Krudes Gekruckel
„Was passiert mit den Pavillons der Serpentine Gallery nach ihrem Abbau?“, haben wir vor sechs Jahren gefragt (Heft 39-40.2009). Sehen wir erneut nach ihnen – beginnend mit dem ersten von Zaha Hadid
Text: Wainwright, Oliver, London
Krudes Gekruckel
„Was passiert mit den Pavillons der Serpentine Gallery nach ihrem Abbau?“, haben wir vor sechs Jahren gefragt (Heft 39-40.2009). Sehen wir erneut nach ihnen – beginnend mit dem ersten von Zaha Hadid
Text: Wainwright, Oliver, London
Während der diesjährige Pavillon der Serpentine Gallery von den spanischen Architekten SelgasCano (Bauwelt 27.2015) das passende Gehäuse für eine Abfolge glitzernder Champagner-Empfänge liefert, ist das erste Architekturstückchen des nun seit 15 Jahren laufenden Programms der Londoner Galerie Gastgeber für eine Sommerparty der ganz anderen Art. Gut 400 Kilometer südwestlich seines ursprünglichen Standorts in einer Ecke von Cornwall ist das experimentelle Zelt mit Zick-Zack-Dach von Zaha Hadid die Behausung für ein Kostümfest für U12-Jährige.
„Ich muss zugeben, er sieht ein bisschen traurig und bemitleidenswert aus, aber er hat uns gute Dienste geleistet“, sagt Michael Enright, Manager des Flambards Themenparks in Helston, wo der Pavillon zwischen einem Fiberglasmodell von Humpty Dumpty und dem Abenteuerspielplatz „Shiver Me Timbers“ steht. Schreie der Angstlust aus der Höhe der schwankenden Konstruktion des benachbarten Skyraker mischen sich mit dem Gekreische der Fahrgäste des Kettenkarussells vor einer gemalten bukolischen Hügellandschaft. In diesem Durcheinander zerschlissener Spitzzelte und in die Jahre gekommener geodätischer Kuppeln ist der Pavillon kaum noch als die futuristische Origami-Konstruktion zu erkennen, als die er im Jahr 2000 in den Kensington Gardens aufgetaucht war. Das weiße Zeltdach hängt durch und ist fleckig, ehedem transparente Wände wurden durch ein knittrig-silbriges PVC ersetzt, und gelbe Plastikregenrohre winden sich an den Außenseite hinab, um in blau eingefärbte Betonblumenbeeten zu münden.
„Das ist schon eine Herausforderung“, sagt Dean Woods, der Koordinator der Vergnügungsangebote des Parks, während er die Nachmittagsausgabe des Dschungelcamps vorbereitet und Schüsseln und Schälchen mit diversen Insekten-Angeboten auf einer Bühne arrangiert, die mit echtem Plastikfarn als Dschungel ausgeschmückt ist. „Denn hat man das Dach gerade an einer Stelle repariert, läuft das Wasser an einer anderen Stelle durch.“ Zur Lösung hat Woods sich ein eigenes Abflusssystem ausgedacht und an einigen Stellen zusätzliche Stangen angebracht, um das Dach zu stützen. Ein Mülleimer von Wall’s ice cream auf der sperrhölzernen Umzugskabine bewahrt die Decke hinter der Bühne davor, einzustürzen.
Mit den Jahren hat sich das Architekturprogramm des Serpentine Pavillons ziemlich schnell als die jährlich wiederkehrende Taufe eines Kunststückchens von Stararchitekten etabliert. Und mit der tätigen Hilfe der Immobilienfirma Knight Frank und ihrer gut bestückten Rollkartei mit den Daten der vermögenden Zielgruppe konnte die Mehrzahl der Pavillons nach Ende ihrer Nutzung an private Sammler verkauft werden. Diese verstehen ihre Ankäufe als wohltätige Spende an die Galerie: Die Erlöse decken etwa 40 Prozent der Kosten des Projekts, in den Rest teilen sich Sponsoren und andere Sachzuwendungen. Vor 15 Jahren hatte noch kein Sammler Hadids Pavillon auf dem Schirm. Seinen Lebensabend in Cornwall konnte er erst nach einem Engagement als temporäres Theater auf dem Parkplatz der Royal Shakespeare Company in Stratford-upon-Avon beginnen. Dort war seine expressive Dachlinie wohl eine Kampfansage an die Sehgewohnheiten des Publikums, er wurde demontiert und an einen Bauern aus der Gegend weitergereicht.
„Es war schon ein guter Kauf“, sagte James Hale, der frühere Direktor von Flambards, der das Werk vor einem Jahrzehnt erworben hatte. „Er war viel günstiger als ein Zelt von der Stange, wollten sie ihn doch um jeden Preis los werden. Ich habe ein Faible für das Sammeln von ungewöhnlichen Bauwerken. Wir besaßen schon Pavillons aus Goodwood vom Festival of Speed und ein Kuppelzelt, aus der Schweiz eingekauft, deshalb habe ich gerne zugegriffen.“ Ab diesem Zeitpunkt war der Pavillon (er firmiert heute unter Kingsford Centre, zu mieten für 500 Pfund Sterling) Gastgeber für alles und jedes, für Hochzeiten und Discos, Comedy Nights und Konzerte, war aber auch schon einmal beim Besuch der Duchess of Wessex im royalen Einsatz. An regnerischen Tagen werden hier Zeichentrickfilme gezeigt und Facepainting-Orgien abgehalten. Ein Auftritt der Stranglers hatte eine wilde Horde von 600 Leuten angezogen, und einer abendlichen Übertragung der Fußballweltmeisterschaft verdankt das Gebäude seinen grünen Teppichboden, der heute die Stellen verdeckt, an denen der ursprüngliche Holzboden verrottet ist. Die Provenienz dieses erbärmlichen Zeltes ist eine Neuigkeit für die Belegschaft von Flambards, wenn sich die Mitarbeiter auch unbeeindruckt zeigen, als ich ihnen erkläre, dass sie Eigentümer des Erstlingswerks eines Architekturstars seien; die Arbeit eines entwerfenden Genies, das heute die ganze Welt mit Opernhäusern, Kunstmuseen und wellig-wölbigen Hochhäusern übersät. „Der erste Serpentine-Pavillon?“, fragt der Geschäftsführer Richard Smith und verkneift sich ein Grinsen. „Na, das erklärt einiges.“
Während Hadids Pavillon ein anonymes Nachleben führt und in der Abgeschiedenheit einer rauhen Küste vor sich hin gammelt, wurden andere Serpentine-Bauten als gefeierte Trophäen von wohlhabenden Eignern wiedererweckt. Zwei Pavillons erfreuen sich eines sonnenverwöhnten Alterssitzes in Südfrankreich: Toyo Itos triangulierte weiße Kiste von 2002 (Bauwelt 30–31.2002) steht heute an der Cote d’Azur bei Sainte Maxime, wo sie zurzeit als Café des Hotels Le Beauvallon hergerichtet wird. Hongkongs Grundstücksentwickler Victor Hwang, einstmals Besitzer der Battersea Power Station, hatte den Pavillon hierher gebracht, wo er bald als Vergnügungsstätte dienen musste.
Zwei Autostunden westlich, nahe Aix-en-Provence, steht Frank Gehrys Pavillon von 2008, eine schräge Konstruktion widerspenstiger klobiger Holzstützen und facettenartiger Glasdächer, von der man glaubt, man erwischte sie geradewegs im Moment ihres Einsturzes. Mag das Gebäude auch die Vermutung nahe legen, beim Transport sei die Bauanleitung verlorengegangen – es sieht genauso aus, wie es von Anfang an hatte aussehen sollen. Zugegebenermaßen scheint es in Chateau-la-Coste inmitten einer elysischen Landschaft aus Weinbergen und bewaldeten Hügeln besser aufgehoben zu sein als vor der Serpentine Gallery. Es wurde vom irischen Grundstücksentwickler Paddy McKillen erworben, zu dessen Luxusimperium auch das Claridge’s und das Connaught Hotel gehören und der im letzten Jahrzehnt auf seinem französischen Landsitz so etwas wie eine Architekturmenagerie angesammelt hat. In diesem Zentrum für den biodynamischen Weinanbau wird Gehrys Pavillon für Freiluftaufführungen und -konzerte genutzt. Er steht dort nicht allein, sondern gesellt sich zu einem Besucherzentrum von Tadao Ando, zum Tonnengewölbe einer Kellerei von Jean Nouvel und zu einem traditionellen vietnamesischen Teehaus aus dem 18. Jahrhundert. Eine Weinkeller-Kunstgalerie-Kombination von Renzo Piano ist gerade im Bau, Richard Rogers Pavillon und Entwürfe von Kengo Kuma, Sou Foujimoto und Junya Ishigami sind noch in einem jüngeren Entwicklungsstadium. Für McKillen scheint die Serpentine-Akquisition wie eine Infektion gewesen zu sein, der Beginn einer Krankheit, die zum Anhäufen von Architekturplunder führt. Und er ist nicht der einzige, der sich dieses Virus eingefangen hat.
„Ich glaube, ich bin so um das Jahr 2003 herum süchtig geworden“, sagt ein Sammler, der nicht weniger als vier der letzten Serpentine Pavillons gekauft hat und mir das nur unter der Zusicherung, seine Anonymität zu wahren, verrät. „Ich verliebte mich in das Projekt von Oscar Niemeyer und musste es unbedingt haben.“ Danach kamen Alvaro Sizas und Souto de Mouras hölzerne Gitterschalen, von denen er „hin und weg“ war, dann der Rem Koolhaas-Ballon und danach Olafur Eliassons Schneckenhaus. All diese hat er für „für mehrere Millionen“ erworben und auf Lager gelegt. Auf lange Sicht liegt sein Ehrgeiz darin, den Platz zu finden, wo sie wieder aufgestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, aber konkrete Pläne dafür gibt es nicht. Was hat denn das Ende dieses Pavillon-Kaufrausches bewirkt? „Das Geld“, sagt er. „Sie waren doch ziem-lich teuer. Ich spiele nicht in der Liga, wo man sich Dinge kaufen kann, bloß um des Kaufens willen – obgleich ich genau das getan habe.“
Ein Paar, das in dieser Liga spielt und den Pavillon 2012 von Ai Weiwei und Herzog und de Meuron (Bauwelt 25.2012) mitfinanziert und später auch erworben hat, lebt von der Serpentine Gallery aus gesehen gerade einmal quer über den Park am „Boulevard der Milliardäre“, den Kensington Palace Gardens, in einem Anwesen, von dem die Zeitungen zum Zeitpunkt des Kaufs als dem teuersten Haus im Lande zu berichten wussten. Aber Lakshmi und Usha Mittals Londoner Unterkunft ist nichts, verglichen mit dem, was der Stahlmagnat und seine Ehefrau auf ihrem rund 140 Hektar großen Anwesen in Surrey bauen lassen. In der lauschigen Umgebung von Alderbrook Park bei Cranleigh entsteht im Höchsttempo ein Öko-Herrschaftssitz, gekrönt mit spitz zulaufenden Stupas, denen sich der 2012er Pavillon mit seinem kreisförmigen Stahldach wie ein ornamentaler, schimmernder See anschmiegen soll. „Wegen der ganzen Bauarbeiten hatten wir eigentlich noch keine Gelegenheit, den Pavillon richtig zu nutzen“, sagt Usha Mittal. „Aber wenn alles fertig ist, wird es ein sehr friedlicher Ort sein, an dem man meditieren oder ein Buch lesen kann.“ Einige von Ai Weiweis Vasen, die dazu passen, habe sie schon in ihrem Besitz. Aber sie gibt zu, dass es schwierig sein wird, den Zustand des Pavillons bei dem englischen Klima zu bewahren: Der Pool verfärbt sich und der Kork fängt durch Regen an zu schimmeln. Der Pavillon solle nach Absprache für die Öffentlichkeit zugänglich sein, sagt sie, später im Jahr als Bestandteil der Ausstellung Ai Weiweis an der Royal Academy.
Dem diesjährigen Pavillon ist eine Zukunft am kalifornischen Strand gesichert. Er wurde von der Workspace company Second Home angekauft, die ihn an ihr neues Outpost in LA verschiffen will – immerhin hat auch dieser Pavillon einen Alterssitz in der Sonne gefunden.
Übersetzung aus dem Englischen: Michael Goj
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