Bauwelt

Duisburger Panikattacke

Text: Imdahl, Georg, Münster

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Der Einstieg in die Installation „totlast“ war im hinteren Teil des Lehmbruck-Museums (Neubau) vorgesehen.
Abbildungen: Gregor Schneider/Ruhrtriennale

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Der Einstieg in die Installation „totlast“ war im hinteren Teil des Lehmbruck-Museums (Neubau) vorgesehen.

Abbildungen: Gregor Schneider/Ruhrtriennale


Duisburger Panikattacke

Text: Imdahl, Georg, Münster

Im Rahmen der Ruhrtriennale 2012–14 war der Künstler Gregor Schneider beauftragt, sein Werk „totlast“ im Wilhelm-Lehmbruck-Museum zu installieren. Dem Oberbürgermeister von Duisburg war das zu unheimlich, er sagte es kurzerhand ab – mit einer mehr als fragwürdigen Begründung
„Punto Muerto“ heißt ein Environment von Gregor Schneider, das die Besucher des Centro de Arte 2 de Mayo in Madrid 2011 in ein dunkles Röhrensystem führte. In einem Video auf der Homepage des Bildhauers ist zu sehen, dass diese Arbeit geeignet ist, einiges Befremden hervorzurufen. Solches kam auch schon bei anderen seiner großräumigen Installationen auf, so bei der Arbeit „Weiße Folter“, in der er 2007 im Düsseldorfer Museum K20 einen Gefängnistrakt aus Guantánamo in abstrakter Form rekonstruierte und mit einer Reflexion über den modernen „White Cube“ verband, oder bei „Black Dead End“, mit stockdunklen Korridoren, aus dem Jahr 2006 in Neapel. Verstörend wirken aber auch die mit elektrischem Licht erleuchteten Interieurs des Künstlers in Mönchengladbach-Rheydt, wo sein „Haus ur“ steht. Mancher Besucher muss sich überwinden und Mut aufbringen, diese Arbeiten zu betreten. Das macht sie zu einer Herausforderung. Insofern war es nur konsequent, als das Lehmbruck-Museum im letzten Jahr zustimmte, seine Räume dem renommierten Bildhauer im Auftrag der Ruhrtriennale zu öffnen. So liefen im November 2013 in Duisburg die Planungen für Schneiders Ausstellung „totlast“ an, die am 14. August 2014 hätte eröffnen sollen. Die Arbeit basierte weitgehend auf dem oben erwähnten, in Madrid verwirklichten „Punto Muerto“, und dem Beobachter konnte die Entscheidung, dieses Werk in einer variierten Form nach Duisburg zu holen, auch als couragierte Reaktion auf die traumatischen Erfahrungen der Duisburger Loveparade im Jahr 2010 erscheinen. Im Gedränge, für das sich die Verwaltung der Stadt vor Gericht verantworten muss, waren 21 Menschen ums Leben gekommen.
Durch eine provisorische Wandöffnung im Neubau-Trakt des Museums sollten die Besucher, jeder einzeln, in einen röhrenförmigen Tunnel eintreten und in unterschiedliche inszenierte Räume gelangen, darunter ein Zimmer aus Schneiders „Haus ur“, mit dessen Rekonstruktion er 2001 bei der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen erhalten hatte. Am Ende des Parcours wäre man in den Immanuel-Kant-Park geleitet worden. Der Begriff Totlast bezeichnet im Wirtschaftsleben das Eigen­gewicht eines Transportmittels. Den Terminus technicus bezieht Schneider auf einen Baukörper, den Albert Speer aus Beton gießen ließ, um zu prüfen, wie tief seine Monumentalbauten im märkischen Sand absacken würden. Nach Aussage der Ruhrtriennale war Gregor Schneider der Stadt Duisburg in baurechtlichen Angelegenheiten in den siebenmonatigen Vorbereitungen seiner Ausstellung immer wieder entgegengekommen, bis offenbar keinerlei Einwände mehr vorlagen.
Umso überraschender sagte der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link (SPD) Anfang Juli die Ausstellung „totlast“ kurzfristig ab. Link bekannte sich ausdrücklich zu seiner persönlichen Entscheidung, die nicht auf baurechtlichen Einwänden beruht habe. In der Tat stellt sein Entschluss einen Alleingang dar, den der Kunstrechtsanwalt Jan Weber als Zensur bezeichnet. Das Handeln des Oberbürgermeisters sei „ein staatlicher Akt, und Kunst faktisch zu verbieten, ist für mich eigentlich unvorstellbar gewesen in Deutschland“, so der Kölner Jurist in einem Gespräch mit dem „Deutschlandradio Kultur“. Hätte er Schneiders Projekt „Cube“ gekannt, das zuerst in Venedig, dann in Berlin untersagt wurde, bevor es in Hamburg zur Aufführung gelang (wo es ästhetisch scheiterte), so wäre der Jurist vorgewarnt gewesen.
Symptomatisch für ein generelles Missverständnis der zeitgenössischen Kunst ist die Begründung des Duisburger Oberbürgermeisters: Die „Wunden der Loveparade“ seien „noch nicht geschlossen“. Deshalb passe die Ausstellung „totlast“ nicht in die Stadt. Die Möglichkeit einer Reflexion der Ereignisse durch bildende Kunst spricht der OB dieser damit ab. Ebenso fragwürdig ist seine Unterstellung, Duisburg sei „noch nicht reif für ein Kunstwerk, dem Verwirrungs- und Paniksituationen immanent sind, welches mit dem Moment der Orientierungslosigkeit spielt“. Einerseits bevormundet der Oberbürgermeister auf ziemlich dreiste Weise seine eigene Bürgerschaft; andererseits unterstellt er dem Künstler, seine Werke riefen Panik hervor.
Wer von der zeitgenössischen Kunst Konsens erwartet, hat nichts von ihr verstanden. Ein Tabu ist hier eben nicht tabu. Auch juristisch begibt sich der OB auf fragwürdiges Terrain, wenn er ausdrücklich nicht baurechtliche Gründe für seine Absage geltend macht. Nach Ansicht des zitierten Juristen ist diese Position rechtlich unhaltbar, weil Schneider bekannt sei für seine „politisch-provokative Kunst: Das wissen die Vertragspartner, bevor sie den Künstler beauftragen, dass da etwas kommt, was die Bevölkerung aufrütteln wird“. Tatsächlich muss Link sich aber fragen lassen, warum er ein bereits vor drei Jahren verwirklichtes und in Duisburg seit einem dreiviertel Jahr vorbereitetes Projekt eines namhaften Künstlers in letzter Sekunde selbstherrlich streicht und damit auch das städtische Museum bloßstellt, das sich immerhin „Zentrum internationaler Skulptur“ nennt.
Die Ruhrtriennale protestierte gegen die Entscheidung. Deren Intendant Heiner Goebbels zeigte sich empört darüber, dass der Oberbürgermeister „die Hoheit der Interpretation für sich beansprucht“. Es gebe „eine Freiheit der Kunst“. Heiner Goebbels beklagte im „Deutschlandfunk“ einen „schweren Schlag gegenüber dem Festival, dem Künstler und auch dem Publikum, das selbst seine eigenen Erfahrungen machen kann“. Offenbar nicht in Duisburg.
Fakten
Architekten Schneider, Gregor, Berlin
aus Bauwelt 28.2014
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