Ist das Ihr Ernst, Pierre Cardin?
Text: Kusch, Clemens F., Venedig
Ist das Ihr Ernst, Pierre Cardin?
Text: Kusch, Clemens F., Venedig
Der Modeschöpfer will gegenüber von Venedig einen 250 Meter hohen Turmkomplex errichten, der wirkt, als sei er aus einem schlecht gemachten, retro-futuristischen Agenten-Thriller in die Szenerie gesprungen. Wie weit geht der Ausverkauf der Lagunenstadt noch?
Venedig wäre heute nicht das, was es ist, wenn die – wohlhabenden – Bürger einst nicht die Möglichkeit gehabt hätten, ihren Reichtum zu verewigen und die eigene „Vanitas“ in der Architektur zu überwinden. Der Prunk der Paläste am Canale Grande ist nichts anderes als dies; ein Zeugnis der Selbstverherrlichung und des Reichtums, ein Zeichen der Macht venezianischer Kaufleute. Nicht anders als seine entfernten Vorgänger muss wohl der inzwischen 90-jährige Pierre Cardin gedacht haben, als er einen Ort für die Umsetzung seines Entwurfs für den „Palais Lumière“ suchte. Der Modeschöpfer wurde als Pietro Costante Cardin in San Biagio di Callalta, knapp dreißig Kilometer nördlich von Venedig, geboren. Da in La Serenissima selbst aber das Zeitalter zu Ende gegangen ist, in dem sich Reichtum in Architektur ausdrückt, musste ein anderer Ort gefunden werden, an dem in unmittelbarer Nähe der Lagune die venezianische Tradition weitergeführt werden konnte. Da war es naheliegend, den Blick auf den Stadtteil Marghera auf dem Festland zu richten, wo es reichlich ehemalige Industriegrundstücke gibt, die umgenutzt werden müssen. Unweit der Straße, die das Festland mit der Altstadt verbindet, und dem Wohngebiet Marghera – einer Gartenstadt, die Anfang des 20. Jahrhunderts für die Arbeiter des neu entstehenden Industriegebiets gebaut wurde –, fand sich eine 30 Hektar große Fläche, die zum größten Teil in Privatbesitz ist und von Cardin gegenwärtig erworben wird. Da aber das eigentliche Interesse an einem solchen Ort nicht die Sanierung eines abgewirtschafteten Industriegebiets sein kann, sondern einzig in der Nähe zu Venedig begründet liegt, muss die Lagunenstadt von dem neuen Gebäude aus zu sehen sein – vielmehr noch aber muss das Gebäude von Venedig aus erkennbar sein. Das kann nur mit einem Bau gelingen, der alles überragt, was es
in Venedig und Umgebung gibt: ein Turm, besser drei Türme! 250 Meter hoch – damit 140 Meter höher als der Campanile di San Marco – 65 Geschosse, mit sechs „Aussichtsplattformen“ zwischen den Türmen; ein Palais Lumière, der sich besonders bei Dämmerung und in der Nacht, wenn Venedig am faszinierendsten ist, von seiner „besten“, also leuchtenden Seite zeigen soll. Auf 175.000 Quadratmetern sollen Wohnungen verschiedener Größe, Hotels, Restaurants, Büros und eine Modehochschule entstehen, drum herum Iglu-artige Satellitengebäude mit Schwimmbädern, Fitnessstudios, Kongresseinrichtungen und Shoppingcentern. Alles in allem eine Zitadelle, in der man findet, was man fürs Leben braucht: mitten in einem ehemaligen Industriegebiet, mit Blick auf die Kirchtürme und Kuppeln einer einzigartigen Stadt.
Die handlungsunfähige Politik
Dass ein reicher Mann seinen Traum Wirklichkeit werden lassen will, sich mit einem Großprojekt, das er ausgedacht und zu Papier gebracht hat, zu verewigen, und dabei fest davon überzeugt ist, etwas Gutes für die Allgemeinheit zu tun, ist nichts Neues. Die Architekturgeschichte ist voll von Beispielen dieser Art. Erstaunlich aber ist, dass die Politik ein solches Vorhaben geradezu begeistert aufnimmt. Bei der festlichen Eröffnung der Ausstellung in einer Lagerhalle in Marghera, in der das Bauprojekt vorgestellt wird, waren der Bürgermeister, die Vorsitzenden der Provinz Venedig und der Region Veneto sowie der Umweltminister anwesend. Cardin bringe viel Geld mit, schaffe Arbeitsplätze und liefere Aufträge für die angeschlagene Bauindustrie, so der überschwängliche Tenor der Kommentare. Jegliche Kritik ist ausgeschlossen – Cardin soll gesagt haben: „Entweder es wird gebaut, wie ich es mir vorstelle, oder ich gehe woanders hin, mein Geld anzulegen.“ Eine Haltung, der man sich in einer Stadt wie Venedig, die immer für eine korrekte Machtverteilung gesorgt hat, eigentlich nicht beugen sollte. Aber unter dem Vorwand der Geldnot lässt sich die Politik jeglicher Steuerungsfunktion berauben. In den vergangenen Jahren wurde versäumt, für die Umnutzung des Industriegebiets eine langfristige Sanierungs- und Entwicklungspolitik zu betreiben. Da mag es egal sein, dass die von Pierre Cardin vorgeschlagene Art der Bebauung an diesem Ort gar nicht vorgesehen ist, egal auch, ob eine solche Gebäudehöhe in der Anflugschneise des Flughafens überhaupt zulässig ist und dass die zu „Gebäude gewordene Plastik“ (so auf der Internetseite zu lesen) sehr viel besser in eine der wachsenden Vertikalstädte des Orients passt, die auf kein Umfeld und keine Historie Rücksicht nehmen müssen. Der Palais Lumiere ist ein ganz und gar abstraktes Projekt, eine der vielen „utility sculptures“ von Pierre Cardin, mit keinerlei Bezug zu einem bestimmten Ort, schon gar nicht zu Venedig. Hier aber geht es um eine Stadt mit einem kunsthistorischen Erbe, wie es kaum eine andere besitzt, deren behutsame Erhaltung und Rekultivierung oberste Priorität haben und die nicht vor dem Konsumtourismus kapitulieren sollte. Welcher Bezug bitte schön besteht denn bei diesem Vorhaben zur großartigen architektonischen Tradition der Stadt, zu ihrer Geschichte? Wird hier nicht vielmehr nur ein weiterer Schritt in einer Entwicklung getan, die sie zu einem riesigen Vergnügungspark werden lässt? Ja, es stimmt, die Stadt ist in Geldnot und hat in wirtschaftlich so schwierigen Zeiten wie diesen kaum mehr ausreichend Geld für die immer aufwendigere Sanierung und Instandsetzung ihrer Substanz. Auch von der Zentralregierung fließen immer weniger Zuschüsse. Die Stadt ist auf private Initiative angewiesen: Die ehemaligen Post im „Fondaco dei Tedeschi“ an der
Rialtobrücke soll in ein Einkaufszentrum verwandelt werden (Bauwelt 19), ein weitere Palazzo am Canale Grande wurde dem Modehaus Prada überlassen und unzählige Palazzi in
Hotels umgewandelt. Bei den meisten dieser Vorhaben meint man, die Stadt schaue der Entwicklung ohnmächtig zu. Die Umnutzung der hochgradig verschmutzten Industriebrachen von Marghera ist seit Jahrzehnten akut. Hier wäre eine strategische Planung nötig. Da eine solche fehlt, verwundert es nicht, dass das Vakuum durch eine private Initiative gefüllt wird: Und dann steht irgendwann in der Silhouette von Venedig eine solche aufgeblasene Skulptur.
in Venedig und Umgebung gibt: ein Turm, besser drei Türme! 250 Meter hoch – damit 140 Meter höher als der Campanile di San Marco – 65 Geschosse, mit sechs „Aussichtsplattformen“ zwischen den Türmen; ein Palais Lumière, der sich besonders bei Dämmerung und in der Nacht, wenn Venedig am faszinierendsten ist, von seiner „besten“, also leuchtenden Seite zeigen soll. Auf 175.000 Quadratmetern sollen Wohnungen verschiedener Größe, Hotels, Restaurants, Büros und eine Modehochschule entstehen, drum herum Iglu-artige Satellitengebäude mit Schwimmbädern, Fitnessstudios, Kongresseinrichtungen und Shoppingcentern. Alles in allem eine Zitadelle, in der man findet, was man fürs Leben braucht: mitten in einem ehemaligen Industriegebiet, mit Blick auf die Kirchtürme und Kuppeln einer einzigartigen Stadt.
Die handlungsunfähige Politik
Dass ein reicher Mann seinen Traum Wirklichkeit werden lassen will, sich mit einem Großprojekt, das er ausgedacht und zu Papier gebracht hat, zu verewigen, und dabei fest davon überzeugt ist, etwas Gutes für die Allgemeinheit zu tun, ist nichts Neues. Die Architekturgeschichte ist voll von Beispielen dieser Art. Erstaunlich aber ist, dass die Politik ein solches Vorhaben geradezu begeistert aufnimmt. Bei der festlichen Eröffnung der Ausstellung in einer Lagerhalle in Marghera, in der das Bauprojekt vorgestellt wird, waren der Bürgermeister, die Vorsitzenden der Provinz Venedig und der Region Veneto sowie der Umweltminister anwesend. Cardin bringe viel Geld mit, schaffe Arbeitsplätze und liefere Aufträge für die angeschlagene Bauindustrie, so der überschwängliche Tenor der Kommentare. Jegliche Kritik ist ausgeschlossen – Cardin soll gesagt haben: „Entweder es wird gebaut, wie ich es mir vorstelle, oder ich gehe woanders hin, mein Geld anzulegen.“ Eine Haltung, der man sich in einer Stadt wie Venedig, die immer für eine korrekte Machtverteilung gesorgt hat, eigentlich nicht beugen sollte. Aber unter dem Vorwand der Geldnot lässt sich die Politik jeglicher Steuerungsfunktion berauben. In den vergangenen Jahren wurde versäumt, für die Umnutzung des Industriegebiets eine langfristige Sanierungs- und Entwicklungspolitik zu betreiben. Da mag es egal sein, dass die von Pierre Cardin vorgeschlagene Art der Bebauung an diesem Ort gar nicht vorgesehen ist, egal auch, ob eine solche Gebäudehöhe in der Anflugschneise des Flughafens überhaupt zulässig ist und dass die zu „Gebäude gewordene Plastik“ (so auf der Internetseite zu lesen) sehr viel besser in eine der wachsenden Vertikalstädte des Orients passt, die auf kein Umfeld und keine Historie Rücksicht nehmen müssen. Der Palais Lumiere ist ein ganz und gar abstraktes Projekt, eine der vielen „utility sculptures“ von Pierre Cardin, mit keinerlei Bezug zu einem bestimmten Ort, schon gar nicht zu Venedig. Hier aber geht es um eine Stadt mit einem kunsthistorischen Erbe, wie es kaum eine andere besitzt, deren behutsame Erhaltung und Rekultivierung oberste Priorität haben und die nicht vor dem Konsumtourismus kapitulieren sollte. Welcher Bezug bitte schön besteht denn bei diesem Vorhaben zur großartigen architektonischen Tradition der Stadt, zu ihrer Geschichte? Wird hier nicht vielmehr nur ein weiterer Schritt in einer Entwicklung getan, die sie zu einem riesigen Vergnügungspark werden lässt? Ja, es stimmt, die Stadt ist in Geldnot und hat in wirtschaftlich so schwierigen Zeiten wie diesen kaum mehr ausreichend Geld für die immer aufwendigere Sanierung und Instandsetzung ihrer Substanz. Auch von der Zentralregierung fließen immer weniger Zuschüsse. Die Stadt ist auf private Initiative angewiesen: Die ehemaligen Post im „Fondaco dei Tedeschi“ an der
Rialtobrücke soll in ein Einkaufszentrum verwandelt werden (Bauwelt 19), ein weitere Palazzo am Canale Grande wurde dem Modehaus Prada überlassen und unzählige Palazzi in
Hotels umgewandelt. Bei den meisten dieser Vorhaben meint man, die Stadt schaue der Entwicklung ohnmächtig zu. Die Umnutzung der hochgradig verschmutzten Industriebrachen von Marghera ist seit Jahrzehnten akut. Hier wäre eine strategische Planung nötig. Da eine solche fehlt, verwundert es nicht, dass das Vakuum durch eine private Initiative gefüllt wird: Und dann steht irgendwann in der Silhouette von Venedig eine solche aufgeblasene Skulptur.
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