilder. Immer wieder solidarisiert sich Bo Bardi, die bereits in Italien der Kommunistischen Partei beigetreten war, mit dem Widerstand gegen die brasilianische Militärdiktatur. Wie sehr ihr Werk gesellschaftlich und künstlerisch eingebettet war, zeigt der Umbau des Teatro Oficina (1984–89). Nach einem Brand ließ sie den schmalen, 50 Meter langen Baukörper als „Theater-Straße“ wiederaufbauen: ein spektakulärer Raum aus Gerüsten, in dem die Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum aufgehoben ist. Theaterdirektor José Celso Martinez Correa beschert der Münchner Ausstellung eine ihrer besten Szenen: ein Video, in dem er die Zusammenarbeit und Freundschaft mit Lina Bo Bardi besingt.
Sie sei auf dem Weg zur „posthumen Stararchitektin“, beschreibt MoMA-Kurator Barry Bergdoll das wachsende Interesse am Werk der italienisch-brasilianischen Architektin. Was Erfolg ist, das entschied sich für Lina Bo Bardi wohl eher auf der Straße – nicht in Institutionen.
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