Ein Phantom wird real
Jahrzehntelang geisterte die fehlende U5 durch Wiens U-Bahn-Planungen. Jetzt wird sie gebaut. Im Wettbewerb zur Gestaltung der neuen Bahnhöfe galt es, am bewährten „Wiener System“ festzuhalten
Text: Novotny, Maik, Wien
Ein Phantom wird real
Jahrzehntelang geisterte die fehlende U5 durch Wiens U-Bahn-Planungen. Jetzt wird sie gebaut. Im Wettbewerb zur Gestaltung der neuen Bahnhöfe galt es, am bewährten „Wiener System“ festzuhalten
Text: Novotny, Maik, Wien
Sie war ein Phantom, ein Evergreen und eine urbane Legende. Jahrzehntelang gehörte die Fra-ge, warum es in Wien zwar die U-Bahn-Linien 1, 2,3,4 und 6 gebe, aber keine U5, zum beliebten Anekdotenfundus. Mit schöner Regelmäßigkeit geisterten seit den 60er-Jahren offizielle und inoffizielle Streckenvarianten durch die Öffentlichkeit. Bevorzugt vor anstehenden Wahlen wurde die U5 von der Wiener Stadtregierung, deren einflussreichem Finanzressort der städtische Verkehrsbetrieb „Wiener Linien“ untersteht, als „Wahlkampfzuckerl“ hervorgeholt, um dann nach der Wahl lautlos wieder in der Versenkung zu verschwinden.
Kein Wunder, dass die Wiener mit gebremstem Enthusiasmus reagierten, als im Juni 2014 (die nächsten Wahlen stehen im Oktober 2015 an, und die FPÖ hat der rotgrünen Regierung den Kampf angesagt) verlautbart wurde, diesmal werde die U5 aber nun wirklich gebaut. Um die Ernsthaftigkeit der Planung zu untermauern, wurde eine öffentliche Abstimmung darüber verfügt, welche Farbe die neue Linie tragen sollte: Türkis gewann mit deutlichem Abstand vor Pink, und der Partizipation war Genüge getan. 2023 soll eine erste Teilstrecke in Betrieb gehen, gleichzeitig mit der um mehrere Kilometer verlängerten U2, deren Trasse die U5 teilweise übernimmt. Die In-vestitionssumme für beide Linien beträgt rund 950 Millionen Euro.
Schon im Oktober 2014 wurde der zweistufige Wettbewerb für die Gestaltung der neuen Bahnhöfe ausgeschrieben. Anders als etwa in München, wo neue U-Bahnhöfe als baukünstlerisch und konstruktiv elaborierte Einzelstücke prunken, geht es in Wien streng zu. Die 1970–73 von der „Architektengruppe U-Bahn“ entwickelten Gestaltungsrichtlinien auf Basis eines einheitli-chen Paneelsystems gelten mit dezenten Varia-tionen bis heute, mit wenigen Ausnahmen wie den Stationen der U2. Im Betrieb hat sich das als sicher geltende „Wiener System“ bewährt, das auf den Kontrast zwischen hellen Bahnsteigs- und dunklen Gleisbereichen setzt.
Die Entfaltungsmöglichkeiten im Wettbewerb waren daher begrenzt. Robuste, brandbeständige, leicht auszutauschende Bauteile, nicht zu stark spiegelnde Oberflächen, gleichmäßige Ausleuchtung. Die Ausschreibung verlangte explizit ein „innovatives ökonomisches Gestaltungskonzept, das sich einer minimalistischen Formensprache bedient und sich unspektakulär präsentiert“. Einzureichen waren Vorschläge zu den unterirdischen Stationen in offener Bauweise mit Mittelbahnsteig und in Röhrenbauweise, sowie für die oberirdischen Eingänge, die teilweise in engen Straßenräumen untergebracht werden müssen.
33 Beiträge wurden in der ersten Stufe eingereicht, neun von ihnen schafften es in den zweiten Rundgang, darunter sieben von Büros aus Österreich. Anfang Juni wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Wenig überraschend, dass jene Beiträge, die sich größere gestalterische Freiheiten erlaubten, nicht belohnt wurden. Nicht die in U5-Türkis gehaltenen, großflächigen Wandillustrationen aus Mosaikfliesen mit lokalen Bildmotiven vom Wiener Büro Caramel („interessanter Beitrag, aber zu dominante Bilderwelt“ urteilte die Jury) und auch nicht das panoramatische, schwarze Strichmuster auf durchgehend weißem Hintergrund, das das Büro Karl und Bremhorst vorschlug: Dass der Blindbahnsteig hinter dem Zug im Dunkeln liegt, war sakrosankt.
Die drei erstgereihten Projekte beschränken ihre Eingriffe auf den vorgegebenen Rahmen und erlaubten sich vor allem bei den oberirdischen Stationsbauten entwerferische Freiheiten. Zechner & Zechner (3.Rang) loteten das Innovationspotenzial der Wandpaneele aus und schlugen LED-beleuchtete Glasverkleidungen vor. Lob von der Jury, doch dürfte hier die Unsicherheit der Wiener Linien den Ausschlag gegeben haben, die auf die nicht vorhandenen Referenzprojekte für diese Materialwahl hinwies.
Dietmar Feichtinger Architectes & Peter Mitterer (2.Rang) fanden die wohl zurückhaltendste Lösung, mit schmalen, langen, fein gegliederten Glasboxen als Eingangsgebäude und einer abstrakt-tapetenartigen „Lochkartendecke“ über den Bahnsteigen. Die Leitfarbe Türkis wurde hier auf das absolute Minimum reduziert.
Den Ausschlag für den Wettbewerbssieger, die Arge aus YF Architekten und Franz, gab zweifellos die stringente Gesamtidee, die sowohl über- als auch unterirdisch erkennbar ist, ohne dem Wiener System auf die Füße zu treten. Die unregelmäßig rhythmisierte Abfolge von geknickten Bügeln findet sich bei den Eingangsgebäuden im Wechsel von massiven und verglasten Streifen, und in den Stationen im Wechsel von weißen Paneelen und türkisen Farbbändern – die „Eckigkeit“ nimmt Bezug auf die Wiener U-Bahn-Gestaltung der 70er Jahre.
So bekommt das ewige Phantom U5 auf seinem Weg in die Realität keine Sonderrolle, sondern fügt sich zurückhaltend ins Gesamtnetz ein. Vorausgesetzt, die Planung überlebt die nächsten Wahlen.
Offener, zweistufiger Realisierungswettbewerb im Oberschwellenbereich
1. Preis Arge YF architekten, franz, Wien
2. Preis Dietmar Feichtinger Architectes & Peter Mitterer, Montreuil
3. Preis Zechner & Zechner, Wien
Fachpreisrichter
Paul Katzberger, Wien (Vorsitz); Heinz Lang, Salzburg; Markus Pernthaler, Graz; Axel Oestreich, Cottbus; Reinhard Mechtler, Wien
Verfahrensorganisator
next-pm
1. Preis Arge YF architekten, franz, Wien
2. Preis Dietmar Feichtinger Architectes & Peter Mitterer, Montreuil
3. Preis Zechner & Zechner, Wien
Fachpreisrichter
Paul Katzberger, Wien (Vorsitz); Heinz Lang, Salzburg; Markus Pernthaler, Graz; Axel Oestreich, Cottbus; Reinhard Mechtler, Wien
Verfahrensorganisator
next-pm
0 Kommentare