Bauwelt

Don’t learn from London

Olympische Sommerspiele 2012

Text: Polinna, Cordelia, London; Goevert, Tobias, London

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Foto: London 2012

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Don’t learn from London

Olympische Sommerspiele 2012

Text: Polinna, Cordelia, London; Goevert, Tobias, London

Unter dem Motto „Shaping Berlins Spaces: Lessons from London“ waren Ende letzten Jahres Architekten und Planer der Abteilung „Design for London“ nach Berlin geladen. Doch bevor sie der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung berichten konnten, wie man in Zeiten knapper Kassen mit geringem Budget qualitätvolle Planung vorantreibt, erreichte die Gäste die ultimative Sparbotschaft aus der Heimat.
In allen Großstädten Europas gefährden Sparmaßnahmen städtebauliche Investitionen, Stadterneuerungsprogramme und mittlerweile sogar Institutionen, die für Fragen der Baukultur oder für strategische Planung zuständig sind. Besonders radikale Einschnitte drohen in Großbritannien. Unter New Labour hätte das Land mehr als ein Jahrzehnt völlig über seine Verhältnisse gelebt, jetzt müssten drastische Einsparun­gen folgen, so die im Mai letzten Jahres gewählte Regierung aus Konservativen und Liberal-Demokraten. Ende Oktober wurden vom britischen Finanzminister harte Sparmaßnahmen vorgelegt: Über 500.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst sollen wegfallen, die nationale Organisation zur Förderung von Qualität in Architektur und Städtebau, CABE, hat ihr gesamtes Budget verloren und steht vor dem Aus, die regionalen Entwicklungsagenturen, u.a. dafür zuständig, die Kommunen beim Stadtumbau und ökonomischen Strukturwandel zu unterstützen, werden aufgelöst. Außerdem soll durch die Halbierung der staatlichen Zuschüsse die Privatisierung des sozialen Wohnungsbaus beschleunigt werden.
Design for London
Auch London hat es hart getroffen. Zwar bleiben Großprojekte wie die für 2018 geplante Hochleistungsregionalbahn Crossrail von Einschnitten verschont, auch das Prestigeprojekt Olympia 2012 muss nur kleine Rückschläge verkraften. Umso heftiger trifft es die übrigen Projekte und Strukturen, die teilweise auf null zurückgefahren werden. Aus Sicht der Baukultur und der strategischen Planung erscheint das mögliche Ende von Design for London besonders dramatisch. Die unter dem Dach der London Development Agency (LDA) – Auflösung bis März 2012 – angesiedelte Organisation wird bei vielen Fachleuten in Europa als „Speerspitze“ in Fragen der städtebaulichen Gestaltung und des vorausschauenden Planens in Großstädten gesehen. 2001 vom Berater des Bürgermeisters für Architektur und Städtebau, Richard Rogers, mit fünf Mitarbeitern gestartet, hat sie sich mit mittlerweile 18 Architekten und Stadtplanern zu einer schlagkräftigen Eingreiftruppe gemausert. Design for London entwickelt städtebauliche Ideen in einem Netzwerk von Partnern und arbeitet auf allen Ebenen, von der strategischen Planung bis zu Entwurf und Realisierung. Die Position der Abteilung innerhalb der Verwaltung ist einzigartig: Allein auf dem besonderen Interesse des Bürgermeisters gegründet, berät das Team zwar die gesetzlich verankerten Planungsabteilungen der Greater London Authority, die Existenz der Abteilung ist aber in keinem Gesetz festgeschrieben, was sie derzeit besonders angreifbar macht.
Catch and Steer
Mit einem Budget von unter zwei Millionen Euro jährlich widmet sich Design for London besonders herausfordernden Projekten, die sich unter privater oder kommunaler Regie gar nicht oder in nicht wünschenswerter Richtung entwickeln würden. So wurden für das Lower Lea Valley im Osten Londons sechs Olympic Fringe Masterpläne erstellt, die das Potenzial der Spiele an den Schnittstellen zwischen dem Olym­pischen Park und den angrenzenden Quartieren für eine städtebauliche Aufwertung nutzen sollen. Projekte sollen „ein­gefangen“ und in eine Richtung gelenkt werden, die den Zielen der strategischen Planung der Stadt entspricht. Als Unterabteilung der LDA, die große Stadtbrachen vor allem im Osten Londons besitzt, beplant und vermarktet sowie Einfluss auf die Verteilung von Fördergeldern nehmen kann, kann Design for London hier besonders effektiv agieren. Allein im letzten Jahr lenkte das Team Direktinvestitionen von über 20 Millionen Euro zur Verbesserung des öffentlichen Raumes. Durch stadtweite Qualitätsrichtlinien wie den gerade veröffentlichten Mayor’s Housing Design Guide gelingt es dem kleinen Team wie beim Kampf David gegen Goliath, auf eine große Bandbreite von Projekten Einfluss zu nehmen. Zudem unterstützt es die lokalen Planungsämter bei der Gestaltung und Umsetzung von Projekten auf allen Maßstabsebenen. Nach dem Motto „draw and you win“ greift Design for London in einer frühen Phase des Entwurfs in Planungsprozesse ein und bleibt bis zur Realisierung dabei. Durch ein Charrette-Verfahren wurde so beispielsweise in Deptford Creek über die Einbeziehung von Investoren, Hausbootbewohnern und Künstlern in kürzester Zeit eine neue städtebauliche Vision definiert, die ein Planungsvakuum zwischen zwei streitenden lokalen Behörden füllte. Maßgeschneiderte Ideen werden in den dichten urbanen Kontext Londons injiziert, um an Orten mit besonders herausfordernden Situationen Veränderungen hervorzurufen. Um trotz des beschränkten Budgets sichtbare Ergebnisse produzieren zu können, agiert Design for London häufig im Schlepptau von Infrastrukturprojekten.
So what?
Hatte sich Großbritannien seit der Wahl New Labours zu ei-nem Vorzeigeland hinsichtlich der Förderung der Baukultur entwickelt, hat sich mit der Abschaffung von CABE und der drastischen Reduktion von Design for London das Blatt radikal gewendet. Und das, obwohl die Abteilung anhand der von ihr realisierten Projekte gezeigt hat, dass eine qualitativ hochwertige Gestaltung nicht ein freiwilliges „Extra“ ist, auf das bei angespannter Kassenlage verzichtet werden kann, sondern ein zentraler Aspekt aller Projekte im städtischen Raum. Die Baukultur steht in Europa immer noch auf tönernen Füßen. Design for London ist ein Erfolgsmodell, das zeigt, wie der Staat in Zeiten knapper Ressourcen im Bereich des Städtebaus und der strategischen Planung handlungsfähig bleiben und gleichzeitig – im Sinne der von der Koalitionsregierung verfolgten Idee der big society – die lokale Zivilgesellschaft stärker in planerische Prozesse integrieren kann. Zu einem Zeitpunkt, da andere Städte darüber nachdenken sollten, eine Abteilung nach dem Vorbild Design for Londons zu gründen, steht dem Original eine mehr als ungewisse Zukunft bevor.

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