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Kulturhauptstadt Guimarães – und dann?

Text: Taveres, André, Guimarães

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Foto: Filip Dujardin

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Kulturhauptstadt Guimarães – und dann?

Text: Taveres, André, Guimarães

Das Programm der Europäischen Kulturhauptstadt Guimarães zieht viele Gelder an, doch die Architektur spielt in der Nische. Verteilungskämpfe an allen Ecken Portugals: Prestigeprojekte wie Koolhaas’ Casa da Musica kannibalisieren die kleineren Institutionen. „Wenn wir keine Gebäude mehr bauen dürfen, was sollen wir dann tun?“, fragt unser Autor.
Guimarães ist eine portugiesische Kleinstadt mit 150.000 Einwohnern. Auf den ersten Blick merkt man hier nicht viel von den Auswirkungen der europäischen Finanzkrise. Vor kurzem erst wurde der unmittelbar an die mittelalterliche Innenstadt angrenzende Bezirk Toural aufwändig saniert, das Viertel präsentiert sich nun als schicke Arena des öffentlichen Lebens unter freiem Himmel. Indikatoren für das neue urbane Flair finden sich zuhauf. So entstand in einem grundsanierten Industriekomplex das privat finanzierte Kulturzentrum CAAA (eines der vielen A steht für Architektur), eine andere Industrieruine bespielt die Fabrica ASA mit einem Zwischennutzungskonzept. Und da ist die gigantische Baustelle für das neue Kunstareal Plataforma das Artes, die eher als eine Art öffentliche Langzeit-Performance gelten muss.
Niedergang des portugiesischen Architekturwunders
Möglich wurde das aktuelle Szenario dank großzügiger Zuwendungen aus dem Kulturhauptstadt-Programm der Europäischen Gemeinschaft: Guimarães ist, gemeinsam mit Maribor in Slowenien, Europäische Kulturhauptstadt 2012. Diese Gelder verschleiern die Tatsache, dass die Architektur in der ohnehin weit weniger üppig ausgestatteten, kleinteilig strukturierten kulturellen Landschaft Portugals nicht zuletzt wegen der Finanzkrise in den vergangenen Jahren zusehends darbt. Die Krise führte zu einem Investitionsstopp bei öffentlichen und privaten Bauten. Dem mittelständischen Architektursektor, der sich seit den neunziger Jahren zunehmend auf öffentliche Bauherren stützte, sind die Aufträge weggebrochen. Der legendäre Boom der portugiesischen Architektur ist zu Ende. Im Norden Portugals zeichnete sich dieses dramatische Bild (und die entsprechende tragische Realität) seit 2001 ab, dem Jahr von Portos Glanzauftritt als Europäische Kulturhauptstadt. Rem Koolhaas’ Casa de Música in Porto war das Sahnehäubchen auf einem breit angelegten Stadterneuerungsprogramm zu dem auch ein neues Theater (Auditório Nacional Carlos Alberto), die Fertigstellung bereits begonnener Vorhaben (Biblioteca Almeida Garrett, Museu de Serralves) und eine ganze Reihe von kleineren Projekten gehören.
Die Ernüchterung ließ nicht auf sich warten, sie fiel mit einem politischen Schwenk in Portos kommunaler Verwaltung zusammen. Jetzt urteilte man kulturelle Aktivitäten lauthals als elitäre Verschwendung ab. Derart hohle Ignoranz ebnete den Weg für die derzeitige Tragödie. Die Aufgabe einer urbanen Erneuerung trat man an private Investoren ab, die sich mit ihren an der Erschließung der Peripherien erprobten Konzepten auf die mittelalterliche Innenstadt von Porto stürzten. Den Löwenanteil an öffentlichen Kulturgeldern im Norden des Landes banden nun Großprojekte wie die jüngst eröffnete Casa da Música und Álvaro Sizas Museu de Serralves, sodass die kleineren Häuser keine ausreichenden Mittel für ihren laufenden Betrieb mehr bekamen. Möglicherweise ist das die Erklärung dafür, weshalb einige Projekte schlicht abgewickelt wurden, darunter Souto de Mouras Casa das Artes (eröffnet 1991, geschlossen 2001) oder die Casa Manoel de Oli­veira (Fertigstellung 2001, nie offiziell eröffnet). Die rigiden Einsparungen bei kulturellen Einrichtungen und Programmen in Folge der jüngsten Einmischung des IWF in die portugiesische Wirtschaft lassen für die Zukunft allerdings noch weitaus Schlimmeres befürchten.
Kehrseite der EU-Subventionen
Doch zurück zur diesjährigen Kulturhauptstadt Guimarães und den dortigen Ereignissen: Am 10. März fand die Eröffnung der von Nuno Grande kuratierten Ausstellung über Nuno Portas statt. Mit einer überwältigenden Fülle von Dokumenten ehrt die Ausstellung das intensive Wirken des Architekten und stellt die sechs großen Leitlinien seines architektonischen Denkens und Schaffens einer breiten Öffentlichkeit vor. Ein Hauptanliegen Nuno Portas ist die kritisch-positive Auseinandersetzung mit dem zunehmenden Ausufern der Städte. Die spezifischen Charakteristika der expandierenden Stadt definierte er nicht als per se schlecht, im Vergleich zu historischen Strukturen seien sie anders. Guimarães ist ein typischer Fall. Der scharfe Kontrast zwischen der herausgeputzten mittelalterlichen Altstadt und den neuen Vororten längs des Ave ist ein echtes Lehrbeispiel für die Widersprüche – und das Potenzial – dieser modernen urbanen Landschaften. Genau hier knüpft eine weitere Ausstellung an, die die Kuratoren Paulo Catrica und Pedro Bandeira unter dem Titel „Transgene Landschaft“ in Guimarães zusammengetragen haben. Es geht darum zu zeigen, was wir in dieser urbanen Landschaft sehen können und was nicht. Was wir sehen ist ein Amalgam aus unglaublich beeindruckendem, aus dem Alltag heraus entstandenem Einfallsreichtum, direkt daneben wuchern die kruden Auswüchse der Finanzkrise. Dieser Streifzug durch die architektonischen Events in der Kulturhauptstadt Guimarães (mehr als neun Monate dicht gedrängtes Programm liegen noch vor uns) könnte mit einer Präsentation enden, die die Sanierung der Bezirke Toural und Alameda São Damaso im Detail vorstellt. Die Architekten haben sich auf moderne Strukturen und Bautechniken eingelassen, Bedenken, deshalb mit dem Bestand direkt daneben aneinander zu geraten, hatten sie keine. Ihr Entwurf konterkariert den unseligen Disneyland-Effekt, der sich sofort einstellt, hat man bloß den pittoresken Altstadtkern im Blick. Die letzten zehn Jahre in Porto sind Beweis genug, dass das keine leere Drohung ist. So unterschiedlich ihre jeweiligen Inhalte auch sind: Diese drei Ausstellungen in Guimarães handeln vom selben architektonischen Anliegen und fordern ei­nen Dialog zwischen dem Handeln und der kritischen Vision. Damit kommen wir auf die Kernfrage zurück: Was ist die Kehrseite von zwei Jahrzehnten EU(EG)-Subvention? Überlebt die Architektur die immer straffer angezogenen Zügel ei­ner durch die europäische Finanzhoheit aufgezwungenen Wirtschaftspolitik? Wenn wir keine neuen Gebäude bauen dürfen, was sollen wir dann tun?

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