Bauwelt

Es geht auch anders!

Text: Schultz, Brigitte, Berlin

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Foto: Miguel Martinez

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Es geht auch anders!

Text: Schultz, Brigitte, Berlin

Ob beim Bäcker, im Café oder auf Partys – sobald man etwas intensiver mit Menschen ins Gespräch kommt, zeigt sich eine Unzufriedenheit mit dem Zustand der Gesellschaft, die das übliche Grundrauschen inzwischen bei Weitem übersteigt. Während die einen ihren Frust in­tel­lek­tu­ell abbauen, Harald Welzer zitieren und weiter ihrem Alltag nachgehen, ist bei anderen der kritische Punkt erreicht. Sie nehmen die Veränderung selbst in die Hand. So bilden sich überall in Europa Gruppen, die das Gefühl haben, dass es auch anders gehen muss. Mit hunderten Freiwilligen betreiben sie eine Bibliothek, die die Stadt einsparte, wie beispielsweise den Leeszaal Rotterdam, oder geben mit ihrem Engagement Gegenden Hoffnung, in denen bisher jede Stadterneuerung scheiterte, wie die Liverpooler Bäckerei-Kooperative Homebaked. Die Wirkung solcher Projekte überschreitet dabei immer ihren offensichtlichen, rein praktischen Wert. Hier wird über den Nutzen für die Beteiligten hinaus am Gemeinwohl gebaut.

Den Spekulationskreislauf unterbrechen

Auch in Deutschland sind die Bürger schon lange nicht mehr nur als Wutbürger aktiv, sondern treiben als ernst zu nehmende Akteure die Stadtentwicklung voran. Mehr noch – die elf gemeinwohlorientierten Projekte, die wir in dieser Ausgabe vorstellen, schwimmen erfolgreich gegen den Strom von Rationalisierung und Profitmaximierung, wirken der Segregation der Stadtgesellschaft entgegen und verbessern, ausgehend von den Problemen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld, die Lebensqualität eines ganzen Viertels oder der ganzen Stadt. Ohne persönlichen monetären Profit investieren sie unzählige Stunden ehrenamtlicher Arbeit, aber auch bares Geld, in angeblich nicht mehr tragbare städtische Infrastrukturen, kulturelle und soziale Angebote oder als Schrottimmobilien abgestempelte Architekturen. Mit Erfolg: Freibäder funktionieren als Bürgerbäder, wie in Schwerte; Bürgerstiftungen sichern soziale Angebote fürs Quartier, wie im Gelsenkirchener „Bonni“; und dem Abriss geweihte Baudenkmäler und alte Fabrikgelände werden zu gemischten urbanen Zentren, die über so­zialverträgliche Mieten hinaus einen ganzen Stadtteil aktivieren, wie die Samtweberei in Krefeld oder das Gundeldinger Feld in Basel.
Dass die Macher solcher Projekte keine Gewinne abschöpfen und ihre Immobilien gezielt dem Spekulationskreislauf entziehen, heißt dabei nicht, dass sie unwirtschaftlich handeln – im Gegenteil. Denn sie wissen: Um die Beteiligten nicht auf dem Weg zu verschleißen und als langfristige Alter­nativen zum marktliberalen System funktionieren zu können, müssen sie trotz allem Idealismus hart rechnen und ihre Finanzierung sichern. So wird kreatives Crowdfunding betrieben, werden gemeinnützige Aktien verkauft, wie in der Leipziger Schaubühne Lindenfels, Sozialgenossenschaften gegründet, wie im Münchner Flüchtlingsprojekt Bellevue di Monaco, oder Spenden pro Quadratmeter eingeworben, wie im Wuppertaler Zukunfts­labor Utopiastadt. Und ein Gemeinschaftshaus wie das Chemnitzer Kompott verdoppelt, um den Hauskauf zu finanzieren, schon mal die Miete für Wohnen und Arbeiten – von 1,50 auf 3 Euro/Quadratmeter.
Natürlich sind viele Projekte zusätzlich auf Fördertöpfe von Bund und EU angewiesen. Doch dass es auch ohne geht, beweisen Initiativen wie der von Einwohnern finanzierte und betriebene Supermarkt in Flegessen, die Rohrmeisterei in Schwerte, die ihr Kulturangebot durch ein Feinschmeckerlokal selbst subventioniert, oder der gemeinnützig betriebene Gewerbehof ExRotaprint, der ohne institutionelle Unterstützung im boomenden Berlin günstige Räume für Kunst, Gewerbe und Soziales bereitstellt.
Auch wenn die Bürger damit öffentliche Aufgaben übernehmen und nicht selten Probleme lösen, an denen die Verwaltung zuvor gescheitert war, entlassen sie die Kommunen mitnichten aus ihrer Pflicht. Mehr denn je sind diese als starker Partner gefordert. Die Projekte auf den folgenden Seiten zeigen, dass immer mehr Städte bereit für einen Lernprozess sind. Entgegen ihres Images lassen sie sich von unkonventionellen Ideen begeistern, begegnen ihren Bürgern zunehmend auf Augenhöhe und schließen sich deren langfristiger Denkweise an, indem sie beispielsweise ihren Boden im Erbbaurecht vergeben, statt ihn durch Verkauf zu verlieren. Das zeugt von einem Paradigmenwechsel, der positiv stimmt.

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